2 ~ Der Tag hat...

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Der Tag hat sich so hingezogen. Nach dem Frühstück scheuchte mich meine Mutter hoch ins Zimmer.
Gerade wollte ich in mein Brötchen beißen, als sie dazu kam und es mir sofort wegnahm.
Ihre Worte werde ich an dieser Stelle nicht wiederholen. Es war kränkend.

Also bestand mein Frühstück aus einem Orangensaft und einem Apfel.
Aber ich hatte mir später, als sie dann endlich aus dem Haus war, ein Omelett gebraten, das vorzüglich schmeckte.
Ja, ich koche gern und ich räume auch selbst mein Zimmer auf.
Anders als mein lieber Bruder, der sich alles, wirklich alles hinterher tragen lässt.

„Miss Allistair?" ruft es von der Tür, als ich gerade mein Laptop runterfahre.
„Maris, kommen Sie doch rein." rufe ich und lege den Laptop auf mein mit gelber Bettwäsche bezogenes Bett.
Gelb ist meine Lieblingsfarbe.
Man kann sie perfekt zu schwarz kombinieren und es erinnert mich an eine Biene oder an Hummeln.
Ich streiche mein gelbes Kleid glatt, als Maris ins Zimmer kommt und mich anlächelt.
„Ihre Mutter lässt mich schicken. Sie sollen bitte pünktlich 19:00 Uhr beim Abenddiner erscheinen."

„Vielen Dank, Maris. Ich werde natürlich überpünktlich erscheinen." Ich muss ihr zuzwinkern. Eigentlich duzen wir uns, aber natürlich nicht vor anderen oder wenn es meine Eltern hören konnten.
Maris hatte sich immer dagegen gewehrt, aber da sie nur ein Jahr älter war als ich, habe ich sie irgendwann überzeugen können.
Sie ist so etwas wie meine Freundin. Sie bekommt das Verhalten meiner Familie mit, aber sie kann natürlich nichts dagegen tun und ich kann Maris auch nicht einladen oder etwas mit ihr unternehmen. Wenn das meine Eltern erfahren würden, wäre Maris ihren Job los, deshalb beschränkt sich unsere Freundschaft auf die kurzen Momente, die wir zusammen haben.
Meine Eltern sind zwar nicht oft da, aber mein Bruder ist oft zu Besuch und meine Mutter hat Kameras installieren lassen, damit kein Angestellter etwas stehlen kann.
Schon die Unterstellung machte mich wütend, aber was habe ich schon zu sagen?!

„Bist du heute Abend dabei und unterstützt mich seelisch?" frage ich sie und umarme sie kurz zur Begrüßung. Maris hatte mir vor ein paar Wochen gezeigt, wie das mit der Begrüßung bei ihrer Familie abläuft.
Ich stelle mich immer noch ein wenig ungelenk an. Umarmungen kenne ich aus meiner Kindheit nur von meinem Bruder.
Seit gut vier Jahren hat er mich nicht einmal mehr berührt.
Bevor sich mein Herz wieder zusammenkrampfen konnte, denke ich schnell an etwas anderes.

„Nein, es tut mir Leid Cosmea, ich werde heute bis 17:00 Uhr arbeiten. Mrs. Allistair hat mir frei gegeben, damit ich zum Arzt gehen kann."
Ach herje, jetzt muss ich das Ganze auch noch alleine durchstehen.
Aber die zwei Stunden werde ich überleben.

Mein Herz klopft schnell vor Aufregung, als ich in den Spiegel sehe.
Meine blonden Locken fallen mir über die Schulter, ich habe mich sogar dezent geschminkt. Nur Lippenstift in Zartrosa, etwas Puder und Mascara.
Beides hatte mir Mutter zu meinem letzten Geburtstag geschenkt.
Gewünscht hatte ich mir eigentlich eine Sonderausgabe meines Lieblingsbuches, aber das wollte sie gar nicht erst hören und wehe, ich sage so etwas vor Freunden oder Verwandten, dann könne ich aber etwas erleben.

Ich habe mich für das schwarze bodenlange Kleid mit einem leichten Rückenausschnitt entschieden.
Mit den Händen teile ich meine Haarpracht und lege sie nach vorn und betrachte den Ausschnitt.
Man sah sogar das kleine Tattoo, was ich mir vor einem Monat habe stechen lassen. Ein kleiner bunter Vogel eingraviert in meine Haut auf meiner Wirbelsäule, zwischen den Schulterblättern.

Dafür musste ich Henry anlügen. Ich hatte ihm gesagt, dass ich ins Kino gehen würde, während ich in dieses Studio ging und sofort einen Termin bekam.

Grinsend drehe ich mich um mich selbst. Das Kleid kaschiert meine Pölsterchen und den Großteil meiner hellen Haut.
Die Sandalen sieht man fast gar nicht.

all the lies - verführtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt