2|Die Eiche unter den Tannen

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»Entschuldigung, aber ich glaube nicht, dass wir uns kennen. Zumindest kann ich mich nicht an Sie erinnern«, entgegnete ich und fummelte am Saum meiner Jacke herum.

Viele Gedanken schwirrten in diesem Moment durch meinen Kopf. Woher könnte er mich kennen? Und wieso kam er mir nicht wenigstens bekannt vor? Meine Augen weiteten sich und mein Mund öffnete sich mehrfach, ohne dass etwas herauskam.

»Oh mein Gott, du warst mein One-Night-Stand auf der Party letztes Jahr! Oh nein! Sorry, das ist mir jetzt allerdings etwas unangenehm. Ich hatte damals nämlich echt viel intus, also tut mir leid, dass ich dich nicht erkannt habe«, stammelte ich aufgeregt und wahrscheinlich mit hoch rotem Gesicht. Wie wild fuchtelte ich mit meinen Händen in der Luft herum, weil ich mir nicht anders zu helfen wusste.

»Man sollte meinen, dass man so einen Adonis nicht vergisst, aber... schwups jetzt sind wir hier und ich habe dich nicht erkannt.« Ich beschloss, dass ich meinen Mund schließen musste, bevor noch mehr Worte entflohen, die die Situation peinlicher machen würden, als es sowieso schon war.

Der gutaussehende junge Mann schaute mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, jedoch befand sich kein amüsiertes Lächeln auf seinen Lippen, was mich nicht unbedingt beruhigte. War er sauer, dass ich mich nicht an ihn erinnern konnte? Aber wieso sollte er wütend sein? Dazu gab es keinen plausiblen Grund.

»Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir noch nicht das Vergnügen hatten.«
Auf diese Aussage hin, entspannte ich mich sichtlich und traute mich endlich wieder normal zu atmen.
»Du warst nicht mein One-Night-Stand!«, stellte ich fest und er nickte steif.

»Gott sei Dank! Denk jetzt nicht, dass ich dich nicht attraktiv finde, aber das wäre dann doch alles etwas komplizierter geworden und alles. Aber jetzt verrate mal, woher kennst du mich denn?«

Er runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf, während er seine Arme verschränkte.
»Du hast keine Ahnung, wer ich bin.« Ich zuckte mit den Schultern woraufhin er seine Augen misstrauisch zusammenkniff.

»Um das kurz klar zu stellen, ich kenne dich nicht. Ich habe aber erwartet, dass du mich kennst.«
»Wie kann es sein, dass du mich nicht kennst, aber ich dich kennen soll, obwohl du so tust, als ob wir uns kennen und ich ziemlich sicher bin, dass ich dich nicht kenne?«

Für einen Augenblick herrschte Stille und wir beide grübelten darüber nach, was ich gerade gesagt hatte. Dann schüttelte der Typ seinen Kopf, wobei ein paar Strähnen in seine Stirn fielen.

»Ich bin Coda Walker.«

Ich nahm mir nochmal kurz Zeit zum Nachdenken und bei dem Namen schien wirklich etwas in meinem Kopf zu klingeln, ich konnte jedoch nicht genau sagen, wieso.

»Irgendwoher kenne ich deinen Namen.«
»Nein, wirklich?«, fragte er sarkastisch und zog seine Augenbrauen nach oben. Machte er sich etwa über mich lustig? Arschloch.

»Schonmal was von der Band Four Kings gehört?«
Langsam nickte ich, meine Lippen gespitzt, während ich auf meiner Wange kaute.

Die Band war zurzeit überall im Radio. Egal welcher Sender, sie liefen ständig. Mich hätte es nicht mal mehr gewundert, wenn auch die Klassikmusik Channels ab und zu ihre Lieder spielten. Und ich konnte ahnen, dass sie auch im Fernsehen auftauchten, wovon ich aber nichts mitbekam, da ich meine Seele einzig und allein Netflix zugeschrieben hatte.

Ich dachte noch mehrere Sekunden nach, bis mich ein Gedanke traf und vermutlich eine Glühbirne über meinem Kopf erleuchtete. Es konnte nicht wirklich sein, dass Coda Walker ein Band Mitglied war, oder? Nein. Ganz sicher nicht.

»Und hast du vielleicht, zufälligerweise mal den Drummer der Band gesehen?«, fragte er mit spöttischem Unterton. Normalerweise würde mich das echt nerven und ich hätte auch schon etwas in sein Gesicht geschrien, doch langsam aber sicher bekam ich ein schlechtes Gefühl, was die Sache mit diesem Mann vor mir anging.

Ich schluckte als ich langsam in seine Augen schaute.
»Ich nehme mal ganz stark an, dass ich ihn vor mir stehen habe?«, kam mein kleinlautes Murmeln. Sein Klatschen, was beunruhigender Weise ziemlich spöttisch klang, bestätigte mir, dass ich mich in tiefe Scheiße geritten hatte. Sowas konnte auch nur mir passieren.

»Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich sagen soll. Ich hoffe mal, ich habe dich nicht bei irgendwelchen Band- oder Weihnachtsvorbereitungen gestört.«

»Weihnachten ist echt noch sehr lange entfernt. Wieso jetzt schon mit dem ganzen Theater anfangen?« Mein geschockter Gesichtsausdruck und das Zucken meines linken Auges ließen Coda die Stirn runzeln. Er hatte einen wunden Punkt getroffen, aber ich war mir nicht sicher, ob er das realisierte.
»Es sind nicht mal mehr zwei Monate bis Weihnachten! Und es ist die schönste Jahreszeit überhaupt und kein Theater!«, rief ich direkt aufgebracht und versuchte mich genauso schnell wieder zu beruhigen. Wir wollten heute keinen Aufstand, wir wollten einen Weihnachtsbaum.

»Aber wenn du nicht in Weihnachtsstimmung bist, dann wird es dir doch sicherlich nichts ausmachen, wenn-«
»Ich habe grade keine Autogrammkarte oder einen Stift. Also wenn du nichts von beidem dabei hast, wird das eher nichts«, unterbrach mich der Braunhaarige und versenkte seine Hände in den Hosentaschen.

»Ich wollte eigentlich sagen, dass es dir wohl nichts ausmachen wird, wenn ich den Tannenbaum mitnehme.«

Sein verdutzter Blick schwebte zwischen mir und dem Baum hinter mir, dann schüttelte Coda den Kopf.
»Ich kann ihn ja schlecht wieder mit dem Baumstumpf zusammenwachsen lassen. Und hier rum liegen muss er auch nicht.«, sagte er relativ schlecht gelaunt und brachte ein Lächeln in mein Gesicht.

»Danke. Bedeutet mir viel.«
»Ich rate dir aber, das nächstes Jahr nicht nochmal zu machen. Es sind nicht alle Menschen, so wie ich. Das kann auch mal kräftig in die Hose gehen.« Sein ernster Ausdruck schaffte es fast, mich zum Lachen zu bringen, aber ich hielt mich zurück. 

»Wow, da hatte ich ja mächtiges Glück... Echt cool. Okay, also ich bin dann mal weg. Ich denke nicht, dass wir uns nochmal sehen. Deshalb wünsche ich dir einfach jetzt schon frohe Weihnachten. Und außerdem ist es ja auch nicht mehr soo lange bis dahin«, fügte ich noch grinsend an, bevor ich zu meinem Tannenbaum lief und ihn am Stamm packte.

Ich sah sicherlich lächerlich aus, als ich das Bäumchen mit mir zog. Es war zudem schwerer als gedacht und ich musste ja auch aufpassen, dass ich es nicht kaputt machte. Wieso hatte ich diesen Baum gewählt? Hätte ich nicht einen Winzling aussuchen können, den ich am Zipfel hätte packen können, ohne Schwierigkeiten dabei zu haben? Wahrscheinlich hätte der auch neben meinen Fernseher gepasst.

Aber nein, ich wählte quasi die Eiche unter den Tannenbäumen und hatte es mir auch noch zur Aufgabe gemacht, das Monstrum alleine zu bewegen. Vielleicht war es doch keine so gute Idee, ihn bis zum Auto zu schleifen.

Nach gefühlten zehn Zentimetern, die ich mich bewegt hatte, ließ ich den Stamm schnaufend los und kramte in meiner Jackentasche nach meinem Handy. Ich brauchte nicht lange, da hatte ich auch schon Elenas Kontakt angeklickt und hielt das Display an mein Ohr.




A/N: Ja, ich habe es wieder getan. Ich liebe eben berühmte Leute vs. normale Leute.

King of ChristmasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt