1. Im Waisenhaus

44.7K 1.2K 503
                                    

1. Im Waisenhaus


Ein Strahl aus grünem Licht. Ein Schrei. Ein kaltes, grausames Lachen. Eine Explosion. Lärm. Schreie. Eine Ratte.

Keuchend fuhr Emily aus dem Schlaf hoch. Ihre Brust hob und senkte sich schnell, ihr schmaler Körper war mit kaltem Schweiß bedeckt. Ihr Kopf hämmerte und sie zitterte. Wieder einmal hatte sie so seltsam geträumt. Immer wieder in den letzten zehn Jahren, seitdem sie im Waisenhaus lebte, hatte sie das geträumt. Sie konnte sich, dass alles nicht erklären. Ihre Träume waren nie deutlich genug um etwas zu erkennen.

Ob die Frau wohl ihre Mutter war? Emily wusste es nicht und würde es wahrscheinlich auch nie erfahren, denn die erste Regel im Waisenhaus war: Stell keine Fragen über deine Vergangenheit. Einmal hatte Emily es gewagt zu fragen, danach nie wieder. Sie hatte sowieso keine Antwort bekommen.

Emily seufzte und sah aus dem Fenster. Am Horizont ging langsam die Sonne auf. Ein neuer Tag hatte begonnen. Leise stand sie auf und ging hinüber zu dem Waschbecken in ihrem kleinen Zimmer auf dem Dachboden, dass sie sich noch mit Linus teilte. Linus war erst seit ein paar Wochen im Waisenhaus seit seine Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren.

Sie blickte in den Spiegel und ein blasses, schmales Gesicht sah ihr entgegen. Ihre roten Haaren umrahmten es wild. Die langen Locken waren nicht leicht zu bändigen und Mrs Cole, die Heimleiterin, hatte es schon oft abgeschnitten, aber irgendwie war es immer innerhalb von ein paar Tagen nachgewachsen, sehr zu Emilys Freude. Sie wusch sich hastig und zog irgendwelche Klamotten aus der altersschwachen Kommode die zwischen den beiden Betten stand.

Dann weckte sie Linus und half ihm beim Anziehen. Er war erst drei Jahre alt und hatte noch nicht ganz verstanden, dass seine Eltern nicht wieder kommen würden. Er schrie und weinte viel und rief nach seiner Mutter. Emily wurde das Herz schwer wenn sie in die verheulten blauen Augen sehen musste und ihm sagte, dass seine Mutter nicht wieder kam. Niemand aus dem Waisenhaus wollte sich um Linus kümmern, eben weil er soviel schrie, und so hatte Emily die Aufgabe übernommen.

Emily nahm Linus an der Hand und gemeinsam stiegen sie die Treppe hinunter. Im Erdgeschoss war der große Saal in dem alle Waisenkinder zu Essen bekamen. Die Tür war noch verschlossen und so wartete ein Großteil der Kinder schon davor. Die Kinder sahen abfällig zu ihr hinüber und ein paar Nasen krümmten sich in Abscheu. Emily war so etwas wie der Freak im Waisenhaus. Ihr schienen immer die ungewöhnlichsten Sachen zu passieren. Wenn sie im Raum war, konnte es durchaus schon mal passieren, dass ohne ihr Zutun Sachen zu Bruch gingen oder durch die Luft flogen. Seitdem hielten die meisten Kinder Abstand von ihr.

Aber eben nur die meisten.

Edwin, Mark, Kevin und Chantal. Die vier waren die Lieblinge von Mrs Cole und kamen mit allem durch. Und das nutzten sie auch weidlich aus. Emily hatte schon viel Zeit damit verbracht den vieren zu entwischen. Sie waren die einzigen die keine Bestrafung zu fürchten hatten. Alle anderen Kinder lebten in der Angst vor Mrs Coles Rohrstock, den sie ständig mit sich herum trug. Bei dem kleinsten Fehler zischte der Rohrstock durch die Luft, hinab auf die Hände der Kinder. Mrs Cole war erbarmungslos, schließlich war sie der Meinung, dass dies eine Lektion war, die sie auf das spätere Leben vorbereitete und ein gründlicher Klaps hätte noch nie jemanden geschadet.

Emily konnte darüber nur bitter lachen. Sie hatte Mrs Coles Rohrstock schon oft gespürt, eben weil ihr so oft so seltsame Sachen passierten. Der andere Grund war, dass sie es nicht mit ansehen konnte wenn jemand anderes geschlagen wurde. Sie trat dazwischen und erntete dafür selbst die Schläge. Sie brach damit auch gleich die zweite Regel des Waisenhauses: Kümmere dich nur um deine eigenen Sachen.

Aber sie konnte einfach nicht zulassen, dass jemand ungerechterweise bestraft wurde, vor allem die kleineren Kinder, wie Linus. Und Mrs Cole hatte es bisher nicht geschafft Emily zu brechen. Tief in Emily steckte ein Mut, der sie selbst meist überraschte. Das verwirrte die Kinder im Waisenhaus, einerseits war Emily der Freak, andererseits aber auch ein Engel. Sie wussten nicht was sie von ihr halten sollten, Emily passte in kein Schema.

Anima - I -  Harry Potter FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt