3. Kapitel

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Ich sah die Landschaft unter mir überaus deutlich. Sie teilte sich in Flüssen, Seen und Wäldern. Manchmal sah man kaum etwas, da die Wolken dicht wurden. Mein Gesicht hatte ich gegen die kleine Scheibe gedrückt, um besser sehen zu können. Ich gebe mir einen Punkt für meine Liste.

Über den Himmel schweben.

Abgehakt. Meine Sitznachbarin sieht mich fasziniert an, als wäre ich der Bruder eines berühmten Schauspielers. Ich spähte zu ihr herüber und bemerkte, wie sie mein Geschriebenes las. Überrascht ließ ich sie gewähren.

"Interessant.", gab sie von sich und guckte mich dann an. Sie trug eine Brille und hatte eine wilde Kurzhaarfrisur, was aber gut zu ihrem eckigen Gesicht passte. Lächelnd reichte sie mir die Hand, die ich nur langsam schüttelte.

"Catrice. Nenn mich ruhig Kitty.", sagte sie und las wieder meine 'überaus interessante' Liste durch. Ich klappte das Notizbuch zu und nahm keine Rücksicht darauf, ob sie zu Ende gelesen hatte. Kitty lehnte sich nach hinten und fragte nach meinem Namen.

"Netter Name."

Das Gespräch war beendet, meiner Meinung nach. Währenddessen nahm ich meinen Rucksack und stopfte das Notizbuch hinein. Ich wollte nicht, dass sie noch mehr davon las. Eigentlich störte es mich nicht, wenn jemand meine Werke kommentiert, aber diese Liste war mir zu intim. Alles, was sich in diesem Buch befand, war eng an mich gebunden, und niemand durfte daraus lesen, nur ich. Kitty hatte nur einen Blick erhascht, das hieß nicht gleich, dass sie alles gelesen oder verstanden hatte. Ein Punkt zum Beispiel hatte etwas mit John zu tun.

Ich malte mir aus, wie sie sich fragte, wer John war und dabei ihre kurzen Haare zu mir wandte. Mir kribbelten die Füße. Ich musste aufhören, über unrealistische Dinge nachzudenken, wie zum Beispiel John. Mit ihm hatte ich nichts vor. Er war nur am Rande wichtig.

Nach einer halben Ewigkeit landete das Flugzeug. Ich spürte, wie das Blut durch meine Adern schoss, wie ein riesiger Wall aus Gefühlen. Sowas überraschte mich schon lange nicht mehr. Deswegen mochte ich Berührungen nicht. Sie erinnerten mich daran, wie empfindlich und schwach ich war, im Gegensatz zu anderen Leuten.

Am Flughafen war es voll und laut. Langsam streifte ich durch die Menge und suchte ein geeignetes Plätzchen, um endlich meine durchgeweichten Brötchen zu vernaschen. Die hatte ich vorher eingepackt, doch ich hatte komplett vergessen, dass Essen im Flugzeug verboten war. Bekümmert stellte ich mich am Rande des Ausgangs und biss in die glitschige Masse hinein.

Was John wohl machte? Er sah vielleicht Fernsehen und aß dabei Popcorn oder Eiscreme. Im Moment dachte ich nur an einen riesigen Becher Vanilleeis. Mit Blaubeeren. Oder noch Besser, neben John.

Ich schrieb im Hotel einen neuen Punkt in der Liste dazu.

Eis mit John.

Dieser Punkt war ganz unten geschrieben und zwar so klein, dass ich ihn fast nicht lesen konnte. Ohne überhaupt weiter über diese dämliche Liste nachzudenken, schlüpfte ich in warme Klamotten und sah mich ein wenig im Hotelzimmer um.

Es war in hellen Farben gehalten, schlicht gestaltet und nicht gerade das Schönste aller Hotelzimmer. Die Fenster waren mindestens doppelt so groß wie die Spiegel, die an der Wand hingen. Im Bad roch es nach Reinigungsmitteln und Deodorant. Ich rümpfte die Nase.

Brooklyn war ein einziges Gewimmel von Leuten. Reklamen hingen an Gebäuden und vermittelten perfekte Zähne, schnelle Autos und genaue Zeitangaben. Mir fiel auf, wie schnell sich alles in der Stadt bewegte, und es war beunruhigend laut. Auch die Leute schienen hier mehr auf ihr Aussehen zu achten. Ich fühlte mich nicht wohl.

Über die Nacht hinweg hatte ich über John geträumt.

Er wartete am Flughafen auf mich und hatte sein typisches Lächeln aufgesetzt, dass ich ihm manchmal am liebsten aus dem Gesicht gewischt hätte. John winkte mir zu, während ich auf ihn zustürmte. Ich umarmte ihn. Sogar im Traum konnte ich sein bitteres Rasierwasser riechen.

McLennon Fic 'No Way back' (german)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt