Kapitel 4

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Theresia

Montagmorgen ist mit Garantie die schlimmste Zeit der Woche. Im Ernst, am Montagmorgen sollten die Schulen erst so gegen 12 Uhr beginnen. Oder am besten gar nicht. Dieser Montagmorgen war besonders schlimm. Am Sonntag waren Marie und ich bis 2 Uhr morgens unterwegs. Klingt, als wären wir in Discos gewesen und hätten vielleicht sogar etwas ähnliches wie ein soziales Leben gehabt, nicht wahr? Tja, in der Realität fand am Sonntag ein Kinderkonzert statt. Wir großherzigen Mädchen rafften uns also um neun Uhr auf und gingen im Schlepptau mit vier (!!) quengelnden Kleinkindern in einen Park voll frischgebackener Mütter in Still-BH und Leggings, die uns in Gespräche über die richtige Folgemilch verwickeln wollten, um uns einen grauenhaften Sänger anzuhören, welcher davon sang, dass 'das kleine Bärchen dringend muss aufs Töpfchen'. Aus irgendwelchen Gründen hat das aber unseren kleinen Geschwistern gefallen. Warum das jedoch bis zwei Uhr morgens dauern musste, wird mir wohl ein ewiges Rätsel bleiben.

Jetzt um halb sieben Uhr waren alle Familienmitglieder in der Küche. Es duftete nach Croissants, Marmelade, Kaffee und Spiegeleiern. Die jüngeren Kinder spielten während des Essens mit Plastikdinosauriern, Lilja, Marie, Lorenz, Papa und ich teilten uns die Zeitung und Mama hantierte in der Küche herum. Wie immer um diese Zeit läutete es pünktlich um viertel vor sieben an der Haustür. Cleo und Marcus, Maries beste Freunde, standen an der Tür. Meistens aßen sie auch noch mit uns; auf zwei Personen mehr oder weniger kams auch nicht drauf an.

Auch an diesem Morgen läutete es an der Tür, aber das erste, was wir hörten, als Lilja öffnete, war ein lautes, anhaltendes Kreischen. Sehr laut. Und weiblich. Klang, als hätten gerade One Direction zusammen mit Justin Bieber und Ariana Grande eine Live-Performance hingelegt und eine ganze Fussballmannschaft aus Cloes und Liljas hätte auf die Bühne dürfen.

Als Mama leicht besorgt und mässig interessiert fragte: "Lilja, Cloe, alles in Ordnung bei euch?" erhielt sie die leicht gestammelte Antwort:"Ja ja ja a..aber N..neverland (kurzes Aufkreischen von Lilja und Cloe, genervtes Aufstöhnen von allen anderen Personen) sind in der Stadt! Omg!! W.. wir müssen da hin!" Niemand wunderte es, dass von Mama keine Reaktion kam. Sie schrubbte gemächlich das Geschirr, während Marie und ich gleichzeitig unsere imaginären Pistolen herauholten, uns gegenseitig erschossen und qualvoll zuckend verreckten. Was hatten diese komischen Teenie-Weiber mit dieser noch komischeren Band? Neverland... Okay, die Lieder sind super (auch wenn ich das nie zugeben würde) aber wie kann mam deshalb so auszucken? Ich habe keine Ahnung, wie die Leute aus der Band aussehen oder heißen oder ob sie eine Boyband sind oder nicht, aber ehrlich mal, wen juckts? Die Wahrscheinlichkeit, jemanden aus dieser Band mal persönlich zu treffen, liegt sicher bei 1:1000000 also wen juckts? Außerdem sind die sicher abgrundtief unsympathisch. Ganz anders als Michael... Okay, ich geb zu, ich hab manchmal an ihn gedacht. Immerhin sieht er super aus. Warum hat er wohl nicht angerufen? Vielleicht hat er ja eine Freundin. Nein, bestimmt hat er eine Freundin. Oder ich war im zu jung. Immerhin ist er 18, und ich bin grade erst 15 geworden. Noch dazu habe ich ihn ja gleich zusammengestaucht. Muss ja einen tollen Eindruck auf ihn gemacht haben. Obwohl er es ja verdient hatte.

Am Abend lief eine Quizshow im Fernsehen. Da wir nichts besseres zu tun hatten, sahen wir sie uns alle an. Allmählich fing jedoch Lilja an, uns fürchterlich auf die Nerven zu gehen. Sie war zwölf Jahre alt und entdeckte gerade eine grauenhafte Leidenschaft für Boybands, die Bravo sowie stundenlanges Telefonieren mit Gleichgesinnten.Bei jedem zweiten Kandidaten entdeckte sie eine Ähnlichkeit mit dem und dem Promi. Und dann ging es los. Sie betete unerbittlich, von einigen kurzen Kreischattacken begleitet,  eine schier endlose Liste seiner besonderen Leistungen hinunter. Egal wie hartnäckig wir sie ignorierten. Ich war mehr als nur dankbar, als ich mein Handy vibrieren hörte. Ich hatte eine neue SMS:

Hey Theresia :)
Bist du noch wach?
Michael

Einen kurzen Freudentanz später antwortete ich:

Hey :)
Eigentlich nicht mehr wirklich. Wie gehts dir so? Ach ja, wie willst du eigentlich deine Schuld einlösen?;)
Theresia

Ich lehnte mich zurück. Wieso freute ich mich eigentlich so sehr, dass er sich endlich meldete? Komplett unlogisch. Ich kannte ihn ja gar nicht. Erneut vibrierte mein Handy. Diesmal war es ein Anruf. Ich ging hinüber in mein Zimmer, wo ich abhob

"Hallo Theresia!"

"Hi!"

"Mir ist etwas eingefallen, wie ich das mit deinen Bildern wiedergutmachen kann."

"Lass hören."

"Was hältst du von einem kleinen Nachtausflug?"

"Nicht zufällig jetzt, oder?"

"Doch, zufällig schon."

"Und was genau hast du vor?"

"Lass dich überraschen."

Ich überlegte. Man darf nicht vergessen, dass er ein wildfremder, älterer Mann war, der mich mitten in der Nacht auf einen Ausflug mitnehmen wollte.Offenbar merkte er, dass ich zweifelte, denn er meinte:

"Wenn du willst, komme ich vorher mit zu deinen Eltern.Sie können mich genau ansehen und ein Foto von mir machen, damit, sollte ich dich entführen, sie ein Fahndungsfoto haben. Oder ich.."

"Jetzt mach mal halblang. Ich nehm eine Schwester von mir mit, die  zwei Kampfsportarten kann und so in etwa zweihundert Arten kennt, einem in die Eier zu treten."

"Wie... beruhigend"

Ich musste lachen. Er hatte echt einen Vogel, aber warum auch nicht. Außerdem - wenn ich Marie und ihren perfekt pedikürten, entmannenden Fuß dabei habe, kann mir ja nichts passieren.

Nach einer etwas entnervenden Diskussion mit meinen Eltern zog ich mich um. Ich trug eine Jeans, einen Oversize Pullover und Stulpen und umrahmte meine Augen wie immer mit Kajal. Gesamteindruck: Gartenzwerg geht auf Reisen. Marie zog sich Jeans, ein Kapuzensweatshirt und Converse an. Gesamteindruck: Cara Delevigne nimmt zusammen mit Kate Moss und Paris Hilton ein entspanntes Frühstück in einem Nobelhotel ein. Wir hatten dieselben Gene! Warum hatte sie blonde Haare und ich dunkelbraune? Warum hatte sie eine Figur,  für die sämtliche Models morden würden? Warum hatte sie ein Gesicht, für das sämtliche Engel morden würden? Wahrscheinlich wird Michael mich nicht mal ansatzweise bemerken, solange sie dabei ist. Aber sie war nun mal die Einzige unter meinen Geschwistern, die Eier abhacken kann.

Um zehn läutete es an der Tür. Ich öffnete und sah statt dem erwarteten Michael vier sehr, sehr gutaussehende junge Männer. Auf einmal tauchte irgendwo in meiner Erinnerung ein Bild auf, aber es verschwand zu schnell wieder, als das ich es hätte sehen können. Egal, Michael stellte mir seine Freunde vor, die mich irgendwie sehr merkwürdig anstarrten. Haben die noch nie ein Mädchen gesehen? Natürlich starrten sie mich nur so lange an, bis Marie um die Ecke bog. Sie ließ sich überhaupt keine Überraschung anmerken, dass da drei junge Männer mehr standen, als sie erwartet hatte und begrüßte alle mit Küsschen auf die Wange.Michael beugte sich zu mir runter und flüsterte:"Ich hab mir deine Kung-Fu-Schwester irgendwie anders vorgestellt. Aber deine Eltern verdienen eine Runde Applaus." Noch bevor ich hinter den Sinn dieser Bemerkung kommen konnte, ging er schnurstracks ins Wohnzimmer, wo er anfing, meine Eltern in seinen Charme einzuwickeln.

Fünf Minuten später kam er wieder zu uns und hakte mich unter. Danach gingen wir sechs zusammen aus der Tür.

you and meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt