Glück

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Glück ist ein wunderbares Gefühl. Es bildet sich im Magen, wo es sich zu vielen kleinen Schmetterlingen teilt. Sie durschwirren den ganzen Körper. Von den Zehen, bis zu den Fingerkuppen, sogar bis zur Nasenspitze. Und überall wo diese Schmetterlinge sind, wird einem warm. Und alles ist sonnig. Egal, wie stark es regnet. Oder schneit. Oder gewittert. Glück ist das schönste Gefühl der Welt.

Ich liege im Kornfeld, schaue an den Halmen vorbei in den blauen Himmel, an dem zwei kleine, weiße Wolken schweben. Wie Wattebausche. Der Wind treibt sie voran, an fremde Orte. Wo andere Menschen liegen und sich überlegen, ob sie eher wie ein Kaninchen, oder eine Blume aussehen. Oder doch wie eine Giraffe?

Neben mir ertönt ein Rascheln.

Ich drehe meinen Kopf und sehe in sein Gesicht. Sein glückliches Gesicht.

Nicht immer ist es so glücklich gewesen.

Gib mir das Geld!“

Bedrohlich ragte seine große Gestalt vor dem kleinen Fünftklässer auf.

Ich habe es nicht.“ flüsterte dieser leise. Ängstlich sah er zu Boden.

Hart wurde er am Kragen gepackt und durchgeschüttelt. „Ich glaube,ich habe mich verhört. Kannst du das wiederholen?“

Wimmernd versuchte sich der Junge aus seinem Griff zu winden. „Ich habe es nicht.“ schluchzte er verzweifelt.

Der andere stieß ein lautes Schnauben aus. Mit einem kräftigen Stoß stieß er den Bedrängten auf den Boden. „Wenn ich es morgen nicht kriege, wird das Folgen haben. Hast du mich verstanden?“ zischte er wütend.

Der Fünftklässer kroch so schnell er konnte von dem Jugendlichen weg. Mit drei schnellen Schritten war dieser wieder über ihm und riss ihn am Nacken hoch. „Ob du mich verstanden hast?“

J-Ja.“ In der zitternden Stimme lag pure Panik.

Gut.“ Er wurde wieder zu Boden geworfen. „Morgen.“ scharf sah der Ältere ihn an, dann ging er, wobei er mitten über den Arm der Kleinen lief.

Das Knacken war durchdringend, doch der Schrei war ohrenbetäubend.

Damals hatte ich das in ihm gesehen, was jeder andere sah.

Einen gestörten Schläger, der durch krumme Geschäfte Geld verdiente. Noch immer fragte ich mich, wie ich ihn so hatte abstempeln können. Ich hatte ihn nur von weitem gesehen. Hatte aus Angst Abstand gehalten. Und hatte die seine nicht gesehen.

Was soll das heißen?“

Die Fenster des Hauses gegenüber waren weit geöffnet.

Das Klirren zerbrechendes Glases erschallte, als etwas herausgeflogen kam und auf der Straße zerprang.Erschrocken drückte ich mich in den Schatten eines Hauseingangs.

I-Ich habe heute kein Geld.“ antwortete eine ebenso laute Stimme. Doch aus ihr sprach nicht die Wut, aus ihr sprach die Angst.

Und du sollst mein Sohn sein? Söhne kümmern sich um ihre Väter. Du bist nutzloser als deine Mutter. Gott sei dank hast du sie bei deiner Geburt umgebracht. Wenn es nach mir gegangen wäre, wärst du in einem Mülleimer erfroren. Aber dann hätte ich kein Kindergeld bekommen.“

Übelkeit überkam mich bei dem Hass in dieser Stimme.

Bis jetzt habe ich dir doch immer das Geld gebracht.“ sprach die zweite Stimme, diesmal leiser.

Aber für welchen Preis? Ich musste dich jahrelang ernähren, mir dein Gejammere anhören und dir Essen geben. Wenn du dafür nicht einmal dankbar sein kannst, will ich dich hier nie wieder sehen! Verschwinde!“

Vorbeigehende Passanten sprangen erschrocken zurück, als die Haustür aufgerissen wurde.

Der Blick seiner grünen Augen hatte mir den Atem stocken lassen. Er war gebrochen gewesen. Hatte nicht einmal versucht, mich zu vertreiben. Hatte mich neben ihm sitzen lassen. Mit ihm sprechen lassen.

Ich weiß bis heute nicht, ob er mir zugehört hatte oder nicht. Doch dieser Abend hatte mein Leben verändert. Unser Leben verändert.

„Wie geht es dir?“ fragt er leise. In seiner Stimme schwingt ein Lächeln mit.

Er lässt sich neben mir auf den Boden sinken und nimmt meinen Kopf in seine Hände.

An den Stellen an denen seine Finger meine Wangen berühren, beginnt meine Haut heiß zu kribbeln. Mein Herz schlägt ein paar Schläge schneller als er sich hinunterbeugt und mir einen Kuss auf die Nasenspitze gibt.

„Es geht uns gut.“ antworte ich glücklich.

Leicht lege ich meine Hände auf meinen gewölbten Bauch.

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