Kapitel 10

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Michael

Nach einer weiteren Stunde im VW (ein Gebrauchtwagenhändler hatte ihn mir gegen ein Entgelt geliehen; ich konnte ja schlecht in einer Limousine mit Chauffeur auftauchen) erreichten wir endlich unser Ziel. Der Wagen parkte an der Küste Englands, und Theresia sprang sofort aus dem Auto. Ohne auf mich zu achten rannte sie ans Meer. Dort blieb sie stehen, sah verträumt in die Ferne und kniete sich hin. Sand rieselte durch ihre Hand, Salzwasser umspülte sie. Verwundert ging ich zu ihr.

"Theresia? Was wird das?"

"Ich war noch nie am Meer."

Was? Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich uns in den nächsten Flieger nach Griechenland gesetzt. Aber sie wirkte so glücklich; glücklicher, als ich sie je gesehen hatte.

"Welche Farbe haben deine Augen?" Die Frage war mir eher unbeabsichtigt rausgerutscht. Sie strahlte mich an.

"Braun. Was sonst?"

"Naja, eigentlich dachte ich immer Grün oder Braun, aber im Moment sind sie grau."

Sie umarmte mich. Ich hielt sie ganz fest umschlungen und hörte, wie sie mir ins Ohr flüsterte: "Danke." Ich erwiderte nichts, nahm sie an der Hand und rannte mit ihr den Strand entlang, bis wir beide nicht unbedingt elegant hinfielen und ins Wasser kugelten, dass nun im Herbst ungefähr acht Grad hatte. Kreischend sprangen wir auf und rannten weg. Als wir das Auto erreichten, zitterten meine Finger fast zu sehr um es aufzusperren. Theresia lachte heiser und zittrig. Schnell holte ich meine Jacke und zwei Decken aus dem Kofferraum und wickelte sie in eine davon ein. Dann legte ich meine Jacke um sie.

"Und jetzt warst du sogar im Meer schwimmen."

"Ja, und es war ganz anders als ich es mir vorgestellt hatte. Irgendwie kalt."

"Ist dir noch kalt?"

"Nein. Dir?"

"Fast gar nicht."

"Gut."

"Eigentlich wollte ich mit dir hier picknicken."

Sie grinste übers ganze Gesicht.

"Dann legen wir los!"

Ich richtete das Essen her, während sie ein Lagerfeuer entfachte. Dabei redete und lachte sie die ganze Zeit. Offenbar hatte sie das Feuermachen in Österreich gelernt, aber hier war es so nass, dass es beinah eine Stunde dauerte,  bis es richtig brannte. Inzwischen waren auch ihre Haare getrocknet. Meine Haushälterin hatte uns einen Picknickkorb voll mit leckeren Sachen mitgegeben. Sie war bereits über sechzig und hatte die ganze Zeit während des Herrichtens vor sich hingemurmelt, wie sehr es sie freue, dass ich endlich eine Freundin habe, und dass sie ganz sicher eine 'besonders süße Maus' sei. Egal, wie beharrlich ich ihr versicherte, dass wir nur befreundet waren. Aber das Essen war lecker. Sie hatte uns sogar Kakao in einer Thermoskanne mitgegeben. Nach dem Essen wollten wir einen Spaziergang machen. Wir kamen nicht weit, da entdeckte sie einen großen Haufen Schwemmholz. Theresia hatte auch noch nie Schwemmholz gesehen. Ich nahm einen langen,  biegsamen Ast und legte ihn ihr als Halskette um. So geschmückt liefen wir in wirren Kreisen auf dem Strand auf und ab, Händchen haltend und lachend. Ich war mehr als nur glücklich.

Nach ein paar Stunden setzten wir uns wieder auf den Picknickplatz und wickelten uns in eine Decke. Still saßen wir da. Ich genoß das Gefühl, sie im Arm zu halten. Leider läutete in genau diesem Moment mein Handy. Ich hob ab, und mein Manager schrie mir ins Ohr. Schnell ging ich weg und versuchte, irgendeinen Sinn in dem zu finden, was er da stammelte. Endlich beruhigte er sich.

"Wo. Bist. Du?!"

"Was? Zuhause natürlich."

"Dann komm sofort her, oder verfass gefälligst dein Testament!"

"Wieso?"

"Vor einer halben Stunde hat euer Konzert angefangen! Komm her sonst vergesse ich mich!"

Oh mein Gott! Scheiße, Scheiße,  Scheiße! Das war doch hoffentlich ein schlechter Scherz.

"Thersia, komm, wir müssen schnellstens nach London!"

Fragend sah sie mich an, aber ich stieg bereits ins Auto. Mit den Decken im Arm setzte sie sich auf den Beifahrersitz. Mir fiel keine Ausrede an, also startete ich einfach den Wagen und drückte das Gaspedal durch.

Theresia merkte wohl, dass ich nicht gefragt werden wollte, deshalb saß sie still neben mir. Mehrmals telefonierte ich beim Fahren mit Cole. Er rastete beinah aus, als ich ihm gestand, dass wir noch mindestens zwei Stunden brauchen würden. Insgesamt hätte das Konzert dann fünf Stunden Verspätung, noch dazu musste ich geschminkt, umgezogen und gewaschen werden, außerdem musste ich Theresia abliefern. Die Arme wirkte nicht besonders glücklich, aber ich konnte ihr jetzt nicht helfen, ich konzetrierte mich ganz aufs Fahren.

Sie drehte das Radio auf, wo gerade Nachrichten gespielt wurden. Eine Frauenstimmen sagte: "Das Konzert der Boyband 'neverland' ist nun bereits um vier Stunden verspätet. Wie unser Reporter berichtet, warten im Saal über dreizehntausend Fans auf den Auftritt ihrer Lieblingsband. Das Gerücht ist im Umlauf, dass..."

Ich drehte das Radio wieder ab.

Als ich endlich in die Konzerthalle gestürmt kam, waren die Nerven des Managers am Ende. Cole, James und Bob wirkten wütend bis enttäuscht. Ich ignorierte sie und raste weiter in die Maske, wo vier Stylisten mich bereits erwarteten. Innerhalb einer halben Stunde war ich umgezogen, bühnenreif geschminkt und bereit, auf die Bühne zu gehen.

Donnernder Applaus und lautes Kreischen schlug mir entgegen. Sofort vergaß alles andere. Adrenalin durchflutete meinen Körper, ich schnappte mir mein Mikrofon und fing an zu singen. Meine Stimme hallte von den Wänden wieder, tausende Kameras waren auf mich gerichtet und zehntausende Hände klatschten für mich. In diesem Moment gab es nur uns vier auf der gesamten Welt.

you and meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt