Daran könnte ich mich gewöhnen

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„Könntest du mir mal die Soße reichen?",  fragte ich Tante Glenda, als wir zu Abend aßen. Wir durften heute ausnahmsweise in unseren gemütlichen Klamotten am Esszimmertisch sitzen, da wir die Heizung erst vor ein paar Stunden angestellt hatten und es in den riesigen Räumen unseres Hauses so lange brauchte, bis es überall warm wurde. Seit gestern war es wirklich verdammt kalt geworden. Sogar für London sehr kalt für Mitte Oktober. Doch irgendwie mochte ich diese Zeit besonders. In der man sich schön einkuscheln konnte und mehr Zeit drinnen verbrachte. Ich lernte die Zeit, in der ich zuhause sein konnte, sowieso ziemlich zu schätzen. Das Elapsieren nahm nun einmal ziemlich viel Zeit in Anspruch und da ich auch meist erst so spät Schulschluss hatte, genoss ich sogar das Zusammensein mit der ganzen Familie am Abend um einiges mehr, als vorher.
„Und, Gwendolyn? Wie läuft es so mit dir und Gideon?", fragte mich Tante Glenda, als sie mir die Soße rüber gereicht hatte. Ich errötete. Dass ich vor ein paar Tagen das erste Mal mit ihm geschlafen hatte, war wohl nicht gerade die Information, die sie unbedingt hören wollte. Caroline kicherte.
„Gwenny ist verliebt in Gollum!" Sie nannte ihn Gollum, weil sie seinen Namen beim ersten Mal falsch verstanden hatte und es nun scheinbar witzig fand.
Ich grinste meine kleine Schwester an.
„Das stimmt", antwortete ich. „Es läuft prima zwischen uns", ging ich dann auf die Frage von Tante Glenda ein.
Heute konnte er mich leider nicht zum Elapsieren begleiten, dabei hatte ich gerade heute kaum Hausaufgaben auf und langweilte mich im alten Chemielabor fast zu Tode. Die Tage davor hingegen kam er zwar mit, aber da ich gestern gleich zwei Klausuren schreiben musste, hatte ich ordentlich zu tun mit lernen. Es war mal wieder wie verhext mit der Zeit. Doch dafür hatten wir ja Sonntag den ganzen Vormittag für uns... Ich konnte mir bei diesem Gedanken ein Lächeln nicht verkneifen.
„Gwenny, wenn es soweit ist, müsst ihr über Verhütung nachdenken, das wisst ihr doch, oder? Grace, vielleicht kannst du ihr ja auch mal ein Rezept für die Pille holen oder wie dieses Ding heißt", meldete sich Großtante Maddy plötzlich zu Wort.
Meine Gesichtsfarbe ging nun in ein dunkles rot über. Oh Gott, wie war das noch mit „das Zusammensein mit der Familie genießen"? Ich sackte immer tiefer in meinen Stuhl, als ob ich darin verschwinden könnte.
„Also Tante Maddy!", rief meine Mutter empört.
„Könnten wir sowas bitte nicht bei Tisch besprechen, Madeleine?", bat Lady Arista, woraufhin sich Großtante Maddy mürrisch wieder ihrem Teller widmete.
Danke, lieber Gott! Ich schaute zu Charlotte, die mir einen giftigen Blick zuwarf. Ich hatte nach der Geschichte auf der Party kein einziges Wort mit ihr gewechselt und sie hatte ihrerseits keine Anstalten gemacht, sich bei mir für ihr Verhalten zu entschuldigen. Stattdessen war sie seitdem wieder unausstehlich zu mir, soweit das denn ohne Worte möglich war. Ich verstand dieses Mädchen einfach nicht. Da hatte sie selber einen Freund und war scheinbar trotzdem noch immer eifersüchtig auf mich. Als ich aufgegessen hatte, bat ich darum, schon auf mein Zimmer zu gehen. Auf dem Weg nach oben, kam mir plötzlich jemand hinter her gerannt.
„Gwen!"
Ich drehte mich um.
„Was willst du von mir Charlotte?", fragte ich wütend.
„Ich ähm... ich wollte mich bei dir entschuldigen.. Für das, was am Samstag passiert ist.."
Wow, eine Entschuldigung von Miss Unantastbar, das war ja unglaublich.
„Ich... wir haben gekifft", flüsterte sie. Ich fiel aus allen Wolken. Charlotte und Drogen? Was war denn nur los mit ihr? Sie war noch vor ein paar Monaten das brave, anständige Mädchen und jetzt? Ich starrte sie erschrocken an.
„Bitte erzähl's nicht Mom oder Lady Arista oder so.. Gordon macht das öfter mal und ich hab's jetzt auch schon ein paar Mal geraucht und an dem Abend war das etwas viel auch mit dem Alkohol zusammen... es tut mir leid."
Fast erhaschte sie mein Mitleid, aber ich überlegte es mir dann doch anders.
„Pass mal auf! Ich werde niemandem davon erzählen, und zwar aus dem einfachen Grund, weil du selber damit klarkommen musst. Ich hasse dich nicht, Charlotte, auch wenn du mich manchmal fast dazu bringst. Soll heißen, ich will nicht dass du irgendwie abrutschst oder sonstwas." Ich machte einen Schritt auf sie zu. „Aber mal ganz ehrlich: Ein gutes hat die Sache. So hab ich wenigstens erfahren, was früher zwischen dir und Gideon gelaufen ist und eins kannst du mir glauben: Ob ihr damals miteinander geschlafen habt oder nicht, Gideon und ich haben momentan atemberaubenden Sex, der Unterschied ist aber, dass er mich dabei liebt. Bei dir ging es nur um das körperliche. Merk dir das, wenn du das nächste Mal versuchst meinen Freund anzubaggern. Gideon hat nie etwas für dich empfunden und wird es auch nie!" Ich spuckte ihr die letzten Worte fast vor die Füße, so sauer war ich.
Charlotte schaute mich irritiert an und kniff die Augen zusammen, als ob sie sich nicht entscheiden konnte, wie sie reagieren sollte. Letztendlich entschied sie sich wahrscheinlich dafür, zurück zu giften, doch da war ich bereits ein Stockwerk höher und ließ die Tür hinter mir ins Schloss fallen.

BernsteingoldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt