Gähnend streckte sich Nora und brachte ihre Wirbelsäule dazu knackende Geräusche von sich zu geben. Sie hatte nun schon seit ein paar Stunden zusammengekrümmt an ihrem Laptop gesessen und an ihrem Word-Dokument weiter geschrieben. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es bereits Nachmittag war und sie sich langsam auf den Weg zur Arbeit machen sollte. Heute war Mittwoch und das hieß, sie hätte wieder Abenddienst in der Kirche, in der sie arbeitete. Nora war nicht unbedingt gläubig - das war sie nie gewesen- aber die Kirche, in der sie ihre Ausbildung machte, war auch keine normale Kirche. Es war eher so etwas wie ein Jugendzentrum, das in den Räumen eines Einkaufszentrums existierte. Keine großen Säulen und riesigen Kreuze und auch keine altmodischen Holzbänke. Das einzige, dass auf die Existenz einer Kirche in diesem Einkaufszentrum hinwies, war das kleine silberne Kreuz über dem Empfang und der Name 'Chapple'. In den Räumlichkeiten der Chapple war alles dunkel gehalten, die Wände in schwarz und der Teppichboden in einem dunklen Grau. Die orange-roten Lichter erzeugten besonders in den Abendstunden eine angenehme Atmosphäre und die unechten Palmen, die Jake, ihr Vorgesetzter, letzten Winter hier aufgestellt hatte verliehen dem ganze eine gewisse Leichtigkeit. Die ganze Einrichtung, die aus dunkelbraunen Sofas und langen weißen Tischen zum Arbeiten bestand bestärkte nur den jugendlichen Eindruck dieses Ortes. Das war eines der Dinge, die Nora an ihrem Arbeitsplatz so liebte. Es fühlte sich einfach nicht an wie eine Kirche und sie wusste ganz genau, dass die Jugendlichen, die in den Abendstunden immer vorbei kamen, das genauso sahen. Die wenigstens von ihnen waren wirklich gläubig, wie sie herausgefunden hatte. Es war einfach ein guter Ort um abzuschalten und mal auf andere Gedanken zu kommen. Abgesehen von der Tatsache, dass Jake sich immer sehr darum bemühte möglichst viele Dinge anzubieten, um diesen Ort interessanter zu machen. Erst letzten Sommer hatte er die geniale Idee ein Sprachcafé jeden Mittwochabend zu veranstalten, bei dem auch Anderssprachige sich an ihren Sprachkenntnissen versuchen, und dabei mit anderen Kaffee und Kuchen genießen könnten. Die Idee war sehr gut angekommen und Nora hatte sich umso mehr gefreut, als Jake ihr angeboten hatte ihre Schicht Mittwochs in die späteren Stunden zu verlegen, damit sie dabei sein konnte.
***
Nora band sich ihre kakaobraunen Haare zu einem tiefen Zopf zusammen und schob die Ärmel ihres zu großen Pullis nach oben. Die Geschirrspülmaschine der Chapple hatte mitten im Waschgang einfach den Geist aufgegeben und jetzt fehlten die Tassen für den Kaffee, der bereits auf den Tischen in der hinteren Ecke des Raumes stand. Es war bereits kurz nach 17:00Uhr und die ersten Besucher fanden ihren Weg durch die großen Glastüren am Eingang. Nora hasste abwaschen, aber irgendjemand musste es ja tun. Aber einen Vorteil hatte es schon, dachte sie sich und strich sich eine Strähne hinters Ohr, die aus ihrem Zopf gefallen war. Zumindest würden die Leute jetzt wissen, dass sie ein Teil vom Team der Betreuer war. Kein Besucher würde die Tassen abwaschen, also würde sie niemand der Besucher diesmal versehentlich fragen, ob sie auch das erste Mal hier war. Sie war sowieso erst 21, recht klein mit ihren 1,64cm und ihre runden Wangen ließen sie noch jünger wirken. Ihre etwas über schulterlangen, glatten Haare und die Tatsache, dass sie fast immer nur dunkle Kleidung und übergroße Pullis trug, ließen sie nur noch mehr in der Masse verschwinden. Aber sie hatte damit kein Problem. Sie war zufrieden mit sich und ihrem Aussehen, daran würden auch die dummen Kommentare mancher Leute nichts ändern, die sagten, dass sie zu dick wäre.
Frustriert kaute sie auf ihrem, mittlerweile geschmacklosen, Kaugummi herum und wrang den Schwamm aus. Die Tassen schienen einfach nicht weniger zu werden.
»Nora, ich bräuchte mal eben deine Hilfe.« Angesprochene schnappte sich ein trockenes Tuch von der Seite und drehte sich, ihre Hände in dem Tuch vergraben, um. Jake stand an der Wand gelehnt schräg neben ihr und blickte angestrengt auf sein Handy. Seine Augenbrauen zu einem besorgten Blick verzogen und fuhr sich nachdenklich durch seinen Bart. Der 46 Jährige war der Leiter der Chapple und hatte die Braunhaarige vor einem Jahr hier eingestellt. Er trug einen schwarzen Sweater und eine lockere Jeans und das blaue Schlüsselband mit seinem Namensschild hing um seinen Hals und bildete einen starken Kontrast zu seinem sonst so schlicht gehaltenen Auftreten. Jake sperrte mit einem Knopfdruck sein Handy und ließ es in die linke Tasche seiner Hose gleiten. Dann richtete er seine Brille.
» Ein neuer Mitarbeiter sollte heute eigentlich seinen ersten Tag haben. Ich wollte ihm direkt zeigen, wie es hier zu den aktivsten Zeiten zugehen kann. Aber er hätte schon seit über einer Stunde da sein müssen, du weißt wir könnten zusätzliche Hilfe heute wirklich gebrauchen. Könntest du eventuell mal im Register nachgucken und ihn anrufen, um nachzufragen wo er bleibt? «
Bittend sah der Bärtige sie an und sie warf lächelnd das Geschirrtuch zurück auf den Rand der Spüle. Alles würde sie gerade lieber tun, als weiter Geschirr zu waschen.
Gesagt getan machte sich die 21-jährige auf den Weg zum Eingang, um den Computer an der Rezeption zu verwenden. Mit ein paar gezielten Klicks landete sie im Register der Mitarbeiter und suchte nach einem Namen, der ihr unbekannt erschien. Sie kannte hier sonst jeden, da die Zahl der Mitarbeiter an einem Ort wie diesen eher klein war.
In ihrem Kopf las sie die Namen mit, darauf bedacht welcher Name für sie unbekannt klang. ...Aaron Wagner, Jake Blaese, Jo-
»Bist du hier Mitarbeiter oder hast du einfach keinen eigenen Computer?«, unterbrach sie eine Stimme, die dem Ton nach gerade durch die Tür gekommen war.
Mit den Gedanken immer noch bei der Liste der Namen richtete sich ihr Blick nun auf einen blassen Mann mit schwarzen, kurzen, gelockten Haaren, der schmunzelnd die Tür hinter sich zu fallen ließ und seine rechte Hand zurück in die Tasche seines dunkel grauen Parkers schob.
Es war Juni, wieso verdammt trug er einen Parker? Nora dachte diesen Gedanken gar nicht erst zu Ende, sondern richtete ihren Blick wieder auf den Bildschirm vor sich.
»Joseph Moreau.«, erklangen die Stimme in Noras Kopf und die Stimme der Person vor ihr gleichzeitig.
Der neue Mitarbeiter.
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Just Joseph [German]
VampirgeschichtenWie jede gute Geschichte beginnt Nora Vester's Geschichte mit einer neuen Person, die in ihr Leben tritt - Joseph.