Kapitel 5 - Ein ehrliches Gespräch

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Mirzas Kinn fiel herunter und sie starrte Lex an wie einen dreiköpfigen Hund.

Das darf doch nicht wahr sein!, schoss es ihr immer wieder durch den Kopf.

Wie konnte er dann heute Mittag so unbeschwert darüber reden? Stört es ihn denn nicht, dass man über sein Leben bestimmt?

Mirza waren die Gedanken wohl anzusehen, den Lex schüttelte den Kopf. „Klapp den Mund zu, das könnte bleiben." Vorsichtig legte er zwei Finger unter ihr Kinn und drückte es hoch.

Mirza starrte ihn noch immer an. „Aber... warum... Wie?"

Lex zuckte mit den Schultern und starrte ins Feuer. „Wie wohl? So wie du auch dazu gekommen bist. Ich hab das richtige Alter und bin ein Feuernymph. Mehr braucht es dazu nicht."

Wie ein Hund schüttelte sich Mirza und erwachte wieder aus ihrer Starre. „Stört es dich denn nicht? Warum bleibst du so gelassen, wären irgendwelche alten Männer über deine Zukunft bestimmen? Über dein Glück?"

Mirza merkte, wie ihre Wut wieder zurückkam. Dieses Mal beherrschte sie sich nicht leise zu sein. „Wie kannst du das nur so gelassen hinnehmen?"

Lex sah sie an, sein Blick war ruhig. „Mirza, mir bleibt keine andere Wahl. Oder willst du, dass unsere Rasse bald nur noch Legende ist?" Das ließ Mirza verstummen. Sie senkte den Blick, betrachtete die orange-gelbe Glut.

„Nein", flüsterte sie und ihr Argwohn erlosch. Natürlich wollte sie nicht, dass die Menschen Undine und Salamander nur noch aus Büchern kannten. Soweit sie wusste, gab es nur noch vier Familien von Wassernymphen. Bei den Feuergeistern war sie sich nicht so sicher, aber viel mehr gab es von ihnen auch nicht mehr.

Da Nymphen nur begrenzte Zeitspanne zur Fortpflanzung hatten – zwischen dem zwanzigsten und fünfunddreißigsten Lebensjahr – war Mirzas Generation die einzige, die noch Nachkommen hervorbringen konnte. Nymphen waren zwar lange jung, doch ab Mitte dreißig unfruchtbar. Eine fiese kleine Bestrafung der Natur für ihr langes Leben.

Lex beugte sich zu Mirza, nur noch Zentimeter trennten ihre Nasenspitzen. Mirza entdeckte helle und dunkle Flecken in dem lebhaften Gold und fragte sich, ob ihre blauen Augen auch so interessant aussahen.

„Du musst daran glauben, dass alles gut wird."

„Als Mann ist das leicht. Du musst keine Angst haben, dass deine Ehefrau dich schlägt."

Die Sprenkel seiner Augen tanzten belustigt. „Wenn du wüsstest. Feuernymphfrauen sind sehr temperamentvoll."

Mirza lächelte – doch es sah sehr gequält aus. Ihr Blick senkte sich auf seinen Mund. Die Kruste an seiner Unterlippe begann sich zu lösen. Mirza hatte das irre Bedürfnis mit der Fingerkuppe darüber zu streichen. Schnell sah sie ihm wieder in die Augen.

Lex grinste sie an. „Ich kenne dich zwar erst einen Tag, aber das kannst du mir glauben: Kein Mann könnte einer Frau ein Leid zufügen, die nach Flieder duftet."

Mirza träumte.

Sie stand auf dem Hügel hinter dem Haus ihrer Familie. Warmer Wind umschloss sie und sie wusste, dass sie nicht allein war. Eine vertraute Person trat neben sie und lächelte sie an. Samaras hellgraue Augen sahen sie freundlich an.

Ohne ein Wort fiel Mirza ihr um den Hals und drückte sie an sich.

„Du fehlst mir so", murmelte sie an der Schulter ihrer besten Freundin. Samara erwiderte Mirzas Umarmung – der Wind spielte mit ihren Haaren.

„Sch sch... Weine nicht Mirza."

Mirza nickte, doch die Tränen wollten nicht versiegen. Beruhigend strich ihr die junge Frau über den Rücken. Nach einigen Augenblicken hatte sich Mirza wieder unter Kontrolle und löste ihre Arme von Samara.

„Du hattest schon immer wundervolle Träume." Die Stimme ihrer Freundin klang noch genauso wie vor einem Jahr. Sie klang noch so, wie sie es vor dem Fieber getan hatte. Es waren nunmehr dreizehn Monate und vier Tage.

„Nein, fünf Tage", korrigierte Samara sie und lächelte milde. Mirza nickte und wischte sich über die Augen. Wehmütig sah Mirza ihre einstige Vertraute an.

„Ich habe dich nicht retten können", flüsterte sie und neue Tränen traten ihr in die blauen Augen.

„Mach dir keine Vorwürfe. Ich weiß, dass du tagelang ohne Schlaf und Essen bei mir gewacht hast."

Mirza nickte abermals und biss sich auf die Lippe. Sie wollte nicht weinen – nicht schon wieder.

Samara ließ den Blick über die grünen Hügel ihrer Heimat wandern. Sie atmete tief ein – und der Wind folgte ihren Bewegungen. Als Luftnymphe hatte sie schon immer eine besondere Verbindung zu den Winden gehabt. Mirza und sie hatten als Kinder gern mit ihren Fähigkeiten experimentiert. Das ein oder andere Mal hätten sie auch beinah das Dorf verwüstet.

Ein Teil von Mirzas Herzen war auch gestorben, als Samara ihren letzten Atemzug getan hatte. Der Schmerz brannte noch genauso, trotz der langen Zeit.

„Du darfst nicht in der Vergangenheit leben Mirza. Du weißt, dass ich immer bei dir sein werde."

„Ja." Eine einsame Träne rann Mirza die Wange hinunter. Samara wischte sie weg.

„Keine Sorge, du Wasserhexe. Bald wirst du jemand finden, der die Wunden deines Herzens heilt."

Mirza lächelte, als sie Samaras Spitznamen für sie hörte. „Und wen?" Samara sah sie liebevoll an und lächelte.

„Ihn", sagte die Sylphe und kaum hatte sie den Mund geschlossen, fing ihr Körper Feuer. Einen Augenaufschlag später schälte sich aus den Flammen ein Gesicht – das Gesicht eines Mannes mit schwarzen Haaren und goldenen Augen.

Mirza - Die Nymphen von Mirus (1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt