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„Herzlich Willkommen in deiner neuen Familie"' durchbricht die raue Stimme des Arztes die Stille. Er dreht sich ruckartig um und seine Augen bohren sich in meine. Ich zucke zusammen, wende aber meine Augen nicht ab.

Er schenkt mir ein warmes Lächeln, was mich ein wenig entspannen lässt. Trotzdem sind alle Muskeln in meinem Körper angespannt.
„An was kannst du dich denn noch erinnern?" fragt er mit einer fast lächerlich sanften Stimme, als ob er mit einem Kleinkind sprechen würde. Er scheint er wirklich ernst zu meinen mit seiner Gutherzigkeit, also antworte ich ihm. Außerdem wenn er mich als schwach einschätzt, könnte das meine Chancen mich im Notfall zu verteidigen, erhöhen.
„Ich kann mich an nichts erinnern", antworte ich wahrheitsgemäß und die Mauer in meinem Gehirn lacht triumphierend auf.

Er tippt rhythmisch auf seinen Handrücken, während er mitleidig aufseufzt: „Leider wird das immer öfter eine Nebenwirkung des Eingriffs. Aber keine Angst die Grundlagen werden dir schon deine neue Familie beibringen. Nun kommen wir zu dem wichtigen Sachen. Auf deinem Unterarm findest du eine Nummer. Diese Nummer ist deine Identität. Du bist diese Nummer. Unsere Nummern sind das einzigen was uns voneinander unterscheidet.
Die ersten Ziffern sind die Generation in der du geboren bist, die zweiten das wievielte geboren Kind in diesem Jahr.
Jeder Mensch hat 20 Grundeigenschaften. Die dritte Zahl zeigt dir deine Anzahl von schlechten Grundeigenschaften. Diese Zahl beeinflusst den Eingriff und deine spätere Berufslaufbahn drastisch. Die letzte Zahl ist deine Familie, auch genannt Stand."

Ich möchte meinen Stand gar nicht erfahren. Was, wenn meine neue „Familie" nicht zu mir passt. Wer hat überhaupt bestimmt, wo oder wie  ich mein Leben verbringen soll. Wellen der Wut überrollen mich plötzlich. Wer erwartet von mir, einfach zu akzeptieren, dass ich überhaupt keinen Einfluss mehr habe. Sie haben mir die Entscheidung über mein eigenes Leben genommen, selbst meine Gedanken haben sie mir genommen. Meine Hand zittert, während sie sich langsam, mitsamt meines Unterarm dreht. Kaltes Eiswasser löscht das zerstörerische Feuer in mir, als ich schließlich die Zahlen betrachten kann.
Die schwarzen filigranen Zahlen wurden auf so künstlerische Art und Weise auf meinen Unterarm tätowieren, dass mein Mund aufklappt. Ihre Schönheit lässt sich mit nichts weltlichen vergleichen, wenigstens nicht mir etwas, dass ich schon gesehen habe.

19.125.18.10

Klar und unwiderruflich. Die erwartete Wut bleibt aus. Trotzdem empfinde ich keine Erleichterung oder Freude. Ich starre auf die Ziffern und empfinde nichts. Auch nichts als ich die dritte Ziffer wahrnehme und über ihre möglichen Auswirkungen auf die vierte Zahl.

Dann bricht eine raue Stimme dem Ban, den sie Zahlen auf meinen Unterarm ausgelöst haben:

„Dir steht es frei, ob du mir deine Zahl sagen möchtest. Jeder besitzt das Anrecht auf Privatsphäre, du sollst aber wissen, dass du transparent für alle bist, die die Befugnis dazu haben. Also die Menschen, die deine individuelle Information sicher verarbeiten können. Du könntest dich weigern mir deine Nummer mitzuteilen und dies wäre völlig regelkonform, zur gleichen Zeit aber könnte ich dich im System suchen und mir die Information holen, die ich benötige. Vollkommene Transparenz und gleichzeitig ist es dir freigestellt, ob du mir deine persönlichen Daten freilegen möchtest."

Je länger ich darüber nachdenke, desto seltsamer und unlogischer kommt mir dieser Ansatz vor. Doch der namenlose Arzt scheint mehr als überzeugt zu sein. Wenn ich jemandem etwas erzählen will, darf er es erfahren, aber wenn nicht, dann wäre diese Information so geheim, dass sie keinesfalls an den Fragesteller gelangen dürfte, ob nun auf persönlichem oder anderweitigen Weg. Ich denke nicht, dass es klug ist, die Überzeugung des Mannes in Frage zu stellen, also frage ich vorlaut und vielleicht etwas zu selbstbewusst und sicher ,dass mir nichts passieren wird: „Was ist, wenn ich nicht transparent sein will, was wenn ich nicht will, dass meine Daten öffentlich zugängig sind und was ist, wenn ich unter „Privatsphäre" etwas komplett anderes verstehe?"

DivitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt