Langsam drehe ich mich ein letztes Mal im Kreis und betrachte den leeren Raum. Es fühlt sich ungewohnt an, auf die weißen Wände zu blicken, die vor ein paar Tagen noch mit Fotos von mir, meinen Freunden und meiner Familie beklebt waren. Ich vermisse es jetzt schon, mich nach einem anstrengendem Tag in mein Bett zu werfen, mich in die Kissen zu kuscheln und einfach draußen das Treiben auf der Straße zu beobachten.
Hier bin ich aufgewachsen, hier habe ich traurige Augenblicke, aber auch fröhliche und schöne Momente erlebt. Ich atmete die vertraute Luft ein: so riecht Heimat. Meine Schwester legte ihre Hand auf meine Schulter: "Es tut mir so leid. Wir können Tante Maggi immer noch absagen. Ich kann das Studium abbrechen und mir eine Arbeit suchen und-", ich untrrbreche sie:" Nein, auf keinen Fall! Das haben wir doch alles schon besprochen. Ich will dir kein Klotz am Bein sein und auf gar keinen Fall deiner Karriere im Weg stehen. Das hast du nicht verdient."
Sie streicht mir zärtlich über den Kopf:" Ich fühle mich trotzdem schuldig. Wenn Tante Maggi wenigstens hier in Deutschland leben würde, dann wäre alles viel leichter und wir könnten uns öfter sehen."
Sie legt den Arm um mich und umarmt mich.
"Du weißt, dass du immer in meinem Herzen bist und egal was kommt und wie weit weg ich bin, ich bin immer bei dir und hab dich immer lieb", flüster ich ihr ins Ohr. Ich höre sie laut schlucken und als ich mich von ihr löse, hat sie Tränen in den Augen.
"Ach Mist", sie reibt sich über ihre Augen. "Ich bin doch die Große und muss stark sein und auf dich aufpassen". Ich küsse sie auf die Stirn. "Quatsch. Wir schaffen das schon, Anna. Außerdem weißt du doch, dass ich hier raus muss. Ich kann hier nicht mehr leben, es erinnert mich alles an die Zeit vor dem Unfall. Wenn ich hier bleibe, werde ich verrückt."
"Ich weiß, meine Kleine", sie streicht mir über den Rücken. "Du bist stark", sie machte eine kleine Pause und schluckte wieder heftig. "Du musst mir nur versprechen, dass du mich immer anrufst, wenn irgendetwas ist, ja? Und wenn es in Kanada gar nicht mehr geht, kommst du zurück und wir finden zusammen eine Lösung!"
Ich musste lächeln.
"Alles klar, aber wir sollten vielleicht jetzt mal fahren, sonst verpass' ich meinen Flug."
Sie nickt und nimmt meine Hand. Als wir das Haus verlassen, blicke ich nicht zurück.
Im Auto reden wir kein Wort. Anna achtet die ganze Fahrt über stur auf den Verkehr und ich beobachte die vorbei ziehenden Menschen, Bäume und Häuser.
ls ich mich am Terminal aus der Umarmung meiner Schwester löse, habe ich einen großen Klos im Hals. Aber ich will nicht weinen, ich will es meiner Schwester nicht schwerer machen. Also sage ich zu ihr: "Let's go Canada".
Ihr rollt eine Träne aus dem Augenwinkel, die sie sich verstohlen fort wischt, "Hope you will find your luck." Ich drücke sie noch ein letztes Mal ganz fest und gebe ihr einen Kuss. Dann greife ich schnell meine Handtasche und verschwinde durch die Sicherheitskontrolle. Ich weiß, dass sie genau jetzt anfängt zu weinen und es ist schwer nicht auch in Tränen auszubrechen, aber ich halte mich zurück und denke an die vielen Leute, die sich alle zu mir umdrehen würden. Also schlucke ich die Tränen hinunter.
Im Flugzeug stecke ich mir sofort meinen IPod im die Ohren. Ich will mich mit niemandem unterhalten, schon gar nicht mit einem Fremden.
Als das Flugzeug abhebt, muss ich doch leise weinen. Ich lasse alles in Deutschland. Meine Freunde, meine Familie, meine Kindheit und die letzten Monate.
Ich weiß nicht, was mich erwartet, aber ich weiß, dass ich nur so weiter leben kann.

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Jasper's Traum
Teen FictionMaya zieht nach einem schlimmen Jahr in Deutschland zu ihrer Tante Maggi nach Kanada. In dem kleinen Dorf "Jasper"hofft sie die Vergangenheit endlich hinter sich lassen zu können und neu anfangen zu können. Doch Maya muss feststellen, dass das Verga...