Liebe geht durch alle Zeiten

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„Ich hab kein Bock mehr zu lernen!", rief ich aus und ließ meinen Kopf auf den alten Schreibtisch des Jahres 1910 sinken.
„Ich auch nicht", stimmte Gideon ein. „Aber da kommen wir nicht drum herum..."
„Bei dir ist es ja wenigstens was was dich interessiert", erwiderte ich und drehte mich zu ihm herum. Er saß auf dem schlotterigen grünen Sofa und hatte einige Medizinbücher offen vor sich liegen.
„Mathe kann auch sehr interessant sein."
Ich warf ihm einen misstrauischen Blick zu.
„Na ja, okay, das vielleicht nicht, aber morgen hast du es schließlich hinter dir", versuchte er mich weiterhin aufzumuntern. Ich stoß ein missgelauntes Brummen aus und stand auf um zu ihm rüber zu gehen. Ich nahm das Buch, was aufgeschlagen auf seinem Schoß lag und legte es auf den Boden.
„Mir fallen einfach viel bessere Dinge ein, die wir beide tun könnten", flüsterte ich und setzte mich breitbeinig auf seine ausgestreckten Beine. Gideon stoß resignierend die Luft aus und zog mich höher auf seinen Schoß, um mich zu küssen. Sanft bewegten sich seine Lippen auf meinen. Vermutlich würden seine Küsse nie ihren Effekt bei mir verlieren. Ich seufzte und schlang meine Arme um seinen Nacken. Seine Hände glitten unter mein Shirt und strichen sachte über meinen Rücken. Er ließ von mir ab und fing an meinen Hals und meine Schulter mit Küssen zu übersehen. Ich hielt die Augen geschlossen und drückte mich enger an ihn. Sachte vergrub ich meine Hände in seinen Haaren und genoss seine Berührungen.
„Du riechst so gut, Gwen", murmelte Gideon und atmete tief ein. Ich grinste und schaute in sein Gesicht, als er von meinem Dekolletee abließ. Seine Haare fielen ihm leicht in die Stirn und seine smaragdgrünen Augen strahlten mir entgegen. Unsere Gesichter kamen sich erneut sehr nahe. Er nahm meinen Kopf in seine Hände und ein weiterer Kuss entfachte auf unseren Lippen. Seine Zunge umkreiste meine und ich presste meinen Körper näher an seinen. Vorsichtig zog ich an einzelnen Strähnen seines Haars, was ihn leise aufstöhnen ließ. Wir ließen voneinander ab und schauten uns tief in die Augen.
„Ich muss jetzt wirklich noch ein bisschen lernen und das solltest du auch versuchen", sagte er, woraufhin ich nachgab und von seinem Schoß rutschte.
„Ich weiß."

Zurück in der Gegenwart erwartete uns... keiner.
„Wo ist denn Mr Marley?", fragte ich verwundert und schaute mich im Chronografenraum um.
„Ich glaube die Wächter machen sich nicht mehr die Mühe uns einen Babysitter hinterher zu schicken. Den Weg zurück kennst auch du inzwischen und ich bin mir sicher, dass Leute wie Mr Marley spannendere Tätigkeiten haben, als hier auf uns zu warten."
„Na ja, schon.. aber immerhin hat er uns trotzdem immer gefragt, ob „irgendwelche besonderen Vorkommnisse" geschehen sind", ich versuchte die Stimme von unserem Lieblingslogenmitglied bei den letzten Worten so gut es ging nachzumachen und Gideon grinste mich an. Seine Augen strahlten, obwohl er in letzter Zeit durch sein Studium so wenig Schlaf bekam.
„Falk meinte nur zu mir, dass wir es ihm sagen sollen, falls was ungewöhnliches passiert", kicherte Gideon noch immer belustigt von meiner Marley-Imitation.
„Besonders viele ungewöhnliche Dinge werden wohl nicht mehr passieren, jetzt wo die ganzen Geheimnisse aufgedeckt sind..."
„Gwen, das hier ist die Loge der Wächter. Ich glaube, hier gibt es einige Geheimnisse, die noch nicht offenbart wurden." In Gideons Augen flackerte die Abenteuerlust.
Ich musste grinsen. „'Offenbart'... du redest schon wieder wie dein Onkel, Gid!"
Er fiel in mein Lachen mit ein und zog mich in seine Arme. Ich atmete tief ein. Er roch nach Aftershave und nach Gideon... Ich kuschelte mich enger in seine Umarmung.
„Vielleicht sollten wir das mit Grandpas Schlüssel im alten Chemielabor dennoch weiterhin für uns behalten, obwohl es wahrscheinlich zu gewissen besonderen Vorkommnissen gehört, wenn wir heimlich in der Vergangenheit herumlaufen", meinte ich.
Wir hatten mit meinem Grandpa vereinbart, dass er weiterhin, wie „damals" zwecks des Informationsaustausches, den Schlüssel und die Parole des Tages hinter einem der Steine des alten Gemäuers für uns versteckte, damit wir ihn besuchen konnten. Nur war es nun nicht mehr zu informativen Zwecken, sondern einfach, damit ich zeit mit meinem Grandpa verbringen konnte. Des Weiteren war es ein sehr netter Nebeneffekt, dass er uns dabei seine Welt zeigen konnte. Ich musste zugeben, in der Realität war alles noch viel imposanter und schöner, als in den vielen Filmen, die ich mit Leslie gesehen hatte. Jedoch durften wir uns natürlich weiterhin nicht selber das Jahr aussuchen, in das wir reisten also war es immer eine spontane Sache, ob wir an manchen Tagen in eine Zeit geschickt wurden, in der Grandpa schon Logenmitglied war und in welcher wir somit Zugang hatten zur Außenwelt des 20. Jahrhunderts. Dies war bedauerlicherweise erst nach 1956 der Fall, da er zuvor nichts von unserer Vereinbarung wusste. Ich war noch immer etwas enttäuscht darüber, die Coronation von Queen Elizabeth somit um drei Jahre verpasst zu haben, jedoch hatte mich Gideon vor ein paar Wochen mitgenommen zu einem Konzert von den Beatles. Ich gewöhnte mich wohl nie an diese Sache mit dem Zeitreisen. Die Beatles und andere Musiker dieser Zeit live zu sehen, bevor sie überhaupt den großen Durchbruch hatten, war einfach zu surreal.
„Das sollten wir definitiv weiterhin für uns behalten", antwortete Gideon und ich löste mich aus seiner Umarmung.
„Aber scheinbar vertrauen mir die Wächter inzwischen um einiges mehr, ich hab sogar das Gefühl, dass Mr White in letzter Zeit weniger unfreundlich zu mir ist."
„Na ja, immerhin warst du diejenige, die von Anfang an auf der richtigen Seite stand. Und zwar nicht wie alle anderen die des Grafens. Hätten sie dir von Anfang an mehr zugetraut und anvertraut, wäre das alles vielleicht schneller gut ausgegangen."
Da hatte er vielleicht recht. Aber ich konnte es ihnen letztendlich nicht wirklich übel nehmen. Schließlich hatte der Graf höchstpersönlich noch heute seine Finger im Spiel gehabt und alle um sich herum beeinflusst.
„Es ist schlussendlich aber auch so alles gut ausgegangen", sagte ich und lächelte Gideon an.
„Das stimmt", lenkte er ein und küsste mich erneut sanft auf die Lippen.

BernsteingoldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt