~16~ Ankunft

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Oklahoma City, Oklahoma
So 29.11.2012
7:00 Uhr

~Lyra pov.~

,,Ich freue mich mega auf den neuen Job! Aber ich will dich auch nicht missen, Lee..." jammerte ich, als wir am Eingang des Flughafens ankamen.
,,Mach dir darüber mal keine Gedanken, Lyra. Es sind zwar fünf Monate, aber ich verspreche dir, dich jeden Abend an zu rufen oder, wenn das nicht geht, dir zu schreiben.
Freu dich einfach auf den Job und lass dir das durch nichts und niemanden vermiesen! Ja?" muntere er mich auf und schenkte mir ein breites Lächeln.
,,Ja! Aber jetzt muss ich langsam mal...
Bis bald, Lee Pace." Ich zog ihn in eine feste Umarmung, die er sofort erwiderte.
,,Bis dann, Lyra Boyd." verabschiedete er sich und ich ging schweren Herzens los, auf zur ersten Kontrolle.
Bevor ich gänzlich verschwanden drehte ich mich ein letztes mal um und winkte Lee zum Abschied.
Auch er winkte und schenkte mir ein letztes mal dieses bezauberndes Lachen.

An meinem endgültigem Ziel angekommen, atmete ich ersteinmal die schöne Landluft ein.
Für diesen einen Tag würde ich noch in einem Hotel schlafen, doch morgen ging es dann auf zu meinem neuen Arbeitsplatz und dort würde ich auch leben.

Da es in diesem Land sieben Uhr Morgens war, packte ich meine Sachen gar nicht erst aus, sondern begab mich direkt zum Frühstück. Mein zweites Frühstück heute, wohlbemerkt.
Es schmeckte wirklich lecker, vor allem der Lachs hatte etwas besonderes an sich.
Irgend wann entschloss ich mich dazu, hoch in mein Zimmer zu gehen und meine Klamotten ein zu räumen.
Und wiedereinmal blieb mein Blick an den kargen Wänden hängen.
Die Zeichnungen Zuhause hatte ich nur kurz gesehen, als ich meine Koffer packte.
Die Zwei Wochen davor hatte ich bei Lee verbracht und somit hatte ich auch keine Chance, sie zu sehen.

Etwas tief in meinem Inneren schrie danach, dieses Stückchen Vergangenheit in meiner Nähe zu wissen, sehbar.
Nur durch die Zeichnungen hatte ich es geschaft, mit allem umgehem zu können. Es zu verarbeiten.
Natürlich war der Schmerz der Erinnerung nach wie vor da. Doch ich konnte damit leben. Es war nicht so schlimm, nicht so present wie damals.
Und nun? Nun war ich hier, hier in einem fremden Land, ohne auch nur eine einzige Zeichnung bei mir zu haben.

So griff ich wie automatisiert nach meinem Zeichenblock und meiner piniebel geordneten Bleistift-Box, setzte mich in den schönen, alten Sessl, zog meine Beine an und begann zu zeichnen.
Irgend wann verlor ich mich in meiner Zeichnung, mein Kopf übernahm die Kontrolle.
So war es schon immer. Wenn ich an damals dachte und etwas von diesem Ereignis zeichnen wollte, zeichnete nicht ich, sondern mein Kopf und mein Herz.
Als der letzte Strich getan war, kehre ich ins hier und jetzt zurück.
Mein Blick haftete wie Kleber an der Zeichnung.

Sie zeigte den 24h-Kiosk von außen. Durch die Fenster und die gläserne Tür konnte man sehen, wie wir alle an der Kasse standen. Ich dem jungen Mann zugewandt, der nach wie vor kein Gesicht hatte, hinter ihm der Mann mit der Pistole. An sein Gesicht konnte ich mich genau erinnern, an jedes einzelne Detail. An diese wahnsinnigen Augen, an die Narbe am Kinn.          Auch der Ladenbesitzer hatte kein Gesicht, an ihn hatte ich mich nach einiger Zeit wieder erinnert, jedoch nur schemenhaft.

Ich war unglaublich zufrieden mit meinem Werk und hing es an den Kleiderschrank. Mit dem Fakt, mich nicht an das Gesicht meines Rettert erinnern zu können, habe ich mich schön längst abgefunden.
Jahrelang hatte ich versucht, es mir wieder ins Gedächtnis zu rufen. Doch es klappte nie und so gab ich es auf.

Den ganzen, restlichen Tag zeichnete ich, und all meine Zeichnungen landeten am Kleiderschrank oder sonst wo, wo ich sie gute vom Bett aus sehen konnte.
Ein Blick auf meine Uhr ließ mich staunen. Es war schon nach fünfzehn Uhr. Hatte ich wirklich so lange gezeichnet?
Verdammt! Daheim war es doch schon nach elf Uhr Abends!
Ich musste Lee doch noch anrufen! Also, ich wollte es viel eher!
Eilig stand ich auf, legte meine Sachen weg und griff nach meinem Handy.
Hoffentlich wecke ich ihn nicht.
Hoffte ich inständig. Genau im diesem Moment hob er ab.

,,Hey, Lyra!" Das Lachen in seiner Stimme konnte ich nicht überhören.
,,Hey, Lee. Ich hoffe, ich habe dich nicht geweckt?"
,,Nein, keine Sorge. Ich hab noch nicht geschlafen." beruhigte er mich direkt.
,,Phu.. Dann bin ich ja froh. Tut mir echt Leid, dass ich erst jetzt anrufe. Aber ich hab die Zeit aus den Augen verloren und bei mir ist es erst drei Uhr am Nachmittag." erklärte ich mich eilig.
,,Ist doch kein Problem. Ruf einfach an, egal wie viel Uhr es bei dir oder mir ist."
,,Wirklich?" wollte ich erstaunt wissen.
,,Klar! Aber sag. Alles gut bei dir? Du bist doch heute noch im Hotel, richtig?"
,,Ja, bin ich. Alles ist echt super hier. Die frische Luft. Das Essen. Und morgen Früh geht's dann auf zu meinem neuem Arbeitsplatz." freute ich mich total. So aufgeregt war ich seit langem nicht mehr.
,,Das klingt doch toll! Und ich wünsche dir jetzt schon mal alles Gute für morgen."
,,Danke, Lee."

Wir telefonierten wirklich eine Ewigkeit. Über alles und jeden. Über Gott und die Welt eben.
Ich vermisste seine Nähe, seine Anwesenheit, seine ruhige Art jetzt schon. Aber da musste ich nun mal durch. Und für so einen Job würde ich auch noch weiter weg fliegen.
Denn so ein Angebot bekam man nicht immer.

,,Du Lyra, langsam werde ich echt müde. Es ist schon... drei Uhr Morgens. Ich glaube, ich sollte mal ins Bett." lachte er erstaunt. Wir beide hatten wohl nicht damit gerechnet, dass wir vier Stunden plaudern.
,,Das ist eine gute Idee, Lee. Dann wünsche ich dir eine Gute Nacht."
,,Und dir noch einen schönen Abend und viel Glück für morgen. Wir hören uns. Bye."
,,Bye."
Damit legten wir beide gleichzeitig auf und ich war wieder alleine. Doch der Gedanke, morgen wieder mit ihm zu reden, heiterte mich auf.
Genau so glücklich machte es mich, endlich neunzehn Uhr zu haben. Die perfekte Zeit, um essen zu gehen!

Während des Essens jedoch grübelte ich die ganze Zeit.
Ich wusste, dass die Maße an den Darstellern schon genommen wurde. Eigentlich machte ich das lieber persönlich. Doch ich vertraute dem Regisseur und zudem bedeutete es weniger Arbeit.
Wobei... Kostüme schneidern brauchte seine Zeit. Vor allem solch Aufwendige!

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