Leise stöhnend komme ich wieder zu mir. Ich hätte gestern vielleicht nicht ganz so viel trinken sollen, aber ich bereue nichts. Der Abend, oder besser die Nacht, war lustig und ein unglaubliches Abenteuer. Blinzelnd öffne ich die Augen und werde erstmal von den Strahlen der Sonne geblendet.
Da ich alleine in Bett liege nehme ich mir erstmal die Zeit mich selbst zu sortieren. Dann raffe ich mich auf und schleppe mich mit einigen Klamotten ins Badezimmer, wo ich mich erstmal wieder vorzeigbar mache. Dann gehe ich in die Küche.
Wo ich erstmal in der Tür stehen bleibe. Rafael steht, nur mit seiner Jeans begleitet, am Fenster und starrt gedankenverloren nach draußen. Da er mich noch nicht bemerkt hat, versuche ich mich einfach locker zu machen und laufe zur Kaffeemaschine. "Guten Morgen. Willst du auch einen Kaffee?", frage ich betont locker und sehe ihn gar nicht erst an. Trotzdem kann ich es nicht sein lassen und muss den Wolf aus den Augenwinkeln heraus beobachten.
Erschrocken zuckt Rafael zusammen und dreht sich im nächsten Moment zu mir herum. Während ich die Kaffeemaschine befülle spüre ich die Nervosität und wende mich schließlich zu ihm um. "Rafael." Erschrocken sieht er mich an während ich zögerlich auf ihn zu laufe.
"Du musst jetzt nichts sagen oder entscheiden. Das was zwischen uns passiert ist war schön, aber ich stelle jetzt keine Erwartungen an dich. Werde dir erstmal über dich und deine Zukunft klar." Herausfordernd lächel ich ihn an. "Und wenn du für eine Fortsetzung bereit bist, dann kannst du dich ja bei mir melden." Breit grinsend drücke ich ihm einen Kuss auf die Wange und mache uns dann anschließend einen Kaffee.
Das Frühstück verläuft ruhig und zurückhaltend, auch wenn ich meine Augen kaum von Rafael lassen kann. Zugegeben, es fällt mir unheimlich schwer ihn nicht für mich zu beanspruchen, doch ich halte mich an mein Versprechen. Ich könnte den Wolf verführen, soviel bin ich mir bewusst, da sind seine Blicke eindeutig, doch das tue ich nicht. Es wäre unfair einem Jungen gegenüber, der jetzt erstmal lernen muss für sich selbst Entscheidungen zu treffen.
Daher wende ich mich schließlich ab und sorge dafür, dass wir seine Brüder holen. Die zwei Rabauken werden es schon schaffen uns beide von dieser doch ziemlich merkwürdigen Situation abzulenken.
Da nach der Feier nicht viel los ist nehme ich die drei Geschwister wieder mit zu mir und wir machen uns einen gemütlichen Fernsehabend mit Disneyfilmen. Eine Sammlung, über die ich immer wieder sehr glücklich bin. Aus dem Alter ist man nie raus, bin ich der Meinung. Und zumindest Ben und Jack fanden das auch. Und Rafael haben wir einfach überstimmt.
Daher verbringen wir doch einen ganz lustigen Abend zusammen. Zum Glück müssen wir auch zeitig ins Bett, da morgen wieder Montag ist. Daher schaffen wir es ohne weitere Zwischenfälle oder unangenehme Gesprächspausen ins Bett zu gehen. Beziehungsweise aufs Sofa, wo Rafael heute tatsächlich die Nacht verbringt. Alles andere wäre tatsächlich merkwürdig geworden.
Doch leider fällt es mir trotzdem schwer direkt einzuschlafen. In Gedanken bin ich die ganze Zeit bei Rafael und denke über ihn und seine Situation nach. Was würde ich in seiner Situation tun? Wie wird er sich wohl entscheiden? Wieso kann er sich nicht einfach, wie es wahrscheinlich jeder andere Typ machen würde, diese Nacht einfach zu mir ins Bett schleichen? Seufzend drehe ich mich auf die andere Seite und zwinge mich zur Ruhe. Ich habe dem Wolf versprochen mich zurück zu halten und das werde ich auch tun. Blöde Vernunft!
Nach einiger Zeit komme ich schließlich doch noch zur Ruhe und schlafe endlich ein. Und auch wenn die Nacht viel zu kurz gewesen ist, wache ich relativ ausgeruht am nächsten Morgen auf. Ben und Jack kannten den Ablauf zum Glück schon und Rafael hat sich schnell mit integriert, weshalb wir in Rekordzeit fertig gewesen sind und erst Ben in den Kindergarten und dann Jack in die Schule geschafft haben. Mit Rafael war ich anschließend noch im Sekretariat und gemeinsam sind wir schließlich zu unserem Raum gegangen. Was, sehr zu meinem Leidwesen, in angespannter Stille geschehen ist.
Noch nie bin ich so froh gewesen Rhys und Ruby zu sehen, wie in diesem Moment. Sofort lasse ich mich auf das Gespräch ein, in welches sie mich verwickeln. Rhys darf sogar einen Arm um meine Schulter legen, einfach um mich abzulenken. Bis Ruby mich dezent beiseite schiebt. "Was ist denn zwischen dir und Rafael?", will sie neugierig, aber auch ein wenig alarmiert, wissen. Irritiert sehe ich sie an. Wie hat sie das denn gemerkt? "Das ist etwas zwischen mir und ihm.", gebe ich ruhig zurück und sehe sie an ohne zu blinzeln. Eine Einschüchterungstaktik, die eigentlich immer funktioniert. So auch dieses Mal.
Abwehrend hebt Ruby die Hände und grinst mich breit an, ehe ihr Gesichtsausdruck wieder zu besorgt wechselt. "Dann solltest du etwas unternehmen. Denn wenn du dich nicht zwischen meinem Bruder und Rafael entscheidest, und das schnell, wird es zu einem Kampf kommen.", meint die Wölfin und deutet hinter mich. Vorsichtig werfe ich einen Blick nach hinten. An der Wand, keine zehn Meter entfernt, steht Rafael gelehnt und fixiert Rhys, welcher mit einem Kumpel spricht und nichts zu bemerken scheint. Die Blondine neben sich, die ihn anschmachtet und versucht seine Aufmerksamkeit zu erlangen ignoriert Rafael dabei gekonnt.
Nachdenklich drehe ich mich herum und mustere den Wolf, der bei der plötzlichen Berührung der Blondine deutlich zusammen zuckt. Doch ich verkneife mir ein Grinsen. Weiterhin sehe ich Rafael an, bis er meinen Blick zu bemerken scheint und mir direkt in die Augen sieht. Mit einer hochgezogenen Augenbraue sehe ich ihn an. Der Moment der Entscheidung ist gekommen, früher als gedacht. Aber ich werde nicht auf Rafael warten. Und daher muss er dann damit leben, dass ich mich mit anderen treffe. Und seinem ausdruckslosen Gesichtsausdruck nach zu urteilen wägt er das auch ab.
Das ist eins der ersten Male, dass ich jemanden nicht einschätzen kann. Normalerweise ist mir vorher klar, welche Entscheidung jemand trifft und denke gleichzeitig darüber nach, wie meine Reaktion ausfallen wird. Doch hier habe ich keine Ahnung. Tausend Möglichkeiten gehen mir durch den Kopf und das ist ein Gefühl, welches faszinierend und neu ist. Und weshalb ich Rafael so spannend finde.
Doch als Rhys wieder neben mich tritt und mit mir spricht, verändert sich Rafaels Blick auf einmal und er sieht auf den Boden. Ich will mich gerade enttäuscht abwenden, da er offenbar beschlossen hat mich frei zu geben, da schießt sein Kopf wieder nach oben. Mit einem gefährlichen Gesichtsausdruck kommt er so selbstbewusst auf mich zu, wie ich es bei ihm noch nicht gesehen habe. Mir war bewusst, dass das in ihm geschlummert hat. Rafael hätte das Zeug zu einem Alphatier, doch durch seine Lebensumstände hat er diese Seite an sich noch nicht entdeckt. Doch nun ist ein kleiner Teil davon zu sehen, was mich tatsächlich glücklich macht. Diese schnelle Entwicklung seinerseits ist faszinierend.
Doch ich werde von meinen Gedanken abgelenkt, als sich auf einmal ein Arm um meine Taille schlingt und ich an eine muskulöse Brust gezogen werde. Auf dem Gang ist es still geworden und jeder Einzelne scheint uns zu beobachten. Wir sind bekannt. Rafael aufgrund seiner Vergangenheit und ich durch die letzten Wochen. Viele haben es bei mir versucht. Und genauso wie Rhys, der noch immer neben mir steht, schauen sie ungläubig zu uns. "Du bist dir sicher? Danach gibt es kein zurück mehr!", flüstere ich Rafael leise zu, bei welchem sich die Mundwinkel nach oben ziehen. "Ich teile nicht, dass ist mir gerade klar geworden.", gibt er alles andere als leise zurück.
"Dann ist ja gut, ich nämlich auch nicht.", gebe ich zurück, greife in seinen Nacken und ziehe ihn zu einem Kuss nach unten. Als seine Lippen meine berühren kann ich ein seufzen nicht mehr unterdrücken. Auch wenn es erst zwei Tage her ist habe ich ihn vermisst. Und Rafael scheint es genauso zu gehen, denn er zieht mich noch näher an sich heran und vergräbt die andere Hand in meinen Haaren, so wie ich es bei ihm mache.
Erst wenige Minuten später lösen wir uns wieder voneinander und ignorieren die anderen vollkommen. Auch wenn die ungläubigen Blicke unbezahlbar sind. Wahrscheinlich kann sich niemand erklären, wie und wann das geschehen ist. Doch es geht sie auch nichts an. Hauptsache Rafael und ich sind glücklich und er wird diese Entscheidung niemals bereuen. Doch diese gegenseitige Anziehung kann man schwer ignorieren. Und ich bin entschlossen den Gefühlen zwischen uns näher auf den Grund zu gehen. So fasziniert bin ich noch von keiner Person gewesen und das gilt es näher zu beleuchten.
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Allein Unter Wölfen
FantasyDas letzte Jahr beginnt nicht so wie erwartet für Philia Anders. Die achtzehnjährige Raubkatze sieht sich in ihrem letzten Schuljahr einer ganz neuen Herausforderung gestellt. Ein Rudel Wölfe und sie ist mittendrin. Die Anfangs erwartete Langweile...