"Das hast du mir nicht erzählt", ist Teos Reaktion, als ich nach der Schule mit Óscar mitgehen will. Óscar steht neben mir und spielt etwas nervös an seinem Fahrradlenker herum, schaut uns dabei nicht an.
Ich sehe schuldbewusst zu Teo, der aussieht, als hätte ich ihn geschlagen. "Tut mir leid, ich hab's vergessen. Ich esse heute mit Óscar und seiner Familie." Als Óscar mich vor ein paar Tagen gefragt hat, konnte ich nicht Nein sagen. Das wollte ich auch gar nicht. Óscar war mein Freund und ich verbringe gerne Zeit mit ihm.
"Vergessen", wiederholt Teo stumpf. "Du vergisst sonst nie irgendwas. Wolltest du mir das nicht erzählen?"
Ich habe keine Ahnung, was Teo damit sagen will. Warum sollte ich ihm das nicht erzählen wollen? Das ist dumm. "Das ist Schwachsinn", sage ich. Als ich Teos Gesichtsausdruck sehe, wird meine Stimme automatisch sanfter. Als könnte ich es nicht kontrollieren. "Oye, tut mir leid, wirklich. Vielleicht kannst du ja mitkommen?" Ich schaue zu Óscar, dessen Kopf plötzlich hochschießt. Er schaut mit geweiteten Augen zwischen mir und Teo hin und her, dann schüttelt er zögerlich den Kopf. "Das geht nicht, Emi. Ich... Wir haben nicht genug Platz." Óscar schluckt und schaut weg.
Ich drehe mich zu Teo um und mir bleibt ein Seufzen im Hals stecken, als ich Teos Blick sehe, der auf Óscar liegt, als würde er ihm jeden Moment an die Kehle springen.
"Vale", sagt Teo und ich sehe, wie viel Überwindung es ihn kostet, das Thema bei der offensichtlichen Ausrede einfach ruhen zu lassen. Sein Blick wandert zu mir. "Wir sehen uns heute Abend", sagt er leise und geht, ohne sich von mir zu verabschieden.
Ich schaue ihm solange hinterher, bis Óscar mich in einer ungeduldigen Geste mit seinem Vorderreifen anstupst.Das Essen war wirklich gut. Óscars Mamá war eine unglaublich gute Köchin und ich liebe ihr Essen. Óscar, Camila und ich helfen ihr danach noch beim Abwasch, bevor Óscar und ich in sein Zimmer verschwinden. Ich sitze auf seinem Bett, während er mir gegenüber an der Wand gelehnt sitzt und etwas in sein Skizzenbuch zeichnet. Ich störe ihn nicht dabei. Es ist eine angenehme Stille, das einzige Geräusch war das Lachen spielender Kinder draußen auf der Straße. Ich beobachte Óscar beim Zeichnen. Er hat dabei immer einen unglaublich konzentrierten Ausdruck auf seinem Gesicht; die Stirn gerunzelt, die Unterlippe zwischen die Zähne gezogen. Einzelne Strähnen seines dunklen Haares fallen ihm ins Gesicht, doch das scheint ihn nicht zu stören. Mir fällt plötzlich etwas ein.
„Warum hast du gelogen?", frage ich in die Stille hinein.
Óscars Kopf schießt hoch, seine großen dunklen Augen treffen auf meine. Seine Wangen erröten leicht. „¿Qué?"
Ich versuche ein Lächeln zu unterdrücken. Ich weiß nicht wieso, aber die Art und Weise, wie er versucht, das Offensichtliche zu verstecken, nur damit ich nicht verletzt bin, lässt mich so unbeschwert fühlen.
„Óscar", sage ich und hebe meinen rechten Mundwinkel. „Da waren noch zwei andere Plätze frei."
Óscars Wangen verfärbten sich noch dunkler. Er schaut zur Seite, aus dem Fenster. Ich sehe, wie sich seine Hand um seinen Bleistift verkrampft und mein Lächeln verblasst langsam. Habe ich etwas Falsches gesagt?
„Ich wollte nicht, dass er mitkommt", murmelt er nach ein paar Sekunden Stille leise. Er schaut mich immer noch nicht an.
„Ich weiß", erwidere ich simpel. „Aber wieso nicht?"
Óscars Schultern heben und senken sich schwer, als ein tiefes Seufzen durch seinen Körper fährt. „Ich weiß nicht, ich... Ich mag ihn einfach nicht. Ich finde es nicht fair, dass er dich einfach so fallen lassen hat und jetzt plötzlich so tut, als wenn nie irgendwas gewesen wäre. Das ist nicht fair." Ich sehe die Frustration in seinen Augen, als er mich endlich wieder anschaut.
Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Ich weiß, dass Óscar recht hat. Das ist nicht fair. Aber was soll ich machen? Ich kann nicht ohne Teo. Dafür ist es zu spät.
Óscar wartet nicht auf eine Antwort. Er dreht sein Skizzenbuch zu mir um und zeigt mit seinem Bleistift auf die Zeichnung. „Was sagst du?"
Ich beuge mich vor und schaue mir die Zeichnung an. Er hat mich gezeichnet. Ich sitze im Schneidersitz auf einer Wiese, mein Kopf ist zur Seite gedreht. Ich schaue die Person neben mir an, meine Augen weit und strahlend, ein breites Lächeln ziert meine Lippen. Ich kann die Person neben mir nicht identifizieren. Nicht, weil Óscar sie nicht gut gezeichnet hat, sondern weil er einfach nur die Umrisse einer Person gezeichnet hat. Einen dunklen Schatten, mehr nicht.
Ich schaue hoch zu Óscar. „Wer ist das?", frage ich.
Óscar hält meinen Blick. „Was glaubst du?"
Ich schaue wieder auf die Zeichnung. Es gibt nur eine Person, die ich so anschaue. Teo. Aber das sage ich nicht. Denn wenn Óscar wüsste, wen ich so anschaue, dann hätte er auch Teo gezeichnet, und nicht nur einen Schatten.
Das ist ein Test, realisiere ich. Er will wissen, wer mir am meisten etwas bedeutet.
Oder steckt da etwas anderes hinter?Das Ganze bringt mich so sehr zum Nachdenken, dass ich Teo später davon erzähle. Er sagt eine ganze Zeit lang gar nichts dazu und starrt nur in den bewölkten Sternenhimmel. Ich tue es ihm nach und schaue nach oben, bis mich wieder eine meiner Schlafattacken übermannt.
Als ich wenige Minuten später wieder aufwache, starrt Teo immer noch in den Himmel. Er hat nichts davon gemerkt. Aber ich bin ihm nicht böse. Ich habe ihm ja nicht Bescheid gesagt.
"Wen hast du gesehen?", fragt Teo, als ich schon gar nicht mehr mit einer Antwort gerechnet habe. Seine Stimme gibt nicht her, was er gerade denkt. Das passiert selten.
Ich zögere einen Moment, bevor ich einfach die Wahrheit sage, "Dich." Ich weiß nicht, warum ich gezögert habe.
Ich sehe im Augenwinkel, wie Teo seinen Kopf zu mir dreht. "Mich? Warum?"
"Weiß ich nicht", sage ich ehrlich. Ich weiß es nicht. Aber Teo scheint zufrieden mit meiner Antwort. Ich muss plötzlich an Óscars Worte denken. Das ist nicht fair.
"Vielleicht hat er ja gedacht, dass du ihn sehen würdest", sagt Teo nach einer Weile vorsichtig.
Ich denke über seine Worte nach. Hat Óscar das wirklich gedacht? Ich wünschte, ich wüsste es. Aber im Gegensatz zu Teos, kann ich seine Gedanken nicht lesen.
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One Night Is All He Wanted
Teen FictionMexiko, 1983. Emiliano leidet unter Narkolepsie, im allgemeinen Munde auch als "Schlafkrankheit" bekannt. Er schläft in den ungünstigsten Momenten einfach ein - beim Essen, beim Spielen, beim Einkaufen mit seiner Mamá... Wäre da nicht sein bester Fr...