Von Stolz und Scham

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Ich wurde geweckt von der Morgensonne, die in Gideons Zimmer schien. Blinzelnd öffnete ich die Augen und schaute direkt in zwei grün strahlende Smaragde.
„Guten Morgen", murmelte ich und streckte mich ein wenig, ohne zu viel Körperkontakt mit Gideon zu verlieren.
„Guten Morgen" flüsterte er und drückte mir einen Kuss auf den Mund. Ich fing an sein Sixpack, auf dem ich quasi lag, zu streicheln. Ich konnte einfach nicht widerstehen, wenn er so halbnackt vor mir lag.
„Wie lange bist du schon wach?"
„Etwa eine Stunde."
„Warum hast du mich denn nicht geweckt?", fragte ich, hörte mit meinen Umkreisungen auf und schaute ihm in seine wunderschönen, aufrichtigen Augen.
„Ich genieße es, dir beim Schlafen zu zu sehen Gwendolyn", gestand er und ich musste lächeln. Ja, es musste unglaublich betörend sein, mich zu beobachten, wie ich mich herumwälzte und schnarchte. Ganz sicher.
„Du schnarchst nicht", meinte er, als hätte er meine Gedanken gelesen.
„Dann ist ja gut", erwiderte ich grinsend und erhob mich langsam.
„Soll ich uns Frühstück machen?", fragte er mich, als ich mich zu ihm herumdrehte und seinen wunderschönen Körper betrachtete. Womit hatte ich ihn nur verdient? Sein Körper war einfach so perfekt. Ich folgte mit meinem Blick den geraden Linien seiner straffen Muskeln, bis runter zu dem Haarflaum über seinem Bauchnabel. Dieser kleine Strich Haare war so verdammt sexy. Am liebsten hätte ich mich genau jetzt wieder zu ihm gelegt und jeden einzelnen Zentimeter dieses Körpers geküsst.
„Oder möchtest du weiter meine Bauchmuskeln anstarren?", fragte er verschmitzt. Ich setzte eine Miene auf, als könne ich mich nur schwer entscheiden und erwiderte schließlich zuckersüß: „Frühstück!"
Sichtlich enttäuscht erhob sich also nun auch Gideon und ging gemeinsam mit mir in die Küche. Ich setzte mich auf einen der Barhocker an der Küchentheke und schaute ihm dabei zu, wie er uns Rührei zubereitete. Ich wollte eigentlich nicht über das, was gestern passiert war nachdenken, um den schönen Moment nicht zu zerstören. Aber mir blieb nichts anderes übrig. Ich musste mir überlegen, wie ich ihn am besten darauf ansprach. Er wirkte heute morgen so unbeschwert, als wäre nichts passiert. Aber das war es. Und ich machte mir alle Mühe, den verzweifelten, hilflosen Gideon von gestern Abend aus meinem Kopf zu verbannen, doch es gelang mir nicht.  Beim Gedanken daran, würde ich ihm am liebsten wieder um den Hals fallen und ihn nie mehr loslassen. „Einmal Rührei mit gebratenem Speck, Miss Shepherd", sagte Gideon mit einem breiten Grinsen und stellte den Teller mit dem Rührei vor mich hin.
„Vielen Dank Mr de Villiers", schnurrte ich und machte mich über das Frühstück her. Wir sprachen kein Wort, während wir aßen. Ich hatte Angst, dass heikle Thema anzusprechen, da ich keine Ahnung hatte, welche Reaktion ich von Gideon dazu erwarten konnte. Als er schließlich unsere leeren Teller in die Spüle räumte, fasste ich meinen Mut zusammen.
„Hör zu... wegen gestern.. ich", begann ich, doch er ließ mich nicht ausreden.
„Ist schon okay, lass uns einfach nicht drüber reden, ja?" Er schaute mir nicht in die Augen, sondern fing an das schmutzige Geschirr abzuwaschen.
„Aber Gideon, wir müssen darüber reden, du warst gestern so aufgebracht. Ich hab dich noch nie so gesehen."
„Wie gesehen? Hilflos? Heulend? Herzlichen Glückwunsch Gwendolyn, dass du mich so erleben durftest. Aber glaub ja nicht, dass sich das in irgendeiner Art und Weise noch einmal wiederholen wird!", giftete er mich plötzlich an. Ich erschrak vor seinem Gesichtsausdruck, der eben noch so weich gewesen war und nun so zornig. Warum rastete er so aus? Was war bitte so schlimm daran, einem Menschen, der einem so nahe stand, seine Gefühle zu zeigen, ohne sie zu verbergen?
„Was ist denn los mit dir?", fragte ich ruhig und versuchte meine Fassung zu bewahren.
„Was mit mir los ist?", rief er wütend. „Mit mir ist gar nichts los. Es geht mir prima! Das gestern war Schwäche!" Er spuckte mir das letzte Wort quasi ins Gesicht, als würde er sich davor ekeln. „Schwäche, die nicht wieder auftreten wird!"
„Was ist denn so schlimm daran Schwäche zu zeigen? Jeder hat mal solche Momente! Das ist vollkommen normal, davor braucht man sich doch nicht zu schämen!", rief ich. Was war denn in ihn gefahren? Warum war es ihm so unangenehm darüber zu reden? Ein sarkastisches Kichern ertönt aus seinem Mund. „Ich schäme mich nicht dafür Gwen!", sagte er ruhig, doch seine Worte trieften vor Ekel.
„Warum regst du dich dann hier so auf, hm?" Nun wurde ich auch etwas lauter. „Warum schreist du mich hier an, nur weil ich mit dir über deine Probleme reden möchte??"
„Weil dich meine Probleme nichts angehen!", schrie er. Wow, das tat weh.
„Natürlich gehen mich deine Probleme was an! Ich bin deine Freundin, wenn es dir nicht gut geht, muss ich versuchen, dir zu helfen und mit dir darüber zu sprechen!"
„Und was, wenn ich nicht darüber sprechen will?" Der Zorn beherrschte seine Stimme nun voll und ganz. Wie er mich jetzt anschaute, war beinahe unerträglich. Voller Wut und Verachtung. Es war nichts mehr zu sehen von dem Gideon, der gestern noch so aufgelöst war.
„Dann kann ich dir nicht weiterhelfen. Und glaub mir, du brauchst meine Hilfe! Nach dem, was gestern war bin ich mir ziemlich sicher, dass du jemanden an deiner Seite brauchst, während du das durchstehst", rief ich und versuchte seinem Blick standzuhalten. Seine grünen Augen funkelten.
„Ich versuche doch nur, dich von meinen Problemen fernzuhalten!"
„Na, das hast du ja super hinbekommen, als du mich gestern angefleht hast mit dir zu schlafen, damit es dir besser geht, Gideon!", donnerte ich ihm ins Gesicht. Seine Miene veränderte sich für den Bruchteil einer Sekunde. Scheiße, der hatte gesessen. Ich wollte mich gerade dafür entschuldigen, als sein Ausdruck wieder eiskalt wurde.
„Wie schon gesagt, das war ein Moment der Schwäche!", flüsterte er fast und verlor dabei keinen Funken Eindringlichkeit in seiner Stimme. „Und das wird nie wieder vorkommen." Er starrte mir weiterhin in die Augen.
„Du bist so ein Idiot, Gideon!", brüllte ich. Wie konnte man nur so stolz sein? Warum konnte er nicht einfach akzeptieren, dass auch er manchmal Hilfe brauchte?
„Ich bin ein Idiot, weil ich versuche meinen Mann zu stehen?", fragte er voller Sarkasmus. Nun konnte ich mich nicht mehr halten.
„Darum geht es hier also? Ich dachte, dass du diese Zeit hinter dir hättest, in der du deinen Scheiß-Stolz nicht ablegen konntest, um deine Gefühle zu zeigen. Einen richtigen Mann kriegt also nichts unter? Er braucht keine Hilfe und steht alles alleine durch?? Das ist einfach nur vollkommen hirnlos! Ich dachte wirklich das hättest du hinter dir", schrie ich ohne falsche Zurückhaltung.
„Gwendolyn, ich.."
„NEIN, lass gut sein. Weißt du was?", ich baute mich vor ihm auf. „Ich hätte gestern beinahe das erste Mal mit dir geschlafen, nur um dir einen Gefallen zu tun! UM DIR EINEN GEFALLEN ZU TUN!! Denn du... du„brauchtest es" ja. Ich wollte an dem Abend nicht. Nicht so. Aber ich hätte es getan, um dir zu helfen, weil du ja nicht reden wolltest. Du willst nie reden! Dafür bist du zu stolz! Und du bist auch zu stolz dafür, zu zu geben, dass auch du verdammt nochmal Schwäche zeigen kannst, ohne dich dafür zu schämen!" Mit Tränen in den Augen stand ich nun ganz dicht vor ihm und wir funkelten uns gegenseitig an, als ginge es um Leben und Tod.
„Ich bin für dich da und will dir nur helfen, Gideon."
„Ich brauche deine Hilfe nicht" antwortete er leise und starrte mich an.
„Okay", gab ich zurück und versuchte meine Tränen zurückzuhalten. Ich machte auf der Stelle kehrt, zog mir meinen Mantel über, der zum Glück lang genug war, sodass man nicht hätte erahnen können, dass ich nur ein T-Shirt darunter trug und ging in Richtung Haustür. Schon auf dem Weg dorthin, liefen mir die Tränen nur so über die Wangen und ich betete, dass er es nicht bemerkte. Als ich aus der Wohnung trat, knallte ich Tür zu und rannte, so schnell es ging, die Treppe hinunter.

BernsteingoldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt