Kapitel 8

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Toni ging. Er hatte es von ihm verlangt, warum wollte er, dass sein Freund dennoch blieb? Rezo vergrub sein Gesicht in den Händen, spürte die Tränen, die zwischen seinen Fingern entlang liefen. Alleine im Zimmer, erlaubte er sich ein verzweifeltes Wimmern, ehe er sich schluckzend zu Boden fallen ließ. Toni hatte sich Mühe gegeben, sich für ihn Zeit genommen und er? Er war den ganzen Film über wie eine gefühllose Leiche neben ihm gesessen. Sogar in seinem umnebelten Zustand war Tonis tröstliche Wärme zu ihm durchgedrungen, aber wann immer er sie fast schon bewusst wahrgenommen hatte, hatte er sich beherrschen müssen nicht laut aufzuschreien, als etwas in ihm diese Gefühlsregung begraben hatte. Wie konnte etwas zu viel sein, das man doch eigentlich wollte und sowieso nicht spürte? Sein Kopf schmerzte so unglaublich, dass er am liebsten eine Kugel durch ihn hindurchjagen wollte, einfach damit die Schmerzen aufhörten. Er dachte daran wie Toni dieses Bild mit seinen Gedanken gleich gesetzt hatte. Er hatte falsch gelegen. Nach einem Schuss in den Kopf war es wenigstens vorbei, vielleicht ein kurzer eindringlicher Schmerz, aber dann hatte es ein Ende. Seine Gedanken hingegen quälten ihn weiter, kamen nicht zum Ende, ehe sein Herz nicht zu schlagen aufgehört hatte.

Eindringlich schüttelte er den Kopf, löste seine tränennassen Hände, ballte sie stattdessen zu Fäusten. So durfte er nicht denken. Er erstickte seinen Schrei mit seinem Pullover, als der Druck in ihm unaushaltbar wurde. Keuchend versuchte er sich zu beruhigen und krallte seine Finger in seine Unterarme, als es ihm nicht gelang. Aber der Schmerz war nicht genug, konnte weder seine inneren Qualen überlagern, noch seine Gedanken durchdringen. Das was in ihm war, ihn zerstörte, konnte er so nicht einfach vertreiben, konnte er nicht einfach so frei lassen. Schwer atmend wehrte er sich gegen den Gedanken, mit einer Klinge den nötigen Schmerz in die Haut zu schlitzen, einen Ausweg zu schaffen. Nur ein kleiner Schnitt und das Blut würde herausquillen, ihm zeigen, dass er noch am Leben, noch nicht kalt und tot war, noch nicht innerlich gestorben. Immer tiefer grub sich das faszinierende Bild eines blutüberströmten Unterarmes in ihn ein, bis er sich kaum noch beherrschen konnte, sich beinahe nicht mehr klar machen konnte, wie falsch das alles war. Aber was war schon richtig oder falsch? Es verletzten sich täglich Menschen, er wäre nur ein weiterer, der sich in eine lange Reihe einreihen würde. Rezo fuhr sich mit dem Finger über den Unterarm. Wie würde sich das anfühlen? Das Gewissen, dass man Macht über sich, seinen Körper hatte?

Erst als er Blut schmeckte, wurde ihm bewusst, dass sich seine Zähne in seine Lippe bohrten. Sofort ließ er von ihr ab, hielt dann aber inne. Der metallene Geschmack des Blutes hatte eine beinahe betörende Wirkung. Wie in Trance strich er sich mit dem Finger über die Unterlippe. Das tiefe Rot klebte glänzend an seiner Fingerkuppe, als er die Hand vor sich hielt. Er starrte es fassungslos und gleichzeitig hingerissen an. Was hatte er vorhin noch gesagt? Nicht bewusst verletzt. Fiel das schon darunter? Was brachte es weiter dagegen anzukämpfen, wenn er es unbewusst bereits jetzt billigte? Umständlich krempelte er seinen Ärmel hoch, ließ seinen Blick einen Moment zwischen seinem Unterarm und dem Blut an seinem Finger hin und her gleiten. Du bist so dumm. Nur ein Vollidiot wäre zu solchen Handlungen um Stande. Langsam strich er das Blut auf die Haut, ehe er seine Hand wieder sinken ließ. Er legte den Kopf schief, spürte die getrockneten Tränen die auf seinen Wangen klebten, die Haut unangenehm spannten. Irgendwie gefiel im dieses Bild eines blutverschmierten Arms. Das war verrückt, das war so unendlich dämlich. Niemand bei klarem Menschenverstand konnte sich über so einen Anblick freuen. Die betäubende Leere in seiner Brust hinderte ihn daran, Wut über sich zu empfinden, aber sein Kopf füllte diese Lücke, machte ihm klar wie bescheuert er sich verhielt. Was würden deine Freunde sagen, wenn sie dich so sehen würden? Wie würde Toni schauen, wenn er dich jetzt ertragen müsste. Er würde dir zustimmen, dass du dich absolut egoistisch und jämmerlich verhältst, so abartig wie du in deinem Selbstmitleid versinkst. Wenn er dich nicht augenblicklich rausschmeißen würde. Ich meine, wer will sich schon mit so etwas dummen wie dir abgeben? Und selbst wenn er es verstehen könnte, wenn er dir helfen wollen würde, willst du ihm das aufbürden? Diesen Gedanken, die dich zerstören auch in sein Leben Einzug gewähren? Rezo schüttelte unwillkürlich den Kopf. Dazu war ihm Toni zu wichtig, er hatte so etwas an sich, etwas helles, wärmendes, was er unter keinen Umständen zerstören wollte. Wie hatte er auch nur so dumm sein können seine Freunde in diese Sache hineinziehen zu können? Er hatte wieder mal nur an sich gedacht, nicht weit genug überlegt, was seine Worte für die anderen bedeuten könnten.

Ihm wurde bewusst, dass seine Finger über die Blutkruste an seinem Unterarm fuhren. So etwas wie ihn brauchte die Welt nicht, er würde nur die Menschen in seiner Umgebung zerstören, wie er schon sich zerstörte. Er ließ seinen Finger weiter nach oben fahren. Nein, er würde sich nicht ritzen, auch wenn die Vorstellung verlockend war. Er krallte seine Hand in das Motiv auf seinem Hoodie. Wenn er schon eine Klinge an sich ansetzte, würde er es richtig tun. Er konnte sein Herz förmlich spüren, wie es zu schlagen aufhörte. Wobei, bei einem Messer konnte so viel schief laufen. Da waren Tabletten eine bessere Lösung. Er starrte auf die Hand über seinem schlagenden Herzen. Aber einfach so einschlafen und nicht wieder aufwachen war so... friedlich. Es sollte ihm schon Schmerzen bereiten, bevor er diese Welt verließ, das hatte er verdient. Vielleicht sollte er springen, von einer Brücke, oder einem Dach. Der Aufprall auf dem Boden dürfte schmerzhaft genug sein.

Rezo schreckte erschrocken hoch, als sich plötzlich die Türe öffnete und Toni das Zimmer betrat. Zögerlich und mit gesenktem Kopf bewegte dieser sich, unter Rezos um Fassung ringenden Blick, zum Tisch und legte sein Handy ab. Er durfte nicht zeigen was in ihm vorging, dachte Rezo. Er durfte Toni diese Last nicht noch weiter aufbürden. Für einen Moment fiel Tonis Blick auf ihn und er sah, wie der Jüngere unsicher inne hielt. Rezo schluckte schwer und wandte beschämt den Kopf ab, richtete seine Augen demonstrativ auf den Teppich zu seinen Knien und versteckte seinen Arm. Aus den Augenwinkeln nahm er wahr, wie Toni auf sein Handy tippte und sich zum gehen wand. Im nächsten Moment begann Musik und Tonis Stimme traf ihn direkt ins Herz.
"Just fight a little longer my friend." Sein Blick zuckte nach oben und fixierte sich auf Tonis Handy, das verlassen auf dem Tisch lag. Er drehte sich um, sah noch wie Toni das Zimmer verließ, ihn zurück bei der Musik ließ.
"Just hold on and I'll find you." Wie benommen schob er sich näher an den Tisch, zu dem Handy, bei dem Tonis tröstende Stimme von einem deutschen Rap Part abgelöst wurde. Rezo lauschte dem Text, bis wieder Tonis Gesicht auf dem Bildschirm erschien, jünger und mit blauen Haaren. Sein Herz setzte kurz aus. Seine ernsthaften Augen schienen sich direkt in ihn einzubohren, ihn zu durchschauen.
"Just fight a little longer my friend, it's all worth it in the end." Rezo klammerte sich an das Handy, als wäre es seine Rettung, was es in gewisser Weise vielleicht auch tatsächlich war.
"But when you got nobody to turn to. Just hold on and I'll find you." Eine Träne lief ihm über die Wange. Er wollte noch nicht sterben, er wollte durchhalten. Mit verschwommenem Blick tippte er auf das Display, las den Titel des Videos. "I'll find you - Toni Pirosa" Rezo lachte leise auf. Er hatte Toni weggeschickt und dieser hatte seine Anweisung natürlich befolgt. Aber trotzdem schaffte er es, Rezo aufzubauen, ihn in seinen dunkelsten Gedanken zu finden, mit diesem verdammten Lied. Er schenkte ihm Hoffnung, ermutigte ihn und ließ ihn nicht alleine. Ihm lag wirklich etwas an seinem Leben. Er bot ihm seine Hilfe an, stellte klar, dass er es nicht akzeptierte, wenn Rezo sich weigerte. Mit zitternden Händen legte Rezo das Gerät wieder ab, um sich anschließend durch die Haare zu fahren. Mitten in der Bewegung hielt er inne, als er bemerkte, dass er sie von Toni übernommen hatte. Welchen er weggeschickt hatte. Frustriert schluchzte er auf, fluchte. Für einen Moment schaffte er es sich von seinen Gedanken zu distanzieren. Erst jetzt wurden ihm die Ausmaße klar, was er im Begriff war zu tun. Zitternd rubbelte er über seinen Unterarm, bis das Blut größtenteils verschwunden war und nur eine gereizte Haut zurück ließ.
"Was mache ich hier eigentlich?", murmelte er. Ein unangenehmes Kribbeln breitete sich in seinen Beinen aus, als er aufzustehen versuchte. Mit Mühe kam er schließlich leicht schwankend zum stehen. Er schaffte das hier nicht alleine. Wenn er leben wollte brauchte er Hilfe, durfte nicht alleine sein und seinen Gedanken verfallen. Er musste zu Toni, zu seinen Freunden.

Hab ich schon erwähnt, dass ich mich über eure Meinungen, Kritiken oder allgemein Kommentare freue? Nein? Tja, ich freue mich darüber :)

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