Kapitel 10 - Ein schrecklich-schönes Abendessen

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„Ihr seht hinreisend aus", flötete die junge Zofe und trat von ihrem Meisterwerk zurück. Langsam drehte sich Mirza um und blickte in den mannshohen Spiegel.

Ach du meine Güte, dachte Mirza und starrte sich mit offenem Mund an.

Vor ihr stand eine elegante junge Frau in einem dunkelblauen Kleid. Der Stoff schimmerte im Licht der Kerzen und ließ sie aussehen wie ein Juwel. Die feine weiße Spitze an Armen, Halsausschnitt und am Saum wirkte wie Spinnweben und lockerte die Schwere der vielen Röcke. Ihre Haare waren zu losen Locken aufgesteckt und betonten ihren schlanken Hals.

Schnell klappte Mirza ihren Mund wieder zu, als sie sich gefangen hatte.

Ich sollte mir das wirklich abgewöhnen, sagte sie sich. Ungläubig blickten ihr ihre eigenen hellblauen Augen entgegen und sie fasste sich vorsichtig an die spitzen Ohren. Tatsächlich, diese hübsche Frau war sie.

„Gefällt es Euch?" Tilia, so der Name der Zofe, sah sie verunsichert an. Sicher war sie es nicht gewohnt, dass ihre Herrinnen sprachlos waren. Mirza riss den Blick von sich und lächelte unsicher.

„Es ist wunderbar. Du hast wirklich Talent dazu." Freudestrahlend bedankte Tilia sich, ehe sie Mirza die Tür öffnete und sie in den Salon begleitete.

Es war mittlerweile Abend geworden und Mirza freute sich auf ein warmes Mahl. Die letzten Sonnenstrahlen fielen durch die raumhohen Fenster und mischten sich mit dem Schein der Kerzenleuchter. Sie war die einzige Person im Raum, als die Zofe sich zurückzog.

Meine Güte, dachte Mirza, als sie an die gefüllten Bücherregale trat. Behutsam strich sie über einige Lederrücken und es juckte sie in den Fingern, eines herauszunehmen und zu lesen.

„Wie ich sehe gefällt Euch meine Sammlung." Erschrocken zuckte Mirza zusammen und drehte sich um. In der Tür stand Lex' Onkel und lächelte sie milde an.

„Habt Ihr alle Bücher gelesen?"

Er schüttelte den Kopf, als er nähertrat. „Nein, noch nicht. Freunde bringen mir immer Bücher von ihren Reisen mit und ich habe nicht immer die Zeit zu lesen."

Mirza fragte sich nicht zum ersten Mal, was dieser Mann tat. Vor allem um sich so ein beeindruckendes Heim leisten zu können.

Mirza kam sich seltsam fehl am Platz vor, wenn sie an ihr eigenes Zuhause dachte. Sie war zwar mit gehobener Konversation vertraut und kannte die Etikette – dem Einfluss ihrer Tante sei Dank – dennoch war ihr unwohl. Selbst in dem hübschen Kleid fühlte sie sich wie eine Straßenkatze auf einem goldenen Kissen.

Luten bemerkte den Schatten, der über ihr Gesicht glitt. „Was geht Euch durch die Gedanken, dass Ihr so traurig schaut? Eine so hübsche Lady sollte nie die Stirn runzeln müssen."

Verlegen sah Mirza aus dem Fenster und bemerkte, wie ihre Wangen sich röteten. Sie konnte an beiden Händen abzählen, wie oft sie ein Kompliment erhalten hatte.

„Keine Sorge mein Herr, mir spuken noch die Schrecken der Reise im Kopf herum."

„Ich verstehe. Lexlon hat mir von dem Überfall erzählt. Ich bin Euch zu Dank verpflichtet."

Mirza lächelte und erwiderte: „Eure Gastfreundschaft ist mir Dank genug. Ihr ahnt nicht, wie furchtbar diese Woche zu Pferd war." Luten lachte und der tiefe Klang vibrierte in der Luft.

Die Tür öffnete sich und beide drehten sich um. Lex trat herein, in ebenso feinen Zwirn gekleidet wie sein Onkel. Mitten im Schritt hielt er an, als sein Blick auf Mirza fiel. Erstaunt musterte er ihr Gesicht und besah sich das Kleid. Am liebsten hätte sich Mirza hinter dem Rücken seines Onkels versteckt.

„Lexlon, starr sie nicht so", herrschte Luten seinen Neffen an, als dieser keine Anstalten machte etwas zu sagen. Verwirrt schüttelte Lex den Kopf und sah Mirza in die Augen.

„Du siehst... ähm... hübsch aus."

„Danke", sagte sie und bemerkte, wie Luten Lex einen verständnislosen Blick zuwarf.

Irgendwas habe ich gerade nicht mitbekommen, dachte Mirza und folgte zusammen mit dem Männern einem Diener, der sie in den Speisesaal brachte. Lex' musternden Blick fühlte sie wie eine Hand auf ihrem Rücken.

Ein unangenehmer Gedanke bildete sich in Mirza: Ich muss wohl vorher wie eine Vogelscheuche ausgesehen haben, wenn er jetzt so genau hinsieht.

Mirza spießte das letzte Stückchen Kuchen auf und ließ es sich auf der Zunge zergehen. Genüsslich kostete sie das süße Aroma aus und lächelte verlegen, als Luten sie amüsiert musterte.

„Hat es Euch geschmeckt Miss Mirza?"

„Ja, wirklich ausgezeichnet. Wenn es meine Henkersmahlzeit gewesen wäre, würde ich jetzt mit Freuden auf den Scheiterhaufen springen."

Luten lachte und seine Stimme erfüllte den gesamten Raum.

Lex legte seine Serviette beiseite und räusperte sich. „Was für ein schöner Vergleich Mirza. Wenn man doch an den morgigen Abend denkt."

Mirzas Lächeln verschwand – ebenso wie ihre gute Laune. „Ja, da hast du wohl Recht."

„Du darfst dich dafür übrigens bei meinem Onkel bedanken."

Mirza runzelte die Stirn. „Wieso? Was hat er mit Phönix zutun?"

„Frag ihn doch", sagte Lex und sah seinen Onkel gelassen an.

Mit einem unguten Gefühl im Magen sah Mirza dem Edelmann in die goldenen Augen.

„Mein Herr?", fragte sie und wusste schon, dass sie die Antwort nicht hören wollte.

„Nun meine Liebe, Lexlon hat wohl versäumt Euch zu erzählen, dass ich Mitglied im Rat bin." Mirza krallte ihre Hände in den Stoff des Kleides, damit sie sie sich nicht erschrocken vor den Mund hielt. Sie hatte nun zwei Möglichkeiten: Entweder Lex umbringen oder Luten. Und beide waren eine schlechte Wahl.

„Wirklich?", brachte sie stattdessen mit erstickter Stimme hervor und versuchte ruhig zu atmen.

„Ja, so ist es. Darf ich fragen warum Euch die morgige Zeremonie an einen Scheiterhaufen denken lässt?" Mit interessiertem Blick lehnte sich Luten zurück und wartet auf Mirzas Antwort.

Doch Lex kam ihr zuvor und sagte ungerührt: „Erst gestern noch schrie sie mir ins Gesicht, dass sie sich nie von den Wichtigtuern des Rats verheiraten lassen würde. Was wäre dir doch gleich lieber? Ach ja, das Leben in der Gosse."

Mirza biss die Zähne zusammen, so dass es knirschte. Luten hingegen sah erschrocken zwischen Mirza und Lex hin und her.

„Du miese kleine Ratte", zischt Mirza. Lex lächelte kalt. Energisch hob Mirza ihre Arme vor sich, kreuzte sie und zog sie mit einer schnellen Bewegung wieder auseinander. Sämtliche Flüssigkeiten auf dem Tisch – sei es nun Wasser, Soße oder Wein – folgten ihrem Befehl und schlugen Lex als große Welle ins Gesicht.

Scharrend rutschte der Stuhl zurück als Mirza aufstand und ohne ein Wort aus dem Saal stürmte. Die Schritte ihrer Schuhe hallten durch die Stille, ehe sie die Tür hinter sich zuschlug.

Mirza - Die Nymphen von Mirus (1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt