Jungkook
Ich hatte schon mehrere Anstarrwettbewerbe gegen Fremde gehabt. Häufig fanden sie in der Bahn statt, wenn ich in Richtung Innenstadt wollte und oftmals verlor ich sie, da sie mir ab einen bestimmten Zeitpunkt besonders unangenehm waren, weshalb ich schneller dazu neigte den Blickkontakt abzubrechen. In den seltensten Fällen konnte ich den Wettbewerb aufrecht halten und dies meistens gegen Kleinkinder, die mich dann hinterher anlächelten, als ob sie mir somit versicherten wollten, dass sie mir nichts Böses wollten.
Auf diese Sichtweise reflektierend war es schon verdammt traurig.
Solche Situationen waren mir jedoch bekannt, es war nichts neues, dass ich in die Augen einer Person mir gegenüber sah und diese Person den Blick erwiderte, sodass eine Art Wettkampf sich daraus entpuppte, wer wohl am längsten den Blick standhalten konnte.
Aber dieser Anstarrwettbewerb übertraf alles.
Es fühlte sich so an, als ob dieser fremde Junge vor mir mühelos in meine Seele starren konnte, mühelos in meine tief verborgenen Gedanken herumwühlen konnte wie es ihm passte, meine Charakterzüge herauslesen konnte, wie ein offenes Buch und binnen Sekunden mich kannte, obwohl er mich nie zuvor in seinem Leben gesehen hatte. Und ich? Ich sah ihm dabei schutzlos zu und fand diese Tatsache ziemlich unfair.
Mir war es so unangenehm, dass ich den Blickkontakt jedes Mal abbrach, lieber die Klingel neben ihm oder meine Hausschuhe anschaute, die plötzlich wesentlich interessanter erschienen, doch trotz meines Unwohlseins, sah ich zwischendurch auf, um mich zu vergewissern, ob er mich noch immer so intensiv musterte. Genau so unauffällig wie ich hinschaute, sah ich dann wieder weg, weil sein Blick immer noch so auf mir lag, als wäre er eingefroren.
Ich merkte wie meine Hände anfingen zu schwitzen, anfingen leicht zu zittern, was mich in den Wahnsinn trieb, währenddessen ich plötzlich das Gewicht in ihnen wahrnahm. Meine Aufmerksamkeit lenkte sich auf das Paket, welches ich durch den wirren Gedanken sowie den Schock, der mich wie in einen Trancezustand warf, völlig vergessen hatte.
Doch nun fiel mir mit einem Mal wieder ein, weshalb ich mir das alles antat und warum ich mich eigentlich vor diesem Jungen befand.
"A-also..", fing ich kleinlaut an, während ich das Paket voll Mochis in meinen Händen musterte.
In meinem Kopf schwirrten die Worte durcheinander umher, ich versuchte sie zu erfassen und in einen vernünftigen Satz unterzubringen, aber so wie es von mir zu erwarten war, funktionierte es nicht, wodurch die Nervosität wieder anstieg.
"E-ehm.. a-also.."
Oh man, es konnte doch nicht so schwer sein, oder?
Langsam hob ich den Kopf an, sah schüchtern den fremden Jungen vor mir an, der sich lässig an den Türrahmen lehnte, den Blick aber unverändert ließ.
Ich kratzte mir das letzte Bisschen Mut zusammen, welches durch die Motivation mich nicht weiter zu blamieren zu Stande kam und schloss für eine Sekunde die Augen, während ich den Klos in meinem Hals runterschluckte und innerlich bis drei zählte.
"Also, w-was ich sagen wollte...", ich holte tief Luft.
Jeon Jungkook, du bringst das jetzt gefällig hinter dir.
Kurz räusperte ich mich.
Meine Nerven schienen blank zu liegen, trotzdem fing ich an zu reden.
"Was ich sagen wollte, war.. ehm.., d-dass meine Mom f-für euch M-Mochis gemacht hat.. als eine Art Willkommensgeschenk.. ehm.. von uns.. uns Jeons.."
Nach jedem Wort, welches meinen Mund verließ, nach jedem Stottern, welches ich über die Lippen brachte, zog ich die Schultern beschämend immer ein Stück weiter hoch, während mein Gesicht immer mehr die Farbe Rot annahm.
War es nicht lächerlich, dass ich mich davor fürchtete mit neuen Leuten in Kontakt zu treten, obwohl sie mir nichts taten?
Ich wollte weg. Jetzt sofort.
Zögernd streckte ich meine Arme aus und reichte ihm die Mochis hin, wobei wir uns gegenseitig nicht aus den Augen ließen, um nicht einmal die kleinste Bewegung des jeweils anderen zu verpassen.
Die Zeit schien stehenzubleiben, niemand rührte sich vom Fleck. Er zog bloß eine Augenbraue skeptisch in die Höhe. Mit einem Mal sah ich neben dieser Kälte in den Augen etwas Spöttisches, welches mich noch kleiner machen ließ, mich eine bescheuerte Haltung einnehmen ließ, die mit Leichtigkeit die Unsicherheit noch deutlicher machte und das Verlangen zu verschwinden bloß verstärkte. Vor allem, weil ich mir so gut wie sicher war, dass dieser Spott an mich adressiert war. Ich kam mir so dämlich vor.
Einen Schritt machte er auf mich zu, meine Augen weiteten sich ein wenig, mein Herz fing vor Nervosität an verrückt zu spielen.
Schwungvoll nahm er mir das Paket ab, kehrte um und boom, ließ die Tür hinter sich zu fallen, wodurch ich wie ein verschrecktes Reh heftig zusammenzuckte.
Leere. Stille.
Fassungslos starrte ich diese Tür an.
Das... das konnte doch nicht sein Ernst sein, oder?
Immerhin gab ich mir Mühe wie ein normaler Mensch mit ihm zu reden und von ihm bekam ich nicht mal ein kurzes "Danke"? Nur so einen dummen Blick, der mir sagte, wie unterlegen ich ihm bin?! Der mir sagte "oooh, schaut mich an, ich bin der Größte"?!
Die Angst von vorhin war so gut wie vergessen, für sie war keine Platz mehr, da ich in diesem Moment so aufgebracht war, wie schon so lang nicht mehr und das aufgrund des unhöflichen Jungen, dessen Namen ich immer noch nicht wusste.
Mit einem zornigen Gesichtsausdruck kehrte ich um und stampfte zur anderen Straßenseite.
"Oh, hi Jungkook!", rief mir Lisas liebliche Stimme zu, wofür ich nur ein knappes Hallo und ein halbes Lächeln übrig hatte, ehe ich an ihr vorbeimarschierte. Ihr verwirrter Gesichtsausdruck, genauso wie ihr leises konfuses "Okay..?" entgingen mir dabei nicht, allerdings war es mir in diesem Moment sowas von egal, was ihr gerade durch den Kopf ging, da ich nur an diesen Jungen gegenüber dachte, der mir die Laune am morgen erfolgreich verdorben hatte.
Ich habe es von Anfang an gewusst, dass der kurze Abstecher bei den Kims gewaltig schief laufen würde und der Fakt, dass mein Bauchgefühl, welches schon oft einen falschen Alarm bekannt gab, diesmal recht hatte, brachte das Fass endgültig zum überlaufen.
Ein letztes Mal sah ich mir das Haus gegenüber mit einem beleidigten Schnauben an, als ich an meiner eigenen Haustür ankam, bevor ich sie gewaltig aufriss und sie letzten Endes genau so bescheuert zu knallen ließ, wie er es getan hatte.
°Love Maze
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Love Maze| ᵗᵃᵉᵏᵒᵒᵏ
FanfictionJungkook ist ein ziemlich schüchterner Schüler, der es unter keinen Umständen wagen würde seine wohlgeliebte Komfortzone zu verlassen. Schon immer war er ein Feind der plötzlichen Lebensumstellungen und findet diese auch nicht nötig: sein Leben gefä...