13. Kapitel (Ende)

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Konzerte.

Schweiß rann mir von der Stirn. Im dämmrigen, stickigen Raum konnte ich kaum etwas sehen. Die Wände zeichneten sich nur leicht von der Menschenmenge ab, die wild umher wuselte. Neben mir stand John.

Seine Augen waren geweitet und in dunkles Braun getaucht. Mir kam es vor, er wolle alles Licht aufsaugen.

Mit schwitzigen Händen spielte ich eine Melodie. Sie war kaum zu hören, doch einige fremde Gesichter drehten sich zu uns. Unvertraute Blicke wurden uns zugeworfen. Ich fühlte mich bleischwer, konnte mich nicht bewegen.

Ringo spielte unscheinbar weiter hinten, dennoch spürte man seine warme Präsenz, die sich als Geknalle durch den ganzen Raum flutete. Mein Freund sang mit seiner unverkennbaren Stimme. Sie war so leicht, dass ich sie mir als Farbe ausmalen konnte. Kräftig blau würde sie sein, so segeln wie eine Taube.

Während ich spielte, sah ich immer wieder zu George herüber. In der schummrigen Beleuchtung wirkte er noch dünner.

"...When I hold you in my arms
And I feel my finger on your trigger
I know nobody can do me no harm"

Ich atmete die verbrauchte Luft ein. Sie verbrannte meine Lunge.

John drehte den Kopf zu mir, Schweißperlen flogen herüber und spiegelten sich im gelben Licht. Rasch hob ich den Kopf und fing an, mit ihm gleichzeitig zu singen.

"Because happiness is a warm gun
Happiness is a warm gun
Yes, it is."

Nach einigen Momenten, die sich wie eine Ewigkeit anfühlten, war das Lied zu Ende. Vor mir tummelten sich unbekannte Menschen. Es war unbeschreiblich.

Dies war das letzte Lied gewesen, dass wir gespielt hatten. Zusammen hatten wir nun mehr als dreieinhalb Stunden hier gesessen. Alle hatten den gleichen Ausblick gehabt. Die Menge, die sich nie zu teilen schien, eine endlose Flut aus Geschrei, empor gehobenen Armen und weit aufgerissenen Mündern. So weit das Auge reicht.

Und sie alle hatten mitgesungen. Jedes einzelne Wort.

Später spürte ich etwas in meinem Bauch. Es war ein kleines Kräuseln der Zufriedenheit. John sah mich mit einem müden, dennoch strahlenden Lächeln an und konnte nichts mehr sagen. Seine Stimme war am Ende.

George hatte ein nachdenkliches Gesicht aufgesetzt, doch Ringo war noch immer so aufgeregt wie am Anfang. Er meinte halblaut: "Wir waren so super. Echt. John, o Gott, du hast gesungen wie ein Profi!"

Da stimmte ich zu.

"Und George .... ", er machte eine dramatische Pause. "Das war so verdammt gut."

Ich sagte: "Aber du warst auch ganz schön toll!"

"Ah, danke ... "

Schüchtern drehte er sich weg. John zwinkerte mir zu. Wir sollten beide schleunigst verschwinden.

-

Schon wieder hatte ich das Gefühl, dass er mich mit seinen Blicken verfolgte. Er sah mich überall, vielleicht sogar durch mich hindurch, konnte die Errötung sehen, die sich an meinen Wangen hinaufkroch.

Meine blasser Körper wurde in alle Richtungen gedrückt. Die einzige Sache, mit der ich mich bemerkbar machte, war ein unterdrücktes Stöhnen. Die ganze Zeit.

John sagte nichts. Er genoss seine Machtposition, dass er mich im Griff hatte, mit mir machen konnte, was er wollte. Seine Fingernägel bohrten sich in meine Oberarme. Als er sich von mir löste, sah ich rote Flecken.

"Paul."

In der angenehmen Stille hörte sich seine Stimme wie ein Sägewerk an.

"John."

"Ich liebe dich so."

"Ich dich auch."

Er sah mich an. Braune, sogar fast grüne Augen funkelten aus dem spärlichen Licht auf mich herab. Wie Diamanten in einer Höhle. 

-

Die Beatles existierten weiter. Tausende von Mädchen schrien uns zu, während wir versuchten, in dem Getümmel mindestens ein Lied komplett singen zu können. Nach einiger Zeit wurde es  schlimmer. Immer mehr Stimmen stürmten auf uns ein; doch komischerweise schien es niemanden zu stören.

Nicht mal mich störte es wirklich. Ich genoss es vielleicht ein wenig. Nur ein bisschen.

Manchmal kam es zu kleinen Streitereien in der Band. Doch trotz all der Unterschiede, die wir zusammenbrachten, fanden wir einander. Sogar, wenn wir kurz vorm Aussteigen sind.

Und John? Er war noch immer mein Freund. Vielleicht nicht mehr mein fester Freund, so wie ich es früher gesagt hatte. Eher einer, der mit einem zusammen ein Bett teilen konnte, ohne sich Sorgen machen zu müssen. Einer, der mich durch alle Lebenslagen begleitete. Immer hinter einem stand.

Doch wie alle Freundschaften erlosch sie. An seinem Todestag.

"Wie hast du es erfahren?", fragte mich ein Interviewer.

Nervös kaute ich auf meiner Lippe herum und musste mich zwingen, still zu halten. Kalter Schweiß lief meinen Rücken herunter. Ich verstand es nicht.

"Radio."

"Oh, und wie hast du reagiert?"

"Ich ... "

Mein Stottern machte den Interviewer unsicher. Warscheinlich konnte er gar nicht erfassen, was gerade in mir vorging.

John. Er war tot.

Für immer und ewig. Und keiner konnte mich retten.

Ich aß nicht. Ich schlief nicht.

Das Einzige, was ich tat, war stundenlanges Heulen. Die ganze Zeit lang dachte ich nur an ihn. An sein herzerwärmendes Lächeln, die langen Wimpern, den forschen Gesichtsausdruck. Alles vermisste ich. Es zerriss mir das Herz.

Tagelang verkroch ich mich und konnte es nicht wahrhaben. Noch nie hatte ich mich so schlimm gefühlt.

Doch jeder stirbt. Niemand kann einen davor retten; es sei denn, er ist ein verrückter Wissenschaftler. Ich würde auch irgendwann mal ins Gras beißen.

Ich hoffte, meine Augenblicke vor dem Tod würden so lange dauern wie die von John. Vielleicht würde ich mich ihm dann näher fühlen.

Ihn ein letztes Mal spüren. Nur noch einmal.

~

Ende.

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es hat so viel spaß gemacht dieses kapitel zu schreiben!! ich hoffe es hat euch einigermaßen spaß gemacht ;u;

danke für's lesen! ♥♥♥

McLennon Fic 'No Way back' (german)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt