• Twenty One •

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Teo hat in der Zwischenzeit nicht aufgehört, María Nachhilfe zu geben. Mich stört das nicht, denn so ist Teo immer um mich herum - noch öfter, als er es sowieso schon ist. Er kommt nach der Schule direkt zu mir (egal, ob ich an manchen Tagen bei Óscar zu Mittag esse oder nicht), lernt eine Stunde mit meiner Schwester und danach haben wir den ganzen Tag und den ganzen Abend für uns alleine. Am Wochenende schläft er sogar manchmal in Héctor und Abelardos altem Zimmer. Seine Mamá hat in letzter Zeit nicht viel Zeit für ihn. Sie ist kaum zu Hause, seit sich der Zustand um Teos Papá verschlechtert hat. Die Ärzte wissen nicht mehr weiter.
Mamá hat gesagt, dass er vielleicht bald sterben muss. Abends sehe ich sie immer vor dem Küchenfenster beten.
Ich wüsste nicht, was ich tun würde, läge mein Papá im Sterben. Auf keinen Fall würde ich anderen kleinen Schwestern Nachhilfe geben. Das wäre wirklich das letzte, was ich tun würde. Aber vielleicht ist es einfach Teos Weg, mit allem umzugehen. Vielleicht ist es besser für ihn, einfach jeden Tag so zu leben, als wäre es ein ganz normaler Tag. Vielleicht ist es besser für ihn, die Probleme einfach auszublenden und ihnen gar nicht erst die Chance zu geben, mit seinem Kopf Spielchen zu spielen.
Und wenn es Teo half, dann ging ich gerne diesen Weg mit ihm.

Heute ist wieder einer dieser Tage, an dem ich vorher bei Óscars Familie Mittag gegessen habe. Da Óscar aber am nächsten Tag eine Prüfung schreibt, kann ich nicht lange bei ihm bleiben. Seine Mamá möchte immer, dass er lernt. Ich bin ein bisschen froh, dass mir meine Mamá nicht so genau über die Schulter schaut. Vielleicht hat sie nach drei älteren Söhnen auch einfach die Lust daran verloren, das weiß ich nicht. Aber ich beschwere mich nicht.
Als ich nach Hause komme, stehen Teos Schuhe vor der Haustür und aus dem Garten schallt Gelächter zu mir herüber. Teo ist mit María bei dem Wetter zum Lernen wahrscheinlich nach draußen gegangen. Es ist wirklich heiß heute.
Ich stoße das Gartentor auf, die Sonne brennt unerbittlich auf meinem Nacken. Ich schaffe es nicht mehr um die Ecke, bevor mich eine so starke Müdigkeit übermannt, dass ich auf der Stelle wie ein Sack Mehl in mich zusammenfalle und nichts mehr mitbekomme.

Ich kann nicht sagen, wie viel Zeit vergangen ist, als ich mein Bewusstsein wiedererlange. Fünf Minuten? Vielleicht zehn? Fünfzehn?
Ich rapple mich langsam auf und klopfe meine Hände an meiner Hose ab. Erst in dem Moment bemerke ich das fiese Brennen. Ich hatte mir beim Sturz die Handflächen aufgeschürft. Ich presse meine Lippen zusammen und versuche das leichte Brennen zu ignorieren. Es ist nicht das erste Mal, dass ich mich bei einem meiner Schlafanfälle verletzte und es wird auch nicht das letzte Mal sein. Daran kann ich nichts ändern.
Ich schultere meinen Rucksack und laufe weiter, als sei nichts passiert. Als ich das Haus umrunde und Teo und María im Garten auf dem Rasen sitzen sehe, wünsche ich mir plötzlich, ich hätte früher bemerkt, wie still es auf einmal geworden ist.
Aber das habe ich nicht.
Und nun sehe ich Mateo und María mit verschlossenen Lippen dort sitzen, so tief versunken in ihrer eigenen Welt, dass sie mich nicht bemerken.
Ich will schreien. So, so sehr. Aber plötzlich fehlt mir die Luft dafür.
Was mein Körper letztendlich tut, ist meinen Kopf abzuschalten und die Kontrolle loszulassen, damit ich das nicht weiter mitansehen muss.

***

„Deine Mamá sagt, du sollst etwas essen."
Teo schiebt mir eine Schüssel Suppe rüber, die er gerade von unten mit aufs Dach genommen hat.
Die Sterne sind heute verschwunden. Vielleicht, weil meine es auch sind.
„Ich habe keinen Hunger", murmle ich und wickle die dünne Decke fester um meinen Körper. Es ist kalt. Von der Hitze des Tages ist nichts mehr übrig. Nur kalte Dunkelheit.
„Darf ich das dann essen?"
Come."
„Danke."
Ich schließe die Augen und versuche mich auf den Wind zu konzentrieren, der leise durch die Büsche und Bäume der Straße raschelt. Hier und da zwitschern noch ein paar Vögel. Aber nichts davon kann das nervtötende Schlürfen und Schlucken von Teo neben mir übertönen. Ich wünschte, er würde einfach dahin verschwinden, wo die Sterne verschwunden sind.
Plötzlich wundere ich mich über diesen Gedanken. Ich bin noch nie genervt von Teo gewesen. Noch nie.
„Komisch, dass die Sterne nicht zu sehen sind. Heute war so ein schöner Tag", sagt Teo nach einer Weile. Er hat endlich aufgehört, zu essen.
Un buen día", wiederhole ich murmelnd und lege den Kopf in den Nacken, um in den Himmel zu starren. Alles ist mir lieber, als Teo anzuschauen.
Seitdem ich heute vor Schock im Garten eingeschlafen und in der Küche unter Mamás besorgtem Blick wieder aufgewacht bin, verhält sich Teo merkwürdig. Oder ich verhalte mich merkwürdig, ich weiß es nicht. Ich glaube, Teo weiß nicht, dass ich ihn und María zusammen gesehen habe. Ob María es weiß, da bin ich mir nicht sicher. Aber jedes Mal, wenn wir uns heute über den Weg gelaufen sind, ist ihr ganzes Gesicht plötzlich feuerrot angelaufen und sie hat alles daran gesetzt, bloß nicht in meine Richtung zu schauen.
Ich glaube, María weiß es. Díos mio, ich hasse sie. Ich hasse sie wirklich.
„Findest du nicht?", fragt Teo und ich spüre seinen Blick auf mir.
Teo hat schöne Augen. Hat er wirklich. So dunkel wie Kaffee und so groß und unschuldig, die Wimpern lang und schwarz und in einer perfekten Kurve nach oben geschwungen. Er hat Wimpern wie ein Mädchen.
Ich reiße mich von seinem Blick los und nicke einmal.
Estás mintiendo", sagt er fast sofort.
„Ich lüge nicht."
„Schon wieder."
„Woher willst du das wissen?"
„Ich kann es in deinen Augen sehen."
Ich verfluche meine Augen.
„Lass mich in Ruhe, Teo", sage ich leise.
¿Qué?"
„Du hast mich schon verstanden."
„Bist du... wütend?", fragt er trotzdem nach.
„Nein." Bin ich wütend? Ich habe eigentlich keinen Grund, wütend zu sein. Woher also kommt dieser Knoten in meiner Brust?
„Du bist wütend. Warum?", hakt er nach.
„Teo", ermahne ich ihn leise, ohne ihn anzuschauen. Er soll es lassen. Morgen sieht alles wieder anders aus, morgen kann ich ihn bestimmt wieder anschauen, ohne das Bild von ihm und María im Kopf zu haben.
Aber nicht jetzt. Was ich brauche, ist Zeit. Nur ein kleines bisschen, und dann ist alles wieder okay.
„Wenn du wütend bist, weil ich dein Essen-"
¿Te gusta María?", schießt es plötzlich aus mir heraus und ich beiße mir danach frustriert auf die Zunge. Aber es ist zu spät. Ich kann meine Worte nicht mehr zurücknehmen.
Teos dunkle Augen weiten sich. Ich kann sehen, wie sich in seinem Kopf die Gedanken überschlagen.
„María?", fragt er schließlich. Ich kann nicht sagen, ob der Schock in seiner Stimme echt ist. „Ob ich María mag?"
Ich wende meinen Blick ab und zucke mit den Schultern. „Du bist mein bester Freund. Du kannst mir solche Dinge sagen, weißt du."
Teo sagt eine ganze Zeit lang nichts. Warum sagt er denn nichts? Hat er etwa Angst, etwas falsches zu sagen?
„Nein", sagt Teo schließlich langsam. „Ich mag María nicht."
Ich weiß nicht warum, aber es ist, als hätte er mit seinen Worten Öl in Feuer geschüttet. Plötzlich bin ich wirklich wütend.
Ich reiße die Decke von meinem Körper und stehe auf, ein lautes Scheppern echot über das Dach, als ich dabei aus Versehen die Schüssel mit umreiße.
Ahora tú eres el que está mintiendo", sage ich durch zusammengebissene Zähne hindurch und ich erschrecke mich im selben Augenblick selber über meinen giftigen Unterton.
Jetzt bist du derjenige, der lügt.
Bevor Teo etwas sagen kann, was ich vermutlich gar nicht hören will, klettere ich durch das Fenster wieder hinein.
Teo kommt mir nicht nach.

One Night Is All He WantedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt