18. Türchen

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Sanft streicht er über den Stoff. Er ist silbern und unfassbar weich. Er stellt sich vor den Spiegel und streicht seinen Anzug glatt und betrachtet sich. Er nimmt sich die Maske von dem Tisch. Er streift sie über und richtet sie. Gleich muss er los. Er fährt mit seinen Freunden zu der Location.

Sie tragen ihre Masken auch alle schon. Seit einem guten Jahr ist diese Abschlusseier geplant. Vor einem halben Jahr wurde es dann zu einem Maskenball. Etwas oldschool vielleicht, aber er freut sich irgendwie darauf. Sein Anzug ist schwarz-silbern mit Nadelstreifen, passend zu der Maske. Er setzt sich in den alten Golf seines besten Freundes. Sie brauchen nicht lange, bis sie ankommen. Sie steigen aus. Harry weiß natürlich, welcher seiner Freunde sich unter welcher Maske befindet, aber er ist sich ziemlich sicher, dass er es nicht bei allen aus seinem Jahrgang so einfach erkennen wird. Kein Wunder, sie sind schließlich fast 140 Leute.

Sie betreten die Halle. Gleich hält der Direx eine Rede und der öffentliche Teil beginnt. Es zieht sich bis Mitternacht. Dann ist es aber so weit. Die meisten sind mittlerweile angetrunken bis betrunken. So auch Harry. Er befindet sich in der Mitte des Raumes und tanzt ausgelassen. Er hat seine Freunde um sich und genießt die Musik. Er trägt seine Maske noch. So wie die meisten hier.

Er bemerkt nicht, dass er beobachtet wird. Jedenfalls, bis sich zwei Hände an seine Hüfte legen. Er grinst und lehnt sich an die Person hinter sich. Sie tanzen zusammen. Er lässt seine Hüfte kreisen und drückt gegen die Mitte des Anderen. Er ist zu betrunken, um sich zu fragen, wer das eigentlich ist. Dann wird er umgedreht. Er legt seine Arme auf die Schultern seines Gegenübers. Er ist nur ein wenig kleiner als er selbst. Und er trägt seine Maske noch. Genau wie er. Er grinst und sie kommen sich noch ein wenig näher. Er weiß nicht, wer unter der schwarzen Maske steckt. Er mustert den Unbekannten. Braune, weich aussehende Haare, blaue Augen und pinke, schmale Lippen. Er wird durchdringend angesehen. Er wird nervös. Aber es ist eine gute Nervosität.

Sein Gegenüber lässt seinen Blick über ihn schweifen und fragt sich gerade, wie er nicht bemerken konnte, dass Harry so heiß ist. Natürlich hat er ihn erkannt. Wie sollte man diese Locken auch übersehen? Eigentlich hassen sie sich. Eigentlich. Die ganzen letzten Jahre haben sie sich nur gestritten, wenn sie denn mal miteinander gesprochen haben. Es hat angefangen, als Louis auf ihre Schule gewechselt ist. Am ersten Tag schon hat er Gefallen daran gefunden, Harry aufzuregen. Dieser hat sich das aber nicht lange gefallen lassen und so kam es zu der ersten Prügelei. Seitdem ist allgemein bekannt, dass sie sich hassen. Dann hat Louis ein rohes Ei auf Harrys Stuhl gelegt, als dieser sich gesetzt hat. Daraufhin hat Harry Louis seinen klebrigen Energiedrink über den Kopf geschüttelt. Harry versteht sowieso nicht, wie man so etwas trinken kann.

Es ging weiter und weiter, bis die Abschlussprüfungen kamen. Seitdem haben sie sich nicht mehr gesehen. Und eigentlich ist Harry ganz froh darum.

Jeder wusste, dass Louis und Harry keine gute Kombination ist und das es nicht lange dauern wird, bis sie sich wieder gegenseitig ankeifen, wenn sie zusammen arbeiten müssen. Louis hat die Finger natürlich auch nicht vom Alkohol gelassen. Vielleicht ist der deswegen mutig genug, mit Harry zu tanzen. Vielleicht hat er auch einen Crush auf ihn, hat es aber nicht einmal sich selbst eingestanden.

Jetzt tanzen sie heiß. Einige ihrer Freunde sehen verwirrt zu ihnen. Sie erkennen beide und fragen sich, was sie verpasst haben, dass das gerade wirklich geschieht. Jeder hätte wohl eher darauf gewettet, dass sie sich irgendwann gegenseitig umbringen, als dass sie eng umschlungen tanzen.

Harry beißt sich auf die Lippe und blickt auf die Lippen. Er möchte sie spüren. Am liebsten sofort. Er blickt dem für ihn Unbekannten in die Augen. Louis hat seine Hände an Harrys Po platziert und zieht ihn näher zu sich. Er massiert ihn und der junge Mann mit den Locken seufzt genießend auf. Harry streicht durch die Haare des Anderen. Dann zieht er ihn zu sich und drückt ihre Lippen aufeinander. Der Kuss wird erwidert und ziemlich schnell vertieft. Sie verlieren sich in ihrer eigenen kleinen Welt. Sie stehen in der Mitte der Tanzfläche und nichts scheint mehr wichtig zu sein.

Vielleicht liegt es am Alkohol. Wer weiß das schon. Louis führt Harry zu einer der Sitznischen. Er setzt sich und zieht Harry auf seinen Schoß. Ihre Zungen treffen sich erneut und ein Feuerwerk der Gefühle exponiert in Harry. Er denkt nicht darüber nach. Fragt sich nicht, wie das sein kann. Er weiß ja eigentlich nicht einmal, wen er da gerade küsst. Sie blenden beide alles aus, Harry drückt sich näher an Louis und rollt seine Hüfte gegen ihn. Louis knurrt leise. „Fuck."
Harry löst sich ein wenig später von ihm. Er streicht über den schwären Stoff der Maske. „Darf ich?" fragt er vorsichtig. Louisa schüttelt den Kopf. „Ich zuerst." Harry beißt sich auf die Unterlippen und nickt dann unsicher. Er lässt sich von Louis die Maske abnehmen, mit Bedacht öffnet dieser den Knoten in dem weichen Band und legt sie zur Seite neben sich. Er mustert Harry und lächelt sanft. Harry ist einfach so wunderschön.

„Hi?" Louis küsst ihn erneut. Er kann einfach nicht genug von diesem Gefühl bekommen. Harry führt seine Hände zu dem Band der Maske. „Hass mich nicht." Bittet Louis ihn flüsternd. Einen Augenblick sieht Harry ihn verwundert an, schüttelt dann aber den Kopf. „Werde ich nicht."

Er nimmt ihm die Maske ab. Einen Moment lange sieht er ihn perplex an. „Louis?" Louis küsst ihn erneut. Harry erwidert. „Du..." murmelt Harry überfordert und einen Augenblick schafft er es, klar zu denken. Er weiß, auf wessen Schoß er sitzt, wessen Lippen er gerade geküsst hat und wer seine Lust die ganze Zeit steigert. „Verrückt oder?" schmunzelt Louis. Harry nickt. Aber er drückt erneut seine Lippen auf Louis'. Zu groß ist das Verlangen in ihm, Louis nahe zu sein. Die meisten der Anderen hier, können nicht glauben, was sie dort zu sehen bekommen. Die, die es wussten, sind davon ausgegangen, dass sie sich die Köpfe einschlagen, sobald sie die Masken abnehmen. Aber ganz im Gegenteil. Louis küsst ihn verlangender, hungriger. Und Harry erwidert. „Lass uns gehen." flüstert er Louis zu. Dieser sieht ihn einen Moment lang überrascht an, nickt dann aber und küsst Harry verlangender.

Und dann stehen sie auf, nehmen sich ein Taxi und fahren weg. Weg von der Feier, weg von ihren Freunden und von den Gerüchten, die alle an diesem Abend noch entstehen. Und Louis und Harry ist es egal.

Und vielleicht haben sie sich doch nie wirklich so sehr gehasst, wie immer jeder dachte.

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