Ich warte und warte und warte.
Teo hat nur heute Nacht gesagt. Er hat nicht gesagt, welche Uhrzeit.
Ich will ihn auf keinen Fall verpassen, also sitze ich schon seit zwei Stunden hier. Ich schaue auf die Armbanduhr, die ich mir aus Héctors altem Zimmer geklaut habe.
Héctors Sachen stehen immer noch in seinem Zimmer. Das Bett, der Schrank, der Schreibtisch. Poster von irgendwelchen Westernfilmen an den Wänden.
Héctor ist erst vor ein paar Monaten ausgezogen und Mamá hat es noch nicht übers Herz gebracht, sein Zimmer, das er sich vorher mit Abelardo geteilt hat, leerzuräumen.
Bei Jaime hat es drei Jahre gedauert.
Aber wahrscheinlich nur, weil ich immer in seinem Zimmer gespielt habe. Manchmal habe ich auch in Jaimes Bett geschlafen.
Ich vermisse Jaime. So sehr.
Ich habe Mamá gefragt, ob ich ihn anrufen kann. Sie hat gesagt, er ist viel beschäftigt. Ich habe gesagt, dass ich es wenigstens versuchen will. Sie hat mich lange angeschaut und mir dann seine Nummer auf ein Blatt Papier geschrieben. Sie weiß die Nummer auswendig. Ich habe gefragt, warum sie die Nummer auswendig weiß. Sie ist mir nur mit ihrer Hand traurig durch die Haare gefahren und hat gesagt, ich soll nicht zu enttäuscht sein, wenn ich ihn nicht erreichen kann. Er ist viel beschäftigt, hat sie wieder gesagt.
Ich werde ihn morgen anrufen. Jaime. Ich werde aufgeregt bei dem Gedanken daran, seine Stimme zu hören. Jaime.
Mein großer Bruder Jaime.
Er war immer mein Vorbild.Es ist fast Mitternacht, als ich endlich Schritte im Sand höre. Ich drehe mich auf dem Klettergerüst um und sehe Teo unten stehen. Er schaut nicht auf, als er zu mir hochklettert.
Er setzt sich neben mich und ich bin erleichtert, dass er mir so nah ist wie früher."Wie lange bist du schon hier?", fragt er.
"Seit Zweieinhalb Stunden."
Teo nickt bloß. Er starrt hinauf in den Himmel.
Es vergeht eine ganze Weile, in der keiner von uns etwas sagt."Es tut mir Leid wegen dem Versprechen", wispert Teo leise. Als hätte er Angst, die funkelnden Sterne zu verschrecken.
Ich schaue ihn an. Er schaut mit leicht geöffneten Lippen in den Himmel. In seinen dunklen Augen spiegeln sich die Sterne, als ob seine Augen selbst ein ganzes Universum hielten.
Das tun sie, kann ich nicht anders als zu denken. Sie halten mein ganzes Universum.Der Gedanke tut so sehr weh, dass ich den Anblick nicht länger ertragen kann.
"Warum hast du es dann versprochen?", hole ich ihn und am meisten mich selbst zurück in die Realität.
Ich höre ihn seufzen, traue mich aber nicht, ihn anzuschauen. Ich habe Angst, nochmal die Sterne in seinen Augen zu sehen.
"Glaubst du, ich breche es mit Absicht?", fragt er ruhig.
Ich zucke mit den Schultern. Ich weiß es nicht.
Plötzlich spüre ich seine kalten Finger unter meinem Kinn. Er bewegt meinen Kopf in seine Richtung, damit ich ihn anschaue.
"Ich mache das nicht, weil ich das will, Milo. Das musst du mir glauben."
"Aber warum dann?", frage ich und ich kann spüren, wie sich in meinen Augen Tränen bilden. Ich will nicht, dass Teo sie sieht. Aber er lässt mich nicht los.
"Ich... Ich habe mich verändert, Milo", antwortet er. "Ich bin nicht mehr der, der ich vorher war. Ich will nicht, dass du mich so siehst."
"Aber ich brauche dich doch, Teo", wisper ich. Diesmal liefen die Tränen über. "Wer bin ich denn ohne dich? Ohne dich bin ich nichts."
Teo sieht aus, als würde ich ihm damit physisch wehtun. Als würde ich ihn schlagen, die Brust aufreißen, sein Herz zertrümmern. Dabei ist er es, der das mit mir tut.
"Du bist viel mehr ohne mich, Milo", widerspricht er mit heiserer Stimme. "Du hast was Besseres verdient. Jemanden, der dich nicht hängen lässt. Jemanden, der keine Versprechen bricht."
Teo fährt abwesend mit seinem Daumen über die noch nicht ganz verheilte Narbe an meiner Schläfe. Ich will mein Gesicht in seine Handfläche lehnen, aber bevor ich das tun kann, nimmt er seine Hand wieder weg."Warum bin ich dir nicht gut genug, Teo?", frage ich leise. Meine Stimme zittert und meine Wangen sind nass.
Bei diesen Worten schaut Teo plötzlich weg, als könnte er plötzlich nicht mehr ertragen, mich anzusehen. Ich konnte den Schmerz in seinem Gesicht sehen.
"Du bist zu gut für mich. Das ist das Problem", haucht er. Seine Stimme bricht am Ende, genau wie mein Herz.
Er sitzt direkt neben mir. Ich brauche nur meine Hand auszustrecken und ich kann sein Gesicht berühren. Aber er war mir doch so fern.Ich verliere ihn. Ich kann es spüren und ich kann nichts dagegen tun. Egal was ich sage, egal was ich mache. Ich verliere ihn.
"Te amo, Teo. Du bist mein bester Freund", weine ich. Ich kann mich nicht davon abhalten.
Teo hebt leblos seine Mundwinkel. Sein Lächeln ist so unendlich traurig, dass ich es nicht lange anschauen kann. Der Ausdruck in seinen Augen ist leer.
"Ich weiß, Milo", bringt er mit zitternder Stimme über die Lippen. "Ich liebe dich auch."Meine Augen füllen sich wieder mit Tränen und ich kann nicht aufhören zu weinen, während Teo wieder hinauf in den Himmel schaut.
Irgendwann schlafe ich ein und wache Minuten später mit Teos Arm um mich herum auf.
Das bringt mich nur noch mehr zum Weinen, weil ich weiß, dass es das letzte Mal sein wird.
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One Night Is All He Wanted
Teen FictionMexiko, 1983. Emiliano leidet unter Narkolepsie, im allgemeinen Munde auch als "Schlafkrankheit" bekannt. Er schläft in den ungünstigsten Momenten einfach ein - beim Essen, beim Spielen, beim Einkaufen mit seiner Mamá... Wäre da nicht sein bester Fr...