-~11~- Sie ist nicht hier

61 9 4
                                    

Die nächsten Stunden zogen sich hin wie in Zeitlupe. Miller befand sich immer noch in einer Art Schockzustand und das pfeifende Geräusch in seinen Ohren wollte nicht aufhören. Er hatte nicht einmal bemerkt, wie man ihn wieder in sein Haus geschafft hatte und wie seine Mutter vorbeigekommen war, um auf Jamie aufzupassen. Velicaja und John leisteten ihm ebenfalls Gesellschaft.
Die Polizei und Sherlock suchten draußen immer noch nach Spuren, obwohl es bereits angefangen hatte, in Strömen zu regnen.

Vollkommen durchnässt kam Sherlock ins Haus zu den anderen, einen Gipsabdruck in der Hand. Seine schwarzen Locken klebten in seinem Gesicht und der lange Mantel tropfte den ganzen Fußboden nass. ,,Ich glaube, ich habe einen Fußabdruck des Täters, aber um völlig sicher zu sein, muss ich Sie etwas fragen", wandte er sich an Miller. ,,Welche Schuhgröße haben Sie?"

Miller starrte aus der großzügigen, gläsernen Terassentür, raus in den Regen. Er antwortete nicht, schien die Frage noch nicht einmal gehört zu haben. Er beobachtete die Regentropfen an der Glasscheibe, die sich ein Rennen zu liefern schienen. Ein Rennen gegen die Zeit.
,,Miller? Welche Schugr-"
,,Neun", unterbrach ihn John, der sich einen Schuh vom Schuhregal genommen hatte.
,,Sehr gut! Der Abdruck hat die elf!", freute sich Sherlock.
,,Das hätten Sie auch selbst herausfinden können", bemerkte Velicaja. ,,Ohne ihn zu fragen."
,,Lassen... Lassen Sie ihn. Ich glaube, dass ist seine Art und Weise zu versuchen ihn abzulenken", sagte John leise und legte eine Hand auf ihre Schulter. Sie nickte stumm.

Ein Polizist kam in diesem Moment ins Haus und zog alle Aufmerksamkeit auf sich.
,,Mr. Holmes! Wir haben noch mehr Spuren im angrenzenden Wald entdeckt", sagte er.

Es war, als würde Miller aus seiner Trance aufwachen, als würde die Zeit, wie im Raffer, wieder beschleunigen. Er drehte sich um, starrte den Polizisten an und lief los. Er lief quer durch das Wohnzimmer, raus aus dem Haus, durch den strömenden Regen und die finstere Nacht.

Sherlock und John liefen ihm in einigem Abstand hinterher. Sie wussten, dass es nichts bringen würde zu versuchen, ihn aufzuhalten.

Miller lief, und er lief lange.
Fast eine dreiviertel Stunde, bis er an dem ihnen bekannten Lagerhaus ankam.
Ohne Umschweife betrat er das Haus, suchte alle Räume ab, ging durch jedes Stockwerk, doch sie war nicht da. Er fand eine Dachluke, neue Hoffnung flackerte auf und er kletterte hinauf. Er betrat die dunklen Ziegel, die gefährlich durchhingen.

Jetzt musste John eingreifen. ,,Alec! Warten Sie. Das Dach ist nicht mehr tragend. Sie werden einbrechen. Sie ist nicht hier."
,,Ich muss sie finden", erwiderte er mit zittriger Stimme. ,,Wenn nicht ich, wer dann?"
,,Sie ist nicht hier", wiederholte nun auch Sherlock.
,,Sie werden Lousian finden, aber nicht, wenn Sie hier einbrechen", versuchte es John weiter.
Miller nickte langsam und kam zurück zu den beiden. Erleichtert atmete John aus.

______

John rief ein Taxi für die drei, doch während sie darauf draußen vor dem Gebäude warteten, holte Miller die Realität ein und spürte jetzt, statt des Adrenalins, die Kälte, Nässe und Angst, die ihn umgab. Er begann zu zittern und ihm wurde schlecht. Er übergab sich ein paar Mal. John gab ihm seine Jacke und versuchte ihn zu beruhigen, jedoch vergebens.

Als das Taxi kam, brachte es sie sofort in das Hotel, in dem Velicaja früher das Zimmer hatte. John erklärte dem Personal die Situation und sie stimmten sofort zu, dass Miller das Zimmer bekam.
Sie schlossen ihn ein, zu seiner eigenen Sicherheit.

,,Sie müssen schlafen. Wir suchen weiter", sagte John durch die Zimmertür, vor der Sherlock und er standen. ,,Wir werden sie finden."
,,Was ist mit meinem Sohn?", fragte Miller. Man konnte hören, dass er sich auf den Boden, an die Tür angelehnt, setzte.
,,Er ist in Sicherheit-"
,,Nein! Bringen Sie ihn zu mir!"
John sah zu Sherlock und nickte. ,,Okay."

John konnte immer noch nicht ganz fassen, was passiert war. ,,Und das alles wegen einem verweigertem Handschlag? Wegen einem verdammten Handschlag?", fragte er seinen Freund, als die beiden das Hotel wieder verließen.
Sherlock sah ihn nur schweigend an und nickte knapp.

______

Wenig später brachten die beiden Millers Mutter, Jamie und zwei weitere Polizisten ins Hotel. Die beiden Beamten sollten Wache halten. Der D.I. umarmte seinen Sohn, als er ihn sah und warf den beiden Freunden einen dankbaren Blick zu. Auch der kleine Junge schien extrem verängstigt. Seine braunen Augen waren glasig und er zitterte am ganzen Körper. Sherlock schlussfolgerte daraus, dass er etwas gesehen haben musste, doch John hielt ihn davon ab, ihn jetzt schon zu fragen, in dieser Nacht.

______

Erst am nächsten Morgen schloss Sherlock, der den Schlüssel an sich genommen hatte, die Tür wieder auf. Mrs. Miller war bereits wach, doch der D.I. und sein Sohn schliefen noch in einem schmalen Bett, in ihrer Kleidung vom Vortag, eng aneinander gedrückt.

,,Es hat lange gedauert, bis sie eingeschlafen sind", flüsterte Mrs. Miller besorgt und schaute zu ihnen herüber. Auf Millers Stirn waren, trotzdass er schlief, tiefe Sorgenfalten und er umklammerte Jamie fest.
,,Haben Sie etwas herausgefunden?"
,,Die Polizei durchsucht immer noch den Wald, aber es gibt Hoffnung", erwiderte John leise.
,,Wir haben DNA gefunden, die zu der auf dem Cricketschläger passt, mit der Rose und Mrs. Roberts niedergeschlagen wurden", erklärte Sherlock. ,,Es ist Tadfields."
Mrs. Miller nickte.
Plötzlich klingelte Sherlocks Handy, woraufhin Miller ruckhaft aufwachte. Er sprang vom Bett auf und ging auf die beiden Männer zu. ,,Haben Sie sie gefunden?" Er hatte tiefe dunkle Augenringe und sah vollkommen erschöpft aus.
Sherlock sah ihn kurz unbeeindruckt an, dann nahm er demonstrativ das Telefonat an.

Ohne etwas zu sagen, legte er wieder auf und sah John bedeutungsvoll an. Miller verstand seinen Blick. ,,Ich komme mit", legte er deshalb kurzerhand fest.
,,Ich glaube, dass ist keine gute-"
,,Bitte. Wenn ich noch eine weitere Stunde hier verbringen muss, werde ich verrückt. Lassen Sie mich helfen", unterbrach er John. Sherlock nickte langsam.
,,Mum, pass bitte auf Jim auf. Ich bin bald wieder zurück", wandte sich der D.I. nun an Mrs. Miller, während er seine Schuhe anzog. Sie nickte ebenfalls, ihr Gesichtsausdruck ließ jedoch große Sorge erkennen.

______

Die drei fuhren auf die andere Seite des Waldes, der an Millers Grundstück grenzte. Velicaja war in seinem Haus zurückgeblieben, da sie die drei Männer momentan nur aufhalten würde.

Sie mussten weit hineinlaufen, durch das Dickicht und einen kleinen, knöchelhohen Bach, über den es keine Brücke gab, bis endlich hinter den Bäumen die Lichter der Polizisten zum Vorschein kamen.
Sherlock verscheuchte das forensische Team und sah sich selber die Stelle an, die sie gefunden hatten. Alle anderen Blicke lagen jedoch auf Miller. Sie bestanden aus einer Mischung von Mitleid, Besorgnis und Skepsis, ob er hier sein sollte. Er ignorierte sie vollkommen und wollte zu Sherlock gehen, als sich einer der Polizisten vor ihn stellte. ,,Sie sollten nicht-"
,,Gehen Sie mir aus dem Weg", wies er ihn an und stieß ihn leicht zur Seite, um an ihm vorbeizugehen. Er hockte sich neben den Detektiv auf den Waldboden und blickte in eine rote Blutlache. Er starrte sie einfach nur an und bewegte sich nicht. Sherlock sah langsam zu ihm herüber und wusste nicht, was er sagen sollte.
John gesellte sich nun auch zu ihnen und sah sich das Grauen an.
,,Das ist nicht ihr Blut", flüsterte Miller mit rauer Stimme.

𝚂𝚃𝙰𝚈𝙸𝙽' 𝙰𝙻𝙸𝚅𝙴 | Sherlock-FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt