"Ja ich will."

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Ich blicke geradeaus.

Gleich werde ich es tun.

Meinem Elend ein Ende bereiten. Die Leute von meiner Anwesenheit befreien.

Ein Vogel fliegt vorbei.

Ich sehe ihm hinterher.

Neid durchflutet mich.

Er kennt das nicht. Der Vogel sammelt bloß Nahrung für seine Jungen, singt, frisst und schläft.

Vielleicht verteidigt er auch sein Revier. Und sein Vogelweibchen.

Wie ein Mensch.

Nur das keiner von mir gefüttert, beschützt und unterhalten werden will.

Das einzige das ich tue was etwas bringt, ist zu essen und zu schlafen.

Doch das tue ich für mich.

Was hat das Leben für einen Sinn, wenn ich nur für mich lebe? Wenn ich niemanden bereichere?

Man wird es nicht merken.

Gleichgültig wird gesagt werden, „Er ist tot.".

Kurz wird betroffen geguckt, mit den Schultern gezuckt und weitergemacht.

Was bringt es mir also zu leben wenn ich sehe, das es eh niemanden wirklich interessiert?

Und wenn nur die alten Frauen in der Bäckerei, die den neusten Tratsch austauschen?

Wenn ich sehe, das sie alle ohne mich können?

„Willst du das wirklich?"

Ich sehe nach unten.

Da steht sie. Auf meinem Balkon.

Ich schaue sie nur stumm an, wie sie zu mir aufschaut und gegen die Sonne blinzelt.

Dann sehe ich nach unten.

Viele Meter entfernt trifft mein Blick auf eine wenig befahrene Straße.

Schulterzuckend sehe ich wieder zu ihr hin.

„Komm runter." ruft sie.

Ich setze zum Sprung an und lande leichtfüßig neben ihr.

„Was hattest du vor?"

Sie zerrt mich durch dieTür in mein Wohnzimmer.

Fest verschließt sie sie als hätte sie Angst, ich könnte als Windhauch durch eine Ritze verschwinden.Wie gerne ich das können würde.

Bestimmt drückt sie mich aufs Sofa.

„Weißt du überhaupt was passieren würde, wenn du das durchziehst?"

Tränen sammeln sich in ihren Augen.

Was erwartet sie als Antwort?

Mir fällt keine ein, außer der das nichts passieren würde. Das nur mein Leben enden würde.

„Sag es mir." fordere ich sie auf.

Sie beginnt zu schluchzen.

Verzweifelte Laute von sich gebend setzt sie sich neben mich aufs Sofa und umarmt mich fest.

„Alle Leute die dich mögen, würden etwas wichtiges verlieren." murmelt sie an meine Schulter.

„Und wer ist das?"

„Deine Eltern, deine Verwanten, deine Freunde, ich."

Meint sie wirklich, sie müsste mich noch weiter belügen obwohl sie wissen müsste, das ich die Wahrheit kenne? Will sie so grausam sein?

Doch anstatt wie früher mich einzurollen, zu weinen und alle anzuschreien bewahre ich Fassung.

Ich habe es neunzehn Jahre überlebt. Ein paar Stunden schaffe ich das noch.

„Ich weiß nicht wie ich weiterleben könnte, wenn du es getan hättest." bricht sie schließlich das Schweigen.

Ich lehne mich zurück und schließe die Augen.

So belogen wurde ich noch nie.

Doch ich werde mir nicht anmerken lassen, das es mich trifft.

Wenn ich weinend in der Ecke liegen würde, hätte sie doch bloß einen Triumph.

Und den gönne ich ihr nicht. Den gönne ich niemandem.

Denn alle die ich kenne, haben mich belogen, um mich zu zerstören.

Ich weiß nicht, ob sie sich abgesprochen haben oder es von sich aus tun.

Doch keiner von ihnen ist gescheitert dabei so zu tun, als wäre ich wichtig. Als würde man mich mögen.

„Bitte versprich mir, das du es nie tun wirst." fleht sie leise.

Doch ich reagiere nicht. Könnte ja sein, das ich eingeschlafen bin.

Es braucht mich nicht in den letzten Stunden meines Lebens zu interessieren, was sie denkt.

Kurze Zeit später bin ich tatsächlich eingeschlafen.

Ich sitze draußen, den Kopf in Richtung Nachthimmel gereckt..

Es ist eine wolkenlose Nacht. Hell funkeln die Sterne.

Das Licht des Mondes taucht das Dach auf dem ich sitze in silbernes Licht.

Im Hintergrund höre ich leise die Bäume rauschen.

Es ist wie ein Abschied.

Das Leben macht meine letzten Minuten zu schönen Minuten.

Der Wind streicht über meine kurzen Haare.

Ich stehe auf und sehe hinunter.

Die Straße wird von einer Laterne in gelbes Licht getaucht.

Ich sehe mich noch ein letztes Mal um, lasse alles auf mich wirken.

Dann springe ich.

Ruckartig schlage ich die Augen auf.

Helles Mondlicht dringt durch die Ritzen des Rolladens hindurch.

Sie liegt neben mir. Ihr Atem geht gleichmäßig, ihre Hand ist um mich geschlungen wie ein Käfig.

Als wolle sie verhindern, das ich weglaufe.

Doch ich werde es tun.

Plötzlich ist mein Kopf ganz klar. Ich weiß, das ich es tun werde.

Doch ich habe keine Angst.

Eigentlich fühle ich auch sonst nichts. Ich bin leer.

Vorsichtig winde ich mich aus ihrem Käfig und stehe auf. Ich ignoriere die Kälte des Fußbodens, die meine Fußsohlen taub werden lässt.

Leise, um sie nicht zu wecken, laufe ich zum Schreibtisch. Nach kurzem Tasten finde ich auch schon, wonach ich suche.

Wie schon so viele Male öffne ich die Terassentür und trete hinaus.Kühle Luft weht in mein Gesicht. Der Himmel ist klar. Die Sterne funkeln. Die Straße ist in gelbes Licht getaucht.

Ich schwinge mich aufs Dach.

Der Wind streicht mir durch die kurzen Haare. Schwaches Mondlicht erhellt das Dach, auf dem ich sitze. Alles ist wie in meinem Traum.

Nur, das ich nicht springen werde.

Ich halte mir die kalte Klinge der Schere an mein Handgelenk.

„Willst du das wirklich?" hallt ihre Stimme in meinem Kopf wieder.

Ich hole tief Luft.

„Ja, ich will."

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