Die Musik war ohrenbetäubend und der Alkohol, der Welten und Realitäten verschwimmen ließ, schmeckte süß. Sie hatten die Zeit vergessen, hingen irgendwo zwischen Shots und noch einem Joint in Michaels Haus. Im Haus seiner Eltern, doch das war egal, denn sie waren ja nicht da. Es war die Party, auf die die gesamte Stufe gewartet hatte, denn Michaels Partys waren legendär. So sagte man. Dass sie letztendlich alle gleich abliefen und mindestens die Hälfte der Gäste am nächsten Morgen mit einer Lebenskrise aufwachte, verdrängte man jedes Mal aufs neue.
Eigentlich hatte Lissa nie wirklich Lust auf diese Partys, zumindest nicht mehr, doch es gingen alle hin und Michael war so etwas, wie ein Kumpel, deshalb machte sie sich doch jedes mal dezent schick, für wen oder was auch immer, um das ein oder andere Bier zu trinken.
Es gingen alle hin, außer Vincent. Was doch zu erwarten gewesen war. Vor allem, nachdem er ihr von seiner eigenen Geschichte erzählt hatte. Und sie war es, die geheult hatte. Ausgerechnet sie. Wie verdammt unpassend und unangebracht!
Die Jugendlichen hatten sich im ganzen Haus verteilt. Hier und da wurde getanzt, auf dem Balkon ließ sich massenweise Alkohol und alle möglichen Mischgetränke finden, die Gespräche bestanden aus Schreien, auf einem Sofa hauten sich ein paar der ganz Harten irgendeine Pille rein.
Lissa saß mit Melanie auf einem der Wohnzimmerstühle. Auf dem Esstisch lagen halb aufgegessene Pizzastücke. Sie tranken beide ein Bier und Melanie bestand darauf, endlich mal zu Wodka-Cola oder Rum mit Sprite oder sonst was mit viel zu süßer Mische zu wechseln, doch diese Zeiten waren für Lissa vorbei, so hatte sie es sich selbst geschworen. Lass dich nie wieder volllaufen, weil du deinem miserablen Schülerleben entkommen willst, nur damit du am Morgen noch verzweifelter bist. Nie wieder.
Denn das war es wohl der einzige Sinn dieser Party. Trinken und vergessen, dass die Tage weitergehen und man wieder vor einem leeren Klausurbogen sitzt, irgendein Freund Schluss macht, vielleicht jemand stirbt. Es gab doch immer etwas, dem man entkommen wollte. Erbärmlich.
„Dann hol dir was, ich bleib beim Bier", murmelte Lissa nur, den Blick verschwommen in die bunte Partybeleuchtung gerichtet, die Gedanken in Vincents Armen.
„Gleich tanzen wir, ja?", fragte Melanie begeistert, dann war sie weg.
Die Musik war schrecklich. Wie nah sie sich plötzlich diesem Jungen fühlte, den niemand kannte. Fast besonders, doch dann wollte sie sich nicht zu abgehoben fühlen.
Wenn er hier wäre, würde er dann hier mit ihr stehen? Da, wo sie nicht mehr alleine war. Denn sie gehörte nicht wirklich dazu. Eigentlich tat das niemand.
Melanie kam nicht zu Lissa zurück. Sie hatte jemand anderes gefunden, um anzustoßen und zu tanzen. Das war besser so, dachte Melanie sich, kippte ihr helles Getränk aus dem Plastikbecher runter und schmiss die Arme in die Luft, während immer wieder andere Körper an sie stießen. Ihr war es egal. Lissa war zu verklemmt. Selbst wenn es irgendwie lächerlich war, man konnte ja mal Spaß haben. Und wenn es erst mit Alkohol klappte, war das doch auch nicht schlimm.
Der Gastgeber war wohl einer der betrunkensten. Das war immer der Plan. So viel trinken, bis es ihn nicht mehr kümmerte, dass die dreckigen Schuhe auf dem weißen Leder der Sofas landete, dass klebriges Bier über Stuhlpolster gekippt wurde, dass die Luft kaum noch zum Atmen gut war und die Musik eigentlich scheiße. Er war kein guter Gastgeber. Trotzdem und vielleicht genau deswegen schienen alle seine Partys zu lieben.
Das war es, was er brauchte. Aufmerksamkeit. Und die bekam er durch die Armbanduhr, die seine Eltern ihm von einer Geschäftsreise mitgebracht hatten, durch das Auto, das ihm seine Eltern zum Achtzehnten geschenkt hatten, durch die verschwenderischen Parys, die er schmiss, wenn seine Eltern wieder weg waren. Im Prinzip kam alles, was er war, durch seine Eltern. Und er dachte, es würde ihn glücklich machen.
Doch tief in sich war auch er unglücklich. Er hasste die Uhr und das Auto, nur die Partys waren gut, weil er sich betrinken konnte.
Und weil das schönste Mädchen der Schule da war. Sie saß am anderen Ende des Raumes und hielt gedankenverloren eine Flasche Bier in den Händen. Niemand sonst hätte sie für hübsch gehalten, nicht wirklich. Doch für ihn... Sie war sein Geheimnis. Er hatte es niemanden gesagt, denn das war kein Wettbewerb, wie der um Natalie oder Lea. Das hier war einzig und allein ein Wettbewerb gegen sich selbst. Sie war sein Geheimnis und niemand wusste es, nicht einmal sie selbst.
Was machte es so schwer, ihr näher zu kommen? Sie war so unnahbar. Eine Herausforderung. Ein Ziel. Sieg und Reichtum. Sie war so wunderschön.
Er stand auf und taumelte in die tanzende Menge. Noch ein wenig Spaß haben und dann würde heute die Nacht der Nächte auf ihn warten.
Die Sicht verschwamm, dann spürte Lukas einen Ellenbogen in den Rippen. Er musste da rauskommen, durchkommen. Beschissener, verdammter, verfickter Alkohol! Wie er ihn immer wieder in seine Arme schloss und ihm Gedanken in den Kopf setzte.
Er schaffte es, ins Bad zu kommen, drehte sich um, schloss ab und atmete tief ein. Automatisch, denn er selbst wusste nicht mehr, wie es ging, öffneten seine Hände die Hose, dann pinkelte er und zweifeltet an seiner Existenz.
Die anderen Jungs hätten ihn wohl ausgelacht, wenn sie gewusst hätten, dass Alkohol ihn zu diesem lebenhassenden Schwächling machte. Einige wurden aufbrausend, zeigten, was sie hatten. Doch er wollte heulen.
Etwas stimmte mit ihm nicht, dessen war er sich sicher. Es war diese fremde Sehnsucht, ein ungewolltes Verlangen. Ein Kribbeln auf der Haut, ein Ziehen in der Lippe.
Als er fertig war, blieb sein Blick im Spiegel hängen. Wie er diese Augen hassten. Er sah sich nicht, erkannte sich kaum durch den Schleier. Er schwankte und Gott, war ihm heiß! Er zog sich das T-Shirt über den Kopf, dann verließ er das Bad, ohne sich besser zu fühlen.
Er ging zurück ins Wohnzimmer, ließ seinen Blick durch die Körper schweifen.
Und dann stand da Vincent. Und sein Bauch flatterte. Er war gekommen. Er war tatsächlich gekommen.
DU LIEST GERADE
Eigentlich sind wir mehr, als das
Подростковая литератураHast du auch Geheimnisse? Geschichten, von denen niemand weiß? Die dich nachts in den Wahnsinn treiben? Eigentlich steckt doch viel mehr hinter den Fassaden der Mitschüler, als man denkt. Nicht nur hinter den eisigen Augen des mysteriösen Neuen, son...