Zitternd trete ich von einem Bein aufs andere. Wie sehr ich den Winter doch hasse.
In kleinen Wölkchen schwebt mein Atem durch die Luft.
Leise, und doch unangenehm laut, dringt die Musik aus den Kopfhörern eines neben mir stehenden Jungen an mein Ohr.
Ungeduldig werfe ich einen Blick auf mein Handy. Wie jeden Morgen kommt der Bus zu spät.
Die Lautstärke der Musik nimmt zu.
„Reiß ihm das Handy aus der Hand und trete es kaputt!"
Schnell schüttle ich den Kopf.
Endlich höre ich das vertraute Geräusch des nahenden Busses.
Als ich einsteige, empfängt mich eine wohlige Wärme. Ich schreite den Gang bis zum Ende des Busses durch und lasse mich neben dem Fenster nieder.
Den Jungen sehe ich im vorderen Teil sitzen.
Zufrieden schließe ich die Augen und lehne meinen Kopf an die kühle Scheibe. Das gleichmäßige Geräusch des Motors wiegt mich in einen leichten Schlaf.
Dieser hält allerdings nicht lange an. Eine kleine Gruppe von Grundschulkindern steigt ein, und setzt sich in den Vierer vor mir.
Ihre lauten Stimmen lassen mich die Augen öffnen. Gerade wird über den kürzesten Bleistift diskutiert.
„Schrei sie an, sie sollen ruhig sein!"
Meine Gereiztheit steigt, als ich in ihren Händen die neusten Handymodelle entdecke.
„Nimm sie ihnen aus der Hand! Schmeiß sie durch den Bus! Mach sie kaputt!"
Ich balle meine Hände zu Fäusten und versuche, mich auf die vorbeirauschende Landschaft zu konzentrieren.
Von Minute zu Minute spüre ich, wie ich aggressiver werde.
Endlich wird meine Haltestelle durchgesagt. Schnell erhebe ich mich von meinem Platz, werfe den Kindern ein paar böse Blicke zu und verlasse fluchtartig den Bus.
Auf dem Weg zu meiner Schule laufen ein paar Leute aus dem Abschlussjahrgang vor mir her.
„Die halten sich wohl für was ganz tolles. Hör doch zu, wie 'gebildet' sie sprechen. Lächerlich!"
Wütend beiße ich die Zähne zusammen.
Am Schulgebäude angekommen hält mir einer der älteren die Tür auf, doch ich ignoriere sein Lächeln und betrete mit grimmigem Blick die Schule.
„Jetzt fühlt er sich wohl besonders höflich und toll. Schlag ihm ins Gesicht! Treibe ihm sein dämliches Grinsen aus!"
Schnell laufe ich durch die Gänge, bis ich endlich bei meinem Klassenraum angekommen bin.
Tief atme ich durch, dann öffne ich die Tür.
Wie jeden Morgen bin ich zu spät, doch das ist mir, und den Lehrern mittlerweile auch, egal. So muss ich wenigstens das nervige Geschwätz der anderen nicht mitanhören. Dann werden mir keine nervigen Fragen gestellt.
Stumm lasse ich mich auf meinem Einzelplatz in der letzten Reihe nieder und ignoriere ihre Blicke.
„Wie dumm. Wie sie alle stumm da sitzen und wirklich aufpassen. Wie naiv. Und der Lehrer fühlt sich wohl ganz toll. Arschloch."
Nach unendlich langen Minuten der Langeweile klingelt es endlich bis zur ersten Pause.
Ich behalte das Handy auf meinem Schoß, damit mich niemand anspricht. Sollen sie doch jemand anderen nerven.
„Handys sind in der Schule aber nicht erlaubt!"
Langsam sehe ich auf, direkt in das dämlich grinsende Gesicht des 'Klassenclowns'.
„Halt die Fresse!", murmle ich gehässig und wende mich wieder meinem Handy zu.
Nach einigen Sekunden ist der Störenfried auch schon verschwunden.
„Du hättest ihn töten sollen! Deine Schere liegt im Mäppchen, es wäre so einfach gewesen!"
Ich ignoriere die Worte. Wie ich es immer tue.
Schon läutet es zum Stundenbeginn, und augenblicklich wird es stumm.
„Dumm!"
„Heute schauen wir einen Film", dringt es an mein Ohr.
Interessiert hebe ich den Kopf. Auch wenn der Lehrer sich gerade total cool und beliebt fühlt und ich in darin nicht bestätigen will, ich mag Filme.
Doch meine anfängliche Begeisterung schlägt sofort in pure Wut um, als er ein Wintermärchen in die Höhe hält.
„Ein Wintermärchen! Sein Ernst? Hält er dich für ein Kindergartenkind was noch Sandmännchen guckt oder was?!"
Kopfschüttelnd sehe ich wieder hinab auf mein Handy.
Wie dumm von mir, denn das Licht geht aus und mein Gesicht ist voll beleuchtet.
Schon steht der Lehrer neben mir und streckt fordernd die Hand aus.
„Gib das her."
Voller Hass sehe ich in sein Gesicht.
„Für ihn ist wohl alles total einfach. Einfach und ordentlich. Alles immer 'gemäß den Regeln'."
Widerwillig lege ich mein Handy in seine schwitzige Hand.
„Deinem Lover kannst du auch später noch schreiben.", meint er auf meinen wütenden Gesichtsausdruck hin, woraufhin die ganze Klasse lacht.
Stirnrunzelnd sehe ich in ihre Gesichter. Die offenen Münder, die zusammengekniffenen Augen.
„Wie hässlich sie doch sind! Und sie lachen über dich. Über dich!"
Ich spüre ein leichtes Stechen an der Stelle, wo Mediziner mein Herz orten. Als ob ich ein Herz hätte, was für etwas anderes als zum leben schlägt.
„Töte sie. Schau in ihre erschrockenen, panischen und ängstlichen Gesichter und töte sie! Einen nach dem anderen!"
„Darf ich kurz auf die Toilette?"
„Natürlich. Aber mach schnell, der Film fängt gleich an."
Als ob ich mich für ein dämliches Wintermärchen beeilen würde.
Als ich die Tür schließe, verstummt das Gelächter. Erleichtert schließe ich kurz die Augen, denn gehe ich den Gang hinunter.
Mit einem heftigen Schubs schlage ich die Tür auf und stelle mich vor den Spiegel.
Mein Gesicht ist bleich, die Augenringe dunkel. Spitz treten die Wangenknochen hervor, und werfen unheimliche Schatten auf mein Gesicht.
Meine Schultern hängen erschöpft hinunter.
„So siehst du nur aus wegen ihnen!"
Kurz halte ich meine Hände unter kaltes Wasser, dann verlasse ich auch schon wieder den gekachelten Raum.
Auf dem Weg zurück in die Klasse gehe ich extra langsam, damit der Lehrer auch ja nicht denkt, ich hätte mich tatsächlich beeilt.
Kur bevor meine Hand schließlich die Klinke berühren kann, halte ich inne.
Von innen höre ich Gelächter und die Geräusche des Fernsehers.
„Sie würden nicht einmal bemerken, wenn du nicht wiederkommen würdest."
Kurz bleibe ich noch so stehen, mit erhobener Hand die über der Türklinke schwebt.
Dann drehe ich mich um und kehre der Tür den Rücken.
Hastig verlasse ich das Schulhaus.
Kurze Zeit später sitze ich in einem Zug - wohin er fährt, weiß ich nicht.
Aber er fährt weg. Und das ist gut.

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Cerita PendekAlles hat seine eigene Geschichte. Manchmal sieht man sie auf den ersten Blick, doch meist bleibt sie verborgen.