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"ich muss dir etwas sagen."

Ich sehe ihn an. Am liebsten würde ich ihm über die stoppelige unrasiert Wange streichen...

"ja, was musst du mir sagen?"

"ich habe gelogen. Ich brauche keine Übersetzerin und hatte vor dir auch noch nie eine. Keiner ist abgesprungen für den du dringend einspringen musstest. Ich wollte dich einfach gerne dabei haben."

"ach, Reeve, das weiss ich längst. Weil ich wie eine kleine Schwester für dich bin." Ich starrte auf die Bettdecke.

"Ellen, nein!" Reeve schüttelte den Kopf und griff nach meiner Hand. "Ich, also..... Ich"

Ich sah ihn fragend an. "Ja?"

Da klingelte plötzlich sein Handy. "entschuldige bitte." Reeve sprang auf und lief hin. Und ich blieb verwirrter als je zuvor sitzen.

Zurück in meinem Hotelzimmer duschte ich und machte mich fertig, später würde uns ein Taxi zum Flughafen bringen, die nächste Station war Frankreich. Ich hatte keine Ahnung was ich da tun sollte und kam mir überflüssig vor. Ich war also eine Art Vorzeige-Dame die Reeve ohne Grund begleitete und dafür Geld kassierte. Ich fühlte mich schlecht. Das war nicht was ich wollte. Ich würde Reeves Geld nicht annehmen, es kam mir falsch vor und ich wünschte ich könnte nach Hause zu Liam. Ich vermisste ihn schrecklich. Aber jetzt kamen noch ein paar Tage in Frankreich und dann ein paar in Spanien auf mich zu. Mal sehen was mich da erwarten würde. Als Reeves "kleine Schwester" das war es nicht was ich für ihn sein wollte. Er gefiel mir täglich besser. Ich durfte das nicht zulassen, redete ich mir ein. Aber was sollte ich tun? Zuhause würde ich ihn nicht mehr sehen, das hatte doch keinen Sinn. Ich spürte wie mir die Tränen kamen. Mist. Da klopfte es auch schon. "bist du fertig, Lady? Wir essen noch was und dann geht's weiter!" er klang wieder so fröhlich wie immer. Ich verbiss meine Tränen und versuchte ebenso fröhlich zu klingen als ich die Tür öffnete.

"Klar, wir können sofort los!"

Was für eine Qual....

Als wir unser Hotel in Montpellier bezogen hatten fragte Reeve mich ob ich mit ihm shoppen wollte. Ich wollte etwas für Liam und Fernanda mitbringen, also sagte ich ja. In dem großen Einkaufszentrum trennten wir uns und ich schaute mich in verschieden Läden um. Eine Frau fiel mir auf die mich beobachtete. Sie schaute so komisch zu mir dass es mir unheimlich wurde und ich den Laden verließ und Reeve suchte. Ich fand ihn in einem Juwelier. "gefällt dir diese Kette, Lady?"

"ja, hübsch. Für wen soll die sein?"

"naja, ich habe gemerkt dass du keinen Schmuck trägst. Und da dachte ich mir..."

"nichts da, Reeve! Das kommt überhaupt nicht in Frage!" Ich wurde sauer. "Ich bin nicht dein Maskottchen!"

"hey, so habe ich das auch nicht gemeint!"

Das wurde mir alles zu dumm, ich verließ den juwelier und setzte mich auf eine Bank. Mir war nach heulen zumute.

Und da war auch wieder diese unheimliche Frau! Sie war wirklich sehr schön, hatte lange dunkle Haare und strahlende Augen. Sie kam jetzt direkt auf mich zu und fragte mich was auf französisch.

"Tut mir leid, ich verstehe Sie nicht." antwortete ich auf englisch.

"spanisch? Deutsch?" fragte sie.

"Ja?"

Die Frau war total nervös, sie zitterte und schlug sich die Hand vor den Mund. Was war hier eigentlich los? Zum Glück stand jetzt auch Reeve hinter mir. "Was ist hier los?"

"Elena?" fragte die Frau mit erstickter Stimme. Und jetzt fiel es mir wie schuppen von den Augen. Das konnte doch nicht wahr sein? Meine Schwester? Aus Deutschland? Die ich das letzte Mal sah als ich noch ein Kind war und die heiraten musste weil mein Vater das wollte....

"Schwester? Marisa?"

Und schon fiel sie mir schluchzend um den Hals.

Reeve stand Verständnislos daneben. Wir umarmten uns lange und lachten und weinten gleichzeitig. Das war doch nicht möglich!

Das Glück meine Schwester gefunden zu haben war überwältigend. Alles andere rückte in den Hintergrund. Ich wollte mich gar nicht von ihr verabschieden und wir verabredeten uns noch für den gleichen Abend in einem Restaurant. Wir hatten uns so viel zu erzählen! Reeve freute sich aufrichtig für mich, das sah ich. Er ging auch ganz selbstverständlich alleine zu seinem geschäftsessen. Und als meine Schwester mich am nächsten Tag zu sich und ihrer Familie einlud schlug sie vor, Reeve solle mitkommen. Das war mir ganz recht. Meine Schwester war seit kurzem wieder mit dem Mann zusammen der sie damals unserem Vater "abgekauft" hatte. Sie hatte ihm verziehen und die beiden hatten fünf gemeinsame Kinder. Ihr Schicksal berührte mich sehr. Ich konnte mich noch an den Mann erinnern, immer mehr Erinnerungen wurden in den Gesprächen mit ihr wach. Er hatte mir und meiner anderen Schwester Süßigkeiten aus Frankreich mitgebracht und ich erinnere mich daran, dass ich ihn einschüchternd fand. Und an all die Tränen die Marisa nachts in unserem gemeinsamen Zimmer geweint hatte, wochenlang, jede Nacht, bis zu ihrer Hochzeit...meine eigene Hilflosigkeit...

Sie wusste nichts von unseren Brüdern. Unser Vater und unsere Abuela waren gestorben. Aber unsere Schwester Alicia lebte in Deutschland! Marisa hatte noch regelmäßig Kontakt zu ihr. Sie war tatsächlich sofort aufgebrochen und würde an diesem Abend bei Marisa ankommen um mich zu sehen. Ich war so unendlich glücklich meine Schwestern wieder zu sehen!

Meine Gedanken um Reeve rückten immer weiter in den Hintergrund. Trotzdem war ich ihm für seine Unterstützung unendlich dankbar. Marisas Mann schien tatsächlich nicht mehr so ein Tyrann zu sein wie früher.

Und ihre Kinder waren bezaubernd. Wir redeten stundenlang, bis spät in die Nacht hinein. Irgendwann zog mich Alicia zur Seite. "Dein Begleiter, Reeve.... Da läuft doch was zwischen euch?"

Ich schüttelte den Kopf. "Nein, wir sind nur Freunde."

Marisa sah mich ungläubig an : "Also dieser Junge Mann ist jedenfalls Hals über Kopf in dich verknallt, das kann man ja auf 100m Entfernung sehen!"

"nein, er sieht mich als eine Art Schwester. Das sagt er selbst."

"ha! Man merkt wirklich dass du nicht viel Erfahrung mit Männern hast, Elena!" meine Schwestern lachten.

Hatten sie vielleicht recht?

Als wir an diesem Abend ins Hotel zurück kamen war es schon sehr spät. Aber ich war so glücklich! Übermütig hakte ich mich bei Reeve ein. Er lachte und drückte mich, er freute sich aufrichtig für mich!

"Ich bin viel zu aufgeregt um zu schlafen!"

"sollen wir noch ein bisschen auf meine Terrasse? Es ist noch immer schön warm." Reeve sah von oben zu mir herunter.

"Ja, gerne!"

Und als wir nun da saßen und redeten legte Reeve plötzlich seine riesige Hand auf meine Wange. Ich verstummte. In mir begannen tausend Ameisen ein Wettrennen. So fühlte es sich an. Reeve sah mich ernst an, seine Augen dunkel.

Etwas passierte hier grade. Ich konnte es nicht einordnen.

Reeve beugte sich vor und küsste mich sanft. Es fühlte sich unglaublich an. Es war, als stünde ich plötzlich unter Strom. Ohne ein Wort zu sagen zog er sich atemlos zurück. Ich hielt ihn fest und Strich ihm durch das Haar. Unsere Augen waren wie verankert miteinander. Plötzlich stöhnte Reeve auf und packte mich um mich zu küssen und zu küssen. Es fühlte sich so gut an!

"Gott, Ellen, was machst du mit mir" flüsterte er.

"Reeve!"

Mehr konnte ich nicht sagen, er trug mich mit Leichtigkeit hinein und legte mich auf sein Bett, unsere Körper kommunizierten ohne Worte...

MafiabrautWo Geschichten leben. Entdecke jetzt