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Jungkook

Die Zeit schien eingefroren zu sein, als ich gemütlich nach Hause schlenderte. Man hörte keine fahrenden Autos, keine freudigen Gespräche und kein herzliches Gelächter älterer Damen, die ich sonst auch immer freitags nach der Schule antraf. Kein Mensch weit und breit befand sich an diesem Nachmittag auf den Straßen Busans. Lediglich der pfeifende Wind gab mir das einzige Lebenszeichen dieser Erde.

Die Welt stand still und schien auf mich zu warten, bis ich sicher daheim angekommen war, ehe sie sich wieder unbekümmert in ihrer Geschwindigkeit um die Sonne drehen würde.

Die kalte Novemberluft umhüllte mich und ließ mich dabei wohlig in meine Jacke hineinschmiegen, während ich die ruhige Musik genoss, die über meine Kopfhörer in meine Ohren drang und diese entspannte Atmosphäre unterstrich.

Es war ein ganz normaler Tag. Die Schule war anstrengend - ich hasste es nach wie vor mich jeden Morgen auf den Weg dorthin zu machen -, die meisten meiner Mitschüler gingen mir auf die Nerven, die Lehrer zeigten mal wieder keine Gnade und bombardierten uns Schüler regelrecht mit Hausaufgaben und trotzdem stimmte mich dieser stinknormale Tag irgendwie glücklich.

Nach einem erfreuten Seufzer fuhr ich meinen Weg fort. Ich bog in die Straße mit den vielen Einfamilienhäusern ein und lief geradewegs auf eines dieser Häuser zu. Gedankenverloren kramte ich meine Schlüssel aus der Jackentasche, bevor ich die Tür schwungvoll öffnete.

Laut brüllte ich "Bin wieder zu Hause!" durchs Haus, ohne mit einer Antwort zu rechnen, während ich die Tür hinter mir ins Schloss fallen ließ. Eigentlich müsste meine Mutter noch in ihrer Praxis sein, doch es gab schon mehrere Tage, an denen sie mich mit ihrer plötzlichen Anwesenheit im Haus überraschte, weshalb ich mir dabei nie sicher sein konnte. Und heute schien wieder so ein Tag zu sein. Mit einem Kochlöffel in der Hand und einem Lächeln im Gesicht, das ich zu gern erwiderte, erschien meine Mutter aus der Küche.

"Na, wie war dein Tag?", fragte sie interessiert.

"Ganz gut, Mom. Eigentlich wie immer. Wie war die Arbeit?"

"Anstrengend. Am Morgen kamen viele Patienten auf einmal, das war kaum zu fassen. Ich habe echt keinen blassen Schimmer, wie ich sie alleine so schnell losgeworden bin."

"Du warst alleine?"

"Ja, viele meiner Arbeitskollegen sind krank, wahrscheinlich geht gerade die Grippe rum und die Einzigen, die da waren, können mir keine Termine abnehmen, da sie nicht fürs Therapieren zuständig sind. Und dann war da noch Juhee", genervt rollte sie mit ihren Augen, als sie sich womöglich ein bestimmtes Szenario ins Gedächtnis rief.

"Ich kann sie immer noch nicht leiden."

"Glaub mir, mein Hase, ich noch weniger. Sie denkt, sie sei in allem perfekt, dabei ist sie so gar nicht flexibel und war mir heute dementsprechend keine Hilfe. Ihre arrogante Persönlichkeit stört das Aufbauen des Vertrauens unserer Patienten und auch die Art, wie sie mit anderen Kollegen umgeht, geht mir wirklich auf den Geist. Ich sag's dir, demnächst ist sie arbeitslos und das ohne jegliche Verzögerungen."

"So sehr du sie auch feuern willst, ich weiß, dass du es sowieso nicht tun wirst, Mom. Dafür bemitleidest du sie zu sehr", unterbrach ich bedauernd ihren Plan.

Auch wenn meine Mutter jemanden nicht leiden konnte, könnte sie niemals so herzlos sein und jemanden einen derartigen Schaden hinzufügen, das erlaubte ihr Gewissen einfach nicht. Es sei denn, diese Person hatte eindeutig Mist gebaut, dann wäre sie theoretisch gezwungen solch eine Entscheidung für das Wohl und für den Ruf der Praxis zu treffen.

"Mag sein. Vielleicht mache ich damit auch nur leere Drohungen, um ihr Angst einzujagen, sodass sie endlich aufhört - oder zumindest für eine geraume Zeit. Das ist echt kaum auszuhalten mit ihrer großen Klappe.", stellte sie nach einem Kopfschütteln fest. "Abgesehen davon war's bei mir auch eigentlich wie immer."

Love Maze| ᵗᵃᵉᵏᵒᵒᵏWo Geschichten leben. Entdecke jetzt