[Alexandra]
Genervt rufe ich meiner Mutter ein ,,Tschüss" zu und schließe die Tür hinter mir. Meine Beine fühlen sich schwer an, von dem ganzen Sport den ich gestern gemacht hatte und mein Magen knurrt vor Hunger.
Mit einem seufzen lasse ich meine Beine, meinen Körper nach unten tragen und bin stolz auf sie als wir ohne vor Müdigkeit und Erschöpfung die Treppe runterzufallen unten angekommen sind.
Als ich durch die untere Haustür gehe weht mir ein starker, süßlicher Geruch entgegen. Ich erkenne es sofort. Es ist Gras.
Jonas steht mit einem Joint in der Hand lässig an der Hauswand angelehnt.
Ich schaue direkt in seine grün-braunen Augen.
,,Guten morgen, Alexandra." lächelt er mich an und nimmt noch einen Zug von seinem Joint.
Als er ausatmet zieren die leichten Rauchwolken die kalte Luft.
,,Guten Morgen." Ich sehe ihn verwundert an.
,,Bitte, bitte nenn mich nicht Alexandra. Ich hasse das." Füge ich hinzu und merke, dass ich wie ein kleines quängeliges Kind klinge.
,,Alles klar, Alex." Er lächelt wieder und lässt seinen Joint zu Boden fallen. Ich stehe noch immer vor der Haustür und weiß nicht was ich sagen soll oder warum er da steht. Anscheinend sieht er mir meine Verwirrung an. ,,Ich wollte mit dir zusammen zur Schule laufen, dachte du hast nichts dagegen." Ich nicke nur und laufe los. Jonas stößt sich mit seiner Schulter von der braunen Backsteinwand ab und läuft mir hinterher.
Wenige Minuten später kommen wir in der Schule an und eine gefühlte Ewigkeit später ist endlich schulschluss und ich stehe mit meinem Handy in der Hand vor dem Schulgebäude und suche mir ein Lied aus. Ich gehe durch meine Playlist aber ich habe jeden Song schon so oft gehört, dass sie mich alle nur noch nerven. Seufzend stecke ich mein Handy wieder ein und laufe los. Jedoch dauert es keine fünf Sekunden bis eine mir vertraute Stimme meinen Namen ruft: ,,Hey Alex, du kannst doch nich so einfach ohne mich gehen." Es ist Jonas. Ich zucke nur mit den Achseln, da mir keine gescheite Antwort darauf einfällt.
In mir tut sich bloß die Frage auf, was er von mir möchte. Nicht, dass ich seine Anwesenheit nicht dulden würde. Nein, es freut mich sogar ein wenig, aber wir hatten so lange nichts mehr miteinander zu tun gehabt, obwohl ich im vierten Stock, direkt unter ihm wohne und jetzt plötzlich redete er mit mir und wartete auf mich vor der Tür. Nur wegen einer Gruppenarbeit, die uns gezwungener Weise dazu brachte zu reden? Ich versuche es zu verstehen oder eine Intention dahinter zu finden aber anstelle dessen macht sich nur ein dickes Fragezeichen in mir breit.
Vor meiner Tür angekommen kann man meine Mutter und ihren neuen Freund streiten hören. Es ist mir unangenehm, dass Jonas immernoch neben meiner Tür steht als ich sie leise öffne und das geschreie so noch lauter zu hören ist. Ich schaue ihn an und überlege was ich sagen soll. Allerdings sage ich einfach nur: ,,Tschüss." Jonas sagt nichts und macht auch keine Anstalten sich vom Fleck zu bewegen.
Ich möchte grade einen Schritt in die Wohnung machen, um so schnell und leise es geht in mein Zimmer zu huschen, als Jonas mich an meiner Schulter antippt. Verwirrt und ein wenig erschrocken schaue ich ihn an. Er atmet kurz auf. ,,Möchtest du lieber mit zu mir kommen? Nur bis der Streit vorbei ist." Ich stammel ein leises ,,Ja", weil ich nicht mit dieser Frage gerechnet habe und schließe die Tür wieder. Dann gehen wir zusammen die Treppen hoch in seine Wohnung.
Ich erinnere mich damals schon ein paar mal drin gewesen zu sein, habe aber nurnoch eine vage Vorstellung davon, wie es aussieht. Als wir seine Wohnung betreten kommt mir ein süßer Geruch entgegen, den ich unter Hundert Gerüchen wiedererkennen würde. Vanille. Ich liebe diesen Geruch, weil er einerseits eine ruhige und andererseits eine erotische Stimmung verbreitet. ,,Es riecht gut hier." Höre ich mich sagen. Es war nicht meine Absicht meine Gedanken laut auszusprechen. Es beruhigt mich, dass Jonas schmunzelt.
,,Meine Ma' liebt den Geruch von Vanille."
,,Ich auch."
Ich lächel und schaue mir die Bilder an, die im Flur hängen. Kinderfotos von Jonas. Damals, als Kind, habe ich nicht darauf geachtet was für Bilder im Flur hingen. Meistens waren wir sowieso draußen.
,,Geh einfach durch und rechts in den Flur, dann die Linke Tür." Ich folge seinen Anweisungen und laufe vor. Als ich sein Zimmer betrete kommt mir ebenfalls ein süßlicher Geruch entgegen, aber ein anderer. Es ist Gras.,,Kommt deine Mum nie in dein Zimmer? Hast du keine Angst, dass sie es bemerkt?" Ich drehe mich zu ihm und wie ein Schlag ins Gesicht merke ich, was ich da gerade gefragt habe, dazu auch noch in einem Tonfall, der irgendwie sehr nach Verurteilung klang. ,,Oh, tut mir leid Jonas. Ich wollte nicht unfreundlich sein." Beschämt schaue ich zu Boden.
,,Nein ist schon Okay. Sie kommt sehr selten rein. Das hier ist mein Privatbereich und da es hier nicht ganz so unordentlich ist, findet meine Ma' das auch okay." Ich schaue wieder hoch, um in seine Augen zu sehen. Ich suche nach einem Funken Enttäuschung oder Wut, auf die Fragen, die ich stellte aber ich finde nichts. Es macht ihm wirklich nichts aus und das beruhigt mich. ,,Du kannst dich ruhig setzen, wenn du magst. Möchtest du was trinken?" Ich stelle meine Tasche neben sein Bett und setze mich dann.
,,Gerne. Ein Glas wasser würde schon reichen.",,Kommt sofort."
Er verschwindet um die Ecke und ich höre es in der Küche scheppern. Kurz darauf kommt er wieder zurück. In seiner Hand hält er zwei Blaue Cola Gläser, vermutlich diese, die man als Sonderangebot manchmal bei McDonalds dazu bekommt. Eins davon drückt er mir in die Hand, das andere stellt er auf seinen Schreibtisch, nachdem er einen großen Schluck davon genommen hat. ,,Danke."
Dann holt er eine Schachtel aus seiner Schreibtischschublade. Es ist eine Zigarettenschachtel. Er öffnet sie und hält sie mir entgegen. ,,Rauchst du?" Ich schüttel meinen Kopf abwährend und schaue ihn unschuldig an. ,,War klar." Murmelt er vor sich hin und steckt die Schachtel wieder zurück an ihren vorherigen Ort. Ich beschließe, nichts dazu zu sagen.
,,Bist du eigentlich gut mit Sheila?" Fragt Jonas aus dem nichts.
,,Wir haben nicht viel miteinander zu tun, wir sitzen einfach nur nebeneinander. Wir sind beide irgendwie ein bisschen ausgestoßen. Das passte halt. Aber eigentlich ist es auch nur Zufall, dass wir zusammen sitzen."
Er nickt nur.
Heimlich frage ich mich, ob er einer von diesen Jungs ist, die auf Mädchen wie Sheila geiern.
Nach meiner Antwort erwähnt er Sheila kein einziges mal mehr und auch kein anderes Mädchen. Wir plaudern einfach nur ein bisschen über dies und jenes und ich bin erstaunt darüber wie viele Ansichten wir teilen, obwohl wir so komplett verschieden sind. Irgendwann, nachdem wir eine Halbe Stunde keinen Mucks mehr aus meiner Wohnung hören, gehe ich wieder runter.
Tatsächlich ist der Streit beendet. Meine Mum und er sitzen still zusammen am Küchentisch. Er rauft sich die Haare und sie schaut ihn mit verschmierten Maskara an bis er ihre Hand nimmt und sie sich schweigend anstarren.
Ich gehe leise und ohne Begrüßung in mein Zimmer. Als ich meine Jacke an die kleine Garderobe hinter meine Tür hängen möchte, fällt mir ein Zettel auf, der aus meiner Jackentasche hervorschaut. Verwundert schaue ich ihn noch ein paar millisekunden an, bevor ich ihn heraushole und langsam öffne. Auf ihm steht etwas mit krakeliger aber dennoch schöner Schrift geschrieben.
,,Melde dich, wenn du etwas brauchst: +4916875643365.
-Jonas"
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Könige der Unterschicht
Genç Kurgu"Wir wussten wie toxisch unsere Freundschaft war und auch, dass wir uns gegenseitig zerstörten und kaputt machten aber wir halfen uns auch wieder hoch, wenn wir zu tief gefallen waren und gaben uns Kraft, die wir brauchten um nicht an unseren Proble...