Damals und Heute

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Ich sah aus dem Fenster und alles was ich sah war Hektik. Die pure Hektik. Die Menschen hasteten von Termin zu Termin und fanden keine Ruhe. Seid 3 Jahren dasselbe, jeden Tag. „Guten Morgen Baby!" Er war ebenfalls derselbe seid 3 Jahren. Mein Ehemann und Vater meiner Tochter. Han Lue. Hastig schnappte er sich seine Brötchen und stürmte an mir vorbei. „Wo gehst du hin?" fragte ich und sah ihn strafend an. „Werkstatt?" sagte er und lächelte verschmitzt. „Hast du keine Zeit mehr für uns?" „Du weißt dass es hier so eine Sache ist, mit der Zeit! Ich liebe dich Baby!" Da war er auch schon aus unserem Apartment verschwunden. Ich warf die Schürze in die Ecke und öffnete meine langen blonden Haare.

Genervt schüttelte ich den Kopf und strich über ein Bild von unserer Hochzeit, die im letzten Jahr stattfand. Selbst da war nichtmehr alles perfekt gewesen. Daneben hing ein Bild unserer Tochter. Anita Jessedy, aber alle nannten sie nur Jesse. Ihr voller Name war Anita Jessedy Lue. Es klang fürchterlich, ebenso fürchterlich wie Julia Lue. Weder mein Name, noch irgendetwas anderes von mir passte hier nach Tokio. Meine Tochter war im Kindergarten, es war ein Kindergarten für amerikanische Kinder. Diese Kinder wurden abgestempelt, denn ihre Eltern waren zu fein um ihnen  Japanisch beizubringen. Ich verstand aber auch nicht, wozu mein Kind diese Sprache lernen sollte, irgendwann würden wir eh wieder nach LA gehen, die Hoffnung stirbt zuletzt. Ich strich über das Foto von Jesse.

Sie kam ganz nach ihrem Vater und dennoch waren keine asiatischen Züge an ihr zu erkennen. Das lag vermutlich daran das ich ein fettes Geheimnis mit mir herumschleppte. Der Vater meiner Tochter lebte noch in den USA. Dominic Toretto. Jeder Gesichtszug war aus seinem Gesicht nahezu kopiert, keiner sah das, nur ich. Langsam zog ich mich an um in die Kälte hinaus zu gehen. Das Telefon klingelte. „Ja bitte?" fragte ich als ich den Hörer an mein Ohr hielt. „Jules? Ist Han schon raus?" fragte eine mir bekannte Stimme. „Ja ist er Twinky. Du etwa noch nicht? Denkt dran dass ihr die Werkstatt noch auf Vordermann bringen wollt! Ich hole Jesse aus dem Kindergarten und dann kommen wir zu euch ok?" „Alles klar. Han ist auch eben reingekommen. Bis nachher Jules!" sagte er und hängte auf.

Twinky war einer unserer ersten Freunde hier in Tokio gewesen. Die ganze Wand war voll mit Bildern. Neben dem von Jesse hing eines von der Familie O Connor. Mia und Brian sowie Jack O Connor. Ein rebellischer Name, Jack O Connor. Ebenso war Collin der Cousin von Jesse und lediglich 2 Monate jünger. Ich erinnerte mich gerne an die Anfangszeit meiner Schwangerschaft, daran wie ich mit Mia über Kindernamen gesprochen hatte. In diesem Moment glaubte keiner daran das ich nach Tokio gehen würde und auch jetzt betrachtete ich es noch als Übergangslösung.  Zuhause war ich in LA, dort wo Mia und Brian wieder lebten.

Vor ungefähr 5 Jahren lernte ich sie kennen. Ich ging noch zur Schule und wollte dann Medizin studieren, daraus wurde nichts, denn mit Mia traten auch Dominic und die 10 Sekunden Autos in mein Leben. Adrenalin. Ich hatte in dieser Zeit viele Freunde kommen, gehen und auch sterben sehen. Es war eine schöne und harte Zeit. Mein Kind wuchs hier wundervoll auf, ein guter Kindergarten und wir hatten immer noch genügend Geld um Jesse jeden Wunsch zu erfüllen. Das Geld, das uns zu Millionären gemacht hatte, stammte von einem Drogenboss aus Rio. Schmutziges Geld, aber damit konnte ich ganz gut leben.

Von Zeit zu Zeit war auch Jesse mit bei den Autos, dort in dem Parkhaus in dem die Rennen stattfanden. Sie liebte es, genauso wie der Mann von dem sie seinen Namen hatte. Jesse und ich waren einst verlobt gewesen, meine erste große Liebe. Mindestens einmal die Woche denke ich daran wie es wäre, wenn er noch leben würde. Es was einfach unfassbar wie schnell das Leben an einem vorbeizog. Die Uhr sagte mir dass es Zeit wäre los zu laufen. Noch einmal strich ich über Mias Gesicht und ging dann los. Draußen regnete es, wie immer. Für mich war Tokio die traurigste Stadt der Welt und ebenso mein Gefängnis.

Oft wollte ich einfach weglaufen, zurück nach Hause, aber dafür liebte ich Han zu sehr. Ich fühlte mich schuldig und einsam. Schuldig deswegen, weil ich Han nach 3 Jahren immer noch erzählte, das Jesse seine Tochter sei und einsam weil ich es keinem sagen konnte. Ganz in Gedanken trat ich einer Frau auf den Fuß. Sie blickte mich böse an und lief hastig weiter. Keiner hatte Zeit für irgendwas. Unwohler habe ich mich noch nie gefühlt. Jede Frau hier in Tokio hätte ein Model sein können, zumindest kam es mir so vor. Ihre Blicke rissen mir förmlich die langen blonden Haare vom Kopf. Ich war immer gut angezogen und hatte immer genügend Geld in der Tasche. Das alles war nicht mehr ich. Mit Händen und Füßen wollte ich mich dagegen wehren aber es ging nicht.

Ich musste für meine Tochter eine gute Mutter sein und das um jeden Preis, auch wenn das bedeutete das ich für immer in Tokio hätte bleiben müssen. Die Menschen waren immer in riesigen Massen unterwegs, meist alle in Anzügen und  immer adrett. Ich war perfekt angepasst, wenn ich mich auf der Straße befand. Ich ging die Treppen zum Kindergarten nach oben. Für die Verhältnisse hier in Tokio war er wirklich schön. Er hatte eine Dachterrasse auf der die Kinder spielen könnten. Es war zwar nicht die frischeste Luft, aber andere Kindergärten konnten ihren Kindern lediglich die üblichen 4 Wände bieten. Hinter der Tür waren Kinderstimmen zu hören und ich klingelte. Eine nette, nicht asiatisch aussehende, Frau öffnete die Tür. „Oh Hallo! Sie möchten Anita abholen richtig?" fragte sie in Akzentfreiem englisch.

„Richtig! War sie denn lieb?" fragte ich und betrat die bunten Räume. „Naja. Sie wissen ja wie sie ist! Immer mit den Jungs unterwegs und nichts als Autos!" lachte sie und ich musste ebenfalls schmunzeln. Mein Mädchen kam ganz nach Mama und Papa. Egal nach welchem Papa, beide waren Autoverrückt. Ich folgte der Kindergärtnerin auf das Dach und dort saß mein Mädchen und spielte mit ein paar Jungs mit ihren Autos. „Jesse!" rief ich und sie drehte sich schlagartig um. „Mama! Warte Mama!" rief sie und grinste. „Ich warte, mein Schatz!"  Eine richtige Lady war sie dennoch, sie hatte richtige Manieren, gute Manieren. Sie verabschiedete sich bei jedem einzelnen Jungen persönlich und versprach dass sie morgen wieder kommen würde. „Das hast du toll gemacht Anita!" lobte die Kindergärtnerin und wir verabschiedeten uns. Auf der Straße hielt sie meine Hand, denn sie wusste wie gefährlich Autos sein konnten.

Heute war ein besonderer Tag, Jesses besonderer Ehrentag, denn genau heute war ihr Geburtstag. „Ich bin jetzt 3 Jahre Mama!" erzählte sie und hielt 3 Finger nach oben. „Richtig alt bist du jetzt!" lachte ich und drückte ihre Hand. „Wo ist Papa?" fragte sie und sie wünschte sich jetzt einen Ort ganz besonders. „In der Werkstatt!" sagte ich und ihre Augen funkelten. „Oh ja! Mit Onkel Twinky?" fragte sie weiter, denn ihn vergötterte sie. „Lass dich doch mal überraschen okay?" „Okay Mama!" Und dann stiegen wir in mein Auto, ein dicker Hummer H2, selbst der passte nicht zu mir.

Last WayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt