Zwei Wochen verließen sie geschwind und Amalia wurde immer mehr ein Teil von Selmas Leben.
Eine neue Art von Routine breitete sich aus, welche Selma nicht ganz geheuer war, denn solch eine hatte sie nie in ihrem Leben. Sie war immer allein und plötzlich trat ein aufgewecktes, wunderbares Mädchen in ihr Leben und ließ ihren Alltag bunter wirken. Abenteuerlustiger.
Sie konnte sich ein Leben vor Amalia nicht vorstellen, gar ein Leben nach Amalia. Die witzigen Unterhaltungen, die Lernstunden in Deutsch und Isländisch. Die kurzen Momente der Stille.
Doch am Liebsten waren ihr die Augenblicke, wenn Amalia sich porträtieren ließ. Dann war es meist über Stunden hinweg still. Der Pinsel gab den Ton an und vollführte akrobatische Kunststücke auf dem weißen Papier.
Warmer Atem erstickte den Raum in eine wohlige Atmosphäre und Selmas Knie zitterten, wenn sie auch nur an diese Sekunden der Spannung dachte, wenn sie einen Stift in die Hand nahm und die rothaarige Schönheit für sie posierte.
Einmal, als sie in ihrem Buch las, erinnerte sie sich an den Künstler Jack. Jack und Rose. Jack und Rose hoffnungslos verliebt auf einem hoffnungslosen Schiff.
Jeder konnte die Elektrizität zwischen ihnen spüren, als die bildschöne Dame für ihren Liebsten da lag und Jack kaum die Augen von ihr nehmen konnte.
Sie hasste solche Filme, doch diese Szene hatte es ihr angetan und genauso fühlte sie sich, wenn sie Amalia skizzierte. Sie konnte sich kaum losreißen von ihrem Anblick.
An diesem Morgen fand sie ihre Besucherin nicht, wie gewohnt in der Küche vor, sondern erst Minuten später auf dem Dach ihrer Hütte. Dieses war platt und durch eine längst vergessene Leiter gelangte man hoch. Eigentlich wollte sie dort einen Garten anbauen, jedoch kam es nie dazu.
"Ich habe dich gesucht." Die zierliche Frau drehte sich erschrocken um, als Selma sie von der Leiter aus ansprach.
"Sorry, aber ich musste bisschen nachdenken." Keiner verstand das so gut wie die Schwarzhaarige, weswegen sie beschwichtigend nickte. "Du möchtest nichts essen?" Die Arme um ihre dicke Wolljacke gewickelt setzte sie sich neben Amalia.
"Nein, keinen Hunger." Gemeinsam genossen sie den angenehmen Wind und das Vogelgezwitschert.
"Wieso lebst du alleine, Selma?"
Die Gefragte zuckte mit den Schultern. Nicht, weil sie es nicht wusste, sondern weil ihr die Antwort gleichgültig war. Möge man es sich doch zusammenreimen wie man will, am Ende gab es noch tausende Gründe, wieso sie allein, abgelegen von jeglicher Zivilisation lebte.
"Weil Menschen mich anwidern."
Verwirrt wurde Selma von der Seite angestarrt. "An...anwidern?"
"Ja, anekeln oder verabscheuen. Sie nerven mich."
"Nerve ich dich?" Diese Frage bestürzte sie.
"Nein. Nein du nervst mich nicht. Du bist angenehm?"
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Antonym - Die Philosophie der Gegensätzlichkeit {✓}
Ficção AdolescenteWir Menschen haben eine bestimmte Abfolge, ein bestimmtes System in unser Leben gemeißelt, welches von Geburt an eingebrannt wird in jedes Kindes Gehirn. So wie auch Gegensätze. Es ist ein ausgeklügeltes Prinzip, welches man nicht hinterfragen soll...