Seufzend holte er die verblasste, rote Sammelmappe aus seinem Schreibtisch hervor. Sein Herz tat allein beim Anblick dieser Mappe weh. Er traute sich nicht, das lange dunkle Gummiband abzumachen, dass seinen damaligen Gefühlen Schutz bot.
In ihm war Angst, eine sehr große Angst, die er seit Tagen und Wochen unterdrückte. Zusammen mit seinen Gefühlen. Und diese Gefühle würden gleich wieder hochkommen, wenn er die Mappe öffnete.
Darin waren traurige Erinnerungen. Aber sie waren wohl die schönsten, die er noch hatte. Denn an ihr süßes Lächeln, ihre wunderschöne Stimme oder an ihr perfektes Aussehen, konnte er sich kaum noch erinnern.
Das lag an einer Sache. An einer Person. Es lag an ihm. Und nur an ihm.
Damit meinte er nicht seinen ehemaligen besten Freund. Nein, er meinte sich selbst.
Es gab so viele Wege, so viele Chancen, so viele verschiedene Möglichkeiten. Aber er hatte nichts gemacht. Er kam zu spät. Jedes Mal.
In der Schule war alles noch besser. Er war immer früh da. Er hätte etwas machen können. Einmal hatte er etwas getan. Und es machte ihn glücklich.
Glücklich. Das Wort hatte er ewig nicht mehr benutzt. Glücklich war er früher mal. Heute nicht mehr. Wieso auch? Es gab keinen Grund mehr.
Denn als er die freudige Nachricht hörte an jenem Tag, begann der Alptraum seines Lebens. Von damals bis heute hielt er an. Er wird aber auch niemals Ende.
Dieser Alptraum war mehr eine Art Trauma. Er erlebte diese Szene immer wieder. Auch wenn er nicht schlief. Immer, wenn er etwas hörte, was mit ihr zusammenhing. Immer. Er konnte nicht anders.
Und nicht nur diese Szene verließ seine Gedanken nie. Es waren viele. Viele, die er vergessen wollte. Dabei waren es die einzigen, die er noch von ihr hatte.
Diese traurige Gestalt, dieses traurige Mädchen, dass sich nur nach einer Sache gesehnt hatte, war dieser am Ende zum Opfer gefallen. Alles an ihr, war der Liebe zum Opfer gefallen. Alles.
Er erinnerte sich an ihre schwarzen Klamotten, der ausdruckslose Gesichtsausdruck, die blasse Haut. Das. Genau das war seine Erinnerung. Denn so sah er sie über ein Jahr, jeden Monat, jeden Tag. Und es tat weh.
Ihm, der Schuld an allem hatte. Er war es. Niemand sonst.
Der Junge, den die meisten für den Täter hielten, war es nicht. Die Freunde, die es vorschlugen, waren es nicht. Die Schwester, die sich anfangs leicht von ihr abgewandt hatte, war es nicht. Sie selber, war es nicht.
Er war es. Er allein. Von Anfang an.
Alles hätte er verhindern können. Aber getan, hatte er nichts.
Er hätte nicht einmal ihr sagen müssen, dass er sie liebe, nein, es hätte gereicht, wenn es allein seine Freunde gewusst hätten. Damit hätte dieses Horror-Szenario gar nicht erst begonnen.
Doch es hatte begonnen. Und zu ende war es noch lange nicht. Bei niemanden.
Die ganzen Ereignisse hatten sich in die Köpfe der Betroffenen gebrannt. Schmerzhaft gebrannt. So schmerzhaft, dass etwas gegen den entstandenen Schaden unternommen werden musste.
Nur eine Person, hielt von allem nichts. Und das wird sie wohl auch nie.
Den Namen, den viele nicht aussprechen wollten, gehörte der Person, die keinen Schmerz, keine Schuld, kein schlechtes Gewissen hatte. Selbst bei nicht Betroffenen, die aber von dieser Geschichte gehört hatten, war sein Name bekannt und verbreitete Wut und Hass und Unverständnis.
Er hatte den Namen seit dem Tag nicht mehr ausgesprochen, wo sie ihn verlassen hatte. Wo er noch mit ihr geredet hatte. Wo er sie hätte retten können.
Tränen sammelten sich in seinen Augen. Er wollte nicht weinen. Nicht schon wieder. Er wollte nicht schwach sein. Er wollte wie die anderen stark sein. Er wollte für sie stark bleiben.
Aber der Schmerz, der grässliche, grauenhafte, grauenvolle Schmerz. Der Schmerz, der ihn nicht mehr losließ. Der Schmerz, der so unerträglich war, dass er daran zweifelte, so weiterleben zu können. Dieser schreckliche Schmerz, den sein Herz kaum verkraften konnte. Der tat weh. Richtig weh.
Sein Herz war in viele Teile zerbrochen. Er hätte versuchen können, es zu reparieren, aber die Teile waren zu klein, zu kaputt, zu kalt. Sein Herz war kalt. Es gab keine Gefühle. Nur die, die niemand spüren wollte.
Es schien alles so irreal. Für ihn war es noch gar nicht so lange her, dass er mit ihr auf dem Boden saß und dabei die Blume malte, diese geschlossene, diese noch nicht blühende, diese nicht aufgegangene Rose.
Diese Rose, lag ganz oben. Ihre Dornen taten weh, ihre Blätter taten weh, ihr Anblick tat weh. Unerwiderte Liebe. Dafür stand sie. Sie stand für das, was er erfahren hatte.
Mit zitternden Händen machte er das Gummiband vorsichtig ab. Die Tränen fanden den Weg in seine Augen zurück. Der Druck in seinem Herzen, oder das, was davon übrig war, wurde immer größer.
Ihre Schwester hatte ihm diese Zeichnung zurückgegeben. Sie hatte sie in dem Schreibtisch der Jüngeren gefunden, in einer Klarsichtfolie. Dabei war sie da schon vergeben. Trotzdem hatte sie sie aufbewahrt.
Er konnte nicht anders als sie an sich zu nehmen und Tränen zu vergießen. Dasselbe wird gleich noch einmal geschehen.
Er hatte ihr dieses Bild geschenkt. Er hatte ihr vorgeschlagen, ob sie ihm einmal etwas zeichnen könnte. Er hatte eine Zusage erhalten.
Gemacht, hatten sie es nie. Konnten und werden sie auch nie.
Vorsichtig öffnete der den Behälter unerwiderter Liebe. Er konnte nicht anders, als zu weinen. Dieser Anblick war für ihn nicht auszuhalten. Wieso waren es keine blühenden Rosen? Wieso waren es keine blauen Rosen? Wieso waren sie noch da?
Sie war weg. Die Erinnerung war weg. Die Zeichnungen waren noch da.
Er wollte mit dieser Sache abschließen. Er konnte nicht noch zwei weitere Wochen das Haus nicht verlassen. Er sollte etwas Vernünftiges machen.
Denn er hatten seinen Abschluss gemacht. Genau wie sie. Gemeinsam. An einer Schule, in einem Jahrgang, in einer Klasse.
Nun war er hier, bei sich zu Hause und sie war da, wo sie in diesem Alter nicht hätte sein sollen. In ihrem Fall waren alle guten Dinge wohl wirklich drei. Für ihn war es keine Erlösung, es war der Beginn größeren Schmerzes.
Um mit allem abzuschließen, musste er alles loswerden. Alles musste weg. Wenn es nichts mehr gab, was ihn an sie erinnerte, dann musste er nicht mehr über sie nachdenken. Dann könnte er wenigstens sein Leben leben.
Er wischte sich die Tränen mit seinem Ärmel weg. Schweren Herzens schloss er die Mappe wieder und machte das Gummi wieder um sie herum.
Er stand auf. Die Kopfschmerzen und das Gefühl, nicht stehen zu können, ließen ihn wieder auf seinen Stuhl senken. Er konnte nicht. Es war das Einzige, was er noch von ihr hatte. Er konnte nicht. Es ging nicht.
Aus dem vor Tränen verschwommenen Augenwinkel, nahm er ein grünes Blinken wahr. Es war sein Handy. Noch einmal mehr wischte er sich die Zeichen seiner Trauer und Schwäche weg und öffnete den Chat zu der eben erhaltenen Nachricht.
"Jungkook, bitte vergiss das Treffen im Museum heute nicht, ja?"
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1125 Wörter
Damit wäre das erste Kapitel zu Second Love draußen. Einige haben mit Spannung drauf gewartet.
So wie auch beim Vorgänger, werde ich mich nicht an meine Prinzipien halten und diese Geschichte nicht täglich updaten. Da Ferien sind, werde ich mit Glück gleich mehrere pro Tag hochladen, aber ich verspreche nichts.
Ich hoffe, ich habe euer Interesse geweckt und ihr verfolgt mit Spannung auch weiterhin diese Geschichte.
~🌹LY🌹~
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Second Love | BTS Jungkook FF |
FanfictionSchmerz. Das war das Einzige, dass er noch fühlte. Endloser Schmerz. Und das nur wegen seiner ersten Liebe und ihren Problemen. Ihren ehemaligen Problemen. Er wird noch lange an seiner ersten Liebe festhalten. Wird er deswegen überhaupt jemals wied...