Marzipan I; Oh My

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Als die Regionalbahn kreischend am Bahnhof in Lübeck hielt, wartete ich schon mit Karl unter der Tür, die sich sofort zischend öffnete. Meine eigene Fahrkarte für Bahn und Öffentliche im ganzen Bundesland war mein Studentenausweis. Das Semester (mein erstes), hatte zwar noch nicht angefangen, aber dass der Ausweis erst dann gültig sein würde, stand nicht darauf. Ich entschied mich für den Bus, um von Travemünde in die Innenstadt zu kommen, und wir stiegen am Holstentor aus. Es war wirklich ewig her, dass ich mal mit der Schule in Lübeck gewesen war, und wenn ich sonst irgendetwas brauchte, gab es mehrere kleinere, aber viel nähere Städte. Nachdem ich Karl endlich den Maulkorb abgenommen und ihm einen halben Hundekeks gegeben hatt, machte ich ein Foto von dem Tor und eines von Karl vor dem Tor, der mit zufrieden geschlossenen Augen in die Sonne grinste. Ich hatte mir einen Stadtplan der Innenstadt und einen Busfahrplan als PDF auf mein Telefon geladen und drehte mich kurz um mich selbst, um die Karte in die richtige Richtung zu halten. Ich spazierte mit Karl weiter zum Burgtor, dem einzigen anderen der ursprünglich vier Stadttore.

Als ich nach einem kurzen Fußweg in die richtige Straße einbog und mein Handy in meine Jackentasche schob, war ich zuerst ein bisschen enttäuscht von dem Betrieb, der hier herrschte. Vielleicht war es dumm, anzunehmen, dass schon nicht so viel los sein würde, aber irgendwie hatte ich gehofft, dass meine Strähne anhalten und der Tag so touristenleer bleiben würde. Jetzt waren gleich zwei Gruppen am Ort des Verbrechens und ich verlor fast meine gute Laune, als auch noch mein Magen knurrte.

Im Schatten eines Hauseingangs, auf dessen Treppenstufen ich mich hingesetzt hatte, schob ich mir den letzten Bissen meines Sandwich in den Mund. Gerade knüllte ich die Papiertüte zusammen und räumte sie zusammen mit der Wasserflasche wieder zurück in den Rucksack, da sprach mich von oben herab jemand an.

"Hi, darf ich dich vielleicht kurz stören?" Mein Magen machte einen erschreckten Satz und ich stand hastig auf, zerrte Karl an seinem Halsband zur Seite und entschuldigte mich hastig.

"Ich glaube, du hast mich falsch verstanden.", fing der Mann an, jetzt ebenfalls entschuldigend, "Ich will nicht da rein, eigentlich wollte ich nur etwas fragen." Ich schaute vorsichtig hinauf in sein Gesicht, das etwa einen Kopf über meinem schwebte und von Sonnenlicht umrahmt wurde. Er sah nett aus, und etwas hilfos, und ohne den Bart wahrscheinlich wie der niedliche Typ, dem ins Bier gespuckt wird und der immer zuerst Sonnenbrand hat. Er sah ein bisschen aus wie Casper.

"Oh. Okay.", sagte ich ermunternd.

"Ich kenne mich hier leider nicht aus, aber hier ist doch irgendwo der Marstall?", fragte er. Ich dachte kurz nach und nickte.

"Der Marstall gehört eigentlich zu dem Gebäudekomplex des Tores, das ist nur nicht sinnig ausgeschildert.", erklärte ich ihm. "Aber Sie haben Glück, eigentlich kenne ich mich auch nicht aus in Lübeck. Das Burgtor und der Marstall sind aber ein Jugendzentrum, in dem ich mal mit der Schule war."

"Soso.", lächelte der Mann. "Darf ich denn um noch etwas bitten?" Er zog sein leicht angeschlagenes Smartphone aus der Hosentasche und wischte über den Bildschirm. "Ich hätte gerne so ein richtig übertriebenes Touristenfoto von mir, aber ich bin alleine hier. Wenn du auch nicht von hier bist, können wir ja vielleicht tauschen? Ich mach die schönsten Bilder von Frauen und Tieren." Er grinste, es war ein Witz, und hielt mir das Gerät hin.

Ich merkte, wie ich rot wurde und nickte hastig. Was sollte das denn jetzt, machte der keine selfies? Möglichst ruhig und ohne die ausgestreckten Finger mit meinen zu berühren, nahm ich das Telefon an mich.

"Was soll denn alles auf dem Bild drauf sein?", fragte ich und hielt das flache Rechteck mit beiden Händen auf Augenhöge, um das Display gegen die Sonne besser erkennen zu können, und um mich dahinter zu verstecken.

Caspers Küstenaugen (Arbeitstitel)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt