7. Kapitel

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Man konnte den Nachnamen ändern, sich die Haare färben, seine Dokumente schreddern. Auch konnte man jegliche Kontakte zu Freunden abbrechen und sich neue zulegen, weil man sich gerade eine neue Identität erschafft.
Aber das Gesicht bleibt für immer das Gleiche, egal wieviel Schminke man auftrug.

Das traf auf Nancy zu.
Sie hatte goldblonde Locken, ein herzförmiges Gesicht und große Augen. Ihre Stöckelschuhe passten haargenau zu ihrem Stiftrock, der sich eng an ihre Hüfte schmiegte. In ihrem Gesicht klebte teurer Hautaufheller.
Sie war wirklich hübsch.

Zu hübsch.

John musterte sie erstaunt und machte einen faszinierten Eindruck. Meine innere Alarmglocke wurde immer lauter, als ihr schmaler Körper zu unserem Tisch zusteuerte.

Als sie an ihm vorbeiging - was ihn natürlich noch fahriger machte - sprach er sie an. Nancy schaute ihn an, und für eine Sekunde lang sah ich ein imaginäres Band zwischen ihnen aufleuchten. Es war gruselig.

"Scheiße. Nancy?"

"John?"

Sie starrten einander fassungslos an, während ihr Tablett immer mehr sank. Ich und John wollten eigentlich einen entspannten Abend in einer Kneipe verbringen, aber nun entwickelte es sich immer mehr zum Kennenlern-Treffen. Oder her zum Hey-ich-hab-dich-so-lange-nicht-gesehen-Treffen.

"Was in aller Welt...?", fing er an und bekam Schweißflecken.

In einer Zeichentrickserie hätte er jetzt wahrscheinlich einen riesigen Mund gehabt, während Nancy's Augen aus den Höhlen quollen. Mir wurde heiß.

"Warte kurz. Ich komme gleich wieder.", sagte Nacy drastisch und lieferte das Tablett ab. Nach einiger Zeit hastete sie hinter die Kasse und bückte sich. Den Rest konnte ich nicht erkennen, egal wie sehr ich mich reckte.

John rieb sich mit feuchten Händen den Kopf und murmelte etwas Unverständliches.

Schnell schob Nancy den Stuhl nach hinten und setzte sich neben ihn. Gespannt sah sie ihn an, lächelte unentwegt und wandte dann den Kopf zu mir. Ich starrte nur. Starrte dieses ausgelutschte Objekt von Frau an, während John sich sammelte.

"Es ist so lange her. Oh Mann, ich muss nachzählen. Fünf, sechs Jahre? Nancy, du hast dich so verändert!", stellet er beigeistert fest. Mein Bauch rumorte. Nancy nickte bloß, grinste und ignorierte mich. Ihr ganzes Interesse hatte sie an meinen festen Freund gewidmet, John. Der ließ sich voll darauf ein.

"Witzig, dass wir uns hier treffen. Und, äh, wer ist denn deine Begleitung?"

"Paul McCartney. Mein Freund."

Achja, genau, ich bin der Freund, der Unwichtige, der Außenseiter, der, der am Ende das Essen bezahlen muss. Genau.

"John, ich muss jetzt weiterarbeiten. Hier hast du meine Nummer.", sagte sie langsam und schrieb ihre Telefonnummer auf eine Serviette. Lächelnd schob sie sie ihm zu und stand dann auf. Ihre Locken glänzten im fahlen Licht des Clubs.

"Oh, Nancy, danke. Hab Spaß. Ich ruf dich an!", stotterte John und rieb sich dabei den Kopf. Strahlend guckte er die Serviette an und steckte sie dann in seine Hosentasche. Wäre ich ein Mädchen, würde ich ihn fragen, was das sollte. Ich würde ihn Löcher in den Bauch fragen und nicht mehr neben ihn schlafen wollen.

Aber ich war ein Mann. Ein einsachtundsiebzig großer Mann, der empört die Augenbrauen zusammen zwickte. Ein Mann, der vor Eifersucht glühte.

"Verdammt, wer war das?", spuckte ich förmlich. Meine Wangen brannten vor Wut und Empörung.

"Eine alte Schulfreundin. Nancy. Sie ging in die selbe Klasse wie ich, und nach der Highschool trennten sich unsere Wege. Ich kann immer noch nicht glauben, dass sie es ist."

"Aha. Super."

"Sei nicht so eifersüchtig, Paul. Wie würdest du reagieren, wenn du eine alte Freundin wiedersiehst?", fragte er und lächelte mich zufrieden an. Seine Laune konnte ich nicht verderben, dafür war ich nicht böse genug. So ein Mist.

"Ich würde ihr wahrscheinlich die Haare vom Kopf reißen oder ihr Säure über das Gesicht schütten", erwiderte ich. Weil kein Mädchen mich aus der Schule gemocht hatte, weil alle dachten, ich sei unterbelichtet. Deswegen lästerten sie auch über mich, und eines Tages, nach dem Sportunterricht, machten sie einen Scherz mit mir. Das gemeinste Mädchen der Klasse, Jessica, hatte die großartige Idee, mich zu küssen.

Sie sagte, wenn ich sie nicht küsste, würde sie rumerzählen, dass ich eine Schwuchtel sei.

Folglich kam sie mit einem blauen Auge nachhause.

"Komm schon, Paul.", lachte John und trank seinen Schnaps aus. Er reckte sich und rieb sich die Augen. Ich spürte Tränen in meinen Augenwinkeln, wahrscheinlich hatte ich zu wenig geblinzelt.

"Gehen wir nachhause.", fügte er noch hinzu und stand auf. Zurück ließ er einen zwanzig Pfund Schein und zwei leere Gläser.

Als wir durch die Straßen trotteten, fiel mir auf, wie still er sich verhielt. Sonst sprudelte er nur von neuen Gesprächsthemen und erzählte sehr viel von seiner Arbeit, seiner Kindheit, seiner Jugend und mir. Dem war heute nicht so.

Zuhause machte ich mir Tee und dachte über Nancy nach. Ihr freundliches Aussehen und keckes Auftreten machte mir Sorgen. Vielleicht hatte John in Hinsicht von Frauen gelogen, vielleicht fand er Nancy hübsch und würde fremdgehen. Nun, sie konnte das mit mir und ihrem alten Schulfreund auch falsch verstehen. Sie könnte vor Östrogen lodern und versuchen, ihn anzumachen, nur um am Ende herauszubekommen, dass er schwul ist. Sie könnte sich deswegen sosehr schämen, dass sie den Kontakt abbricht.

Ich musste morgen wieder arbeiten.

Mein Chef war größer als ich, trug stets Anzüge und war Liebling der Frauen, weil er ein kantiges Elfengesicht hatte. Seine Augen waren klein und streng, und sie blickten mich immer wieder skeptisch an, wenn ich mal nicht an meinen Formularen arbeitete. Mein Gesicht war weicher. Ich hatte einen kleinen Mund, Augen mit dichten Wimpern und eine puppenhafte Nase.

John zog mich zu sich, um mich zu küssen. Er sagte, dass er sehr müde sei und wir uns früh ins Bett legen sollten. Bevor ich noch etwas erwidern konnte, nahm er das Telefon. Fragend blickte er mich an.

"Meinst du, sie hat jetzt Feierabend?"

"Ja."

Provokativ drehte ich mich um und stapfte die Treppen hoch. Nancy hier, Nancy da. Sie kann mich mal kreuzweise.

"Hey, Nancy!", hörte ich ihn sagen. Angesichts seiner freudigen Stimme wurde mir schlecht vor Eifersucht. Etwas zu schnell zog ich mich um und rannte die Treppen hinunter. In meiner Brust pochte es, meine Hände wurden kalt und meine Wangen wurden wieder heiß. Ich hasste Nancy.

"Ja, ich verstehe schon. Oh. Du, hast du am Wochenende Zeit? Damit wir die letzten Jahre aufholen können? Ahja. Okay. Bis bald!"

John legte grinsend auf und drehte sich zu mir. Überrascht kratzte er sich am Hinterkopf und sah wirklich so aus, als hätte er nicht gehört, wie ich reingekommen wäre. Beinahe nervös legte er das Telefon wieder hin.

"Am Wochenende hast du also keine Zeit für mich.", plärrte ich. Mein Freund winkte ab und ging genervt die Treppen hoch.

"Sei nicht so eifersüchtig. Ich meine es ernst, Paul.", sagte er und verharrte auf der obersten Stufe, die unter seinem Gewicht knarzte. Mit großen Augen schaute ich ihn an, musterte ihn ausführlich. Dann wandte er sich ab und ging ins Bad.

Das war John's Art, Fuck you zu sagen. 

McLennon Fic 'No Way back' (german)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt