Naiv

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Kapitel 4

„Wie bist du in Australien gelandet?"

Timothy zuckte die Achseln, seine Hände tief in seine Hosentasche gesteckt.

„Ist es so offensichtlich?"

Ich lachte und versuchte mich ihm, so unauffällig wie möglich, zu nähern. Wir liefen nebeneinander her in den dunklen Straßen von Melbourne. Normalerweise wäre ich in höchster Alarmbereitschaft, meine Dämonin liebte die Nacht. Aber im Moment hatte ich nur Augen für Timothy.

„Es ist als hätte dir jemand 'Tourist' auf die Stirn tätowiert."

Jetzt musste er grinsen. Oh Scheiße er roch gut. Sehr gut sogar. Das hier war anders. Ich wurde nicht von meinem Hunger kontrolliert, zum ersten Mal seitdem ich denken konnte waren meine Instinkte gedämpft, ich musste nicht auf der Hut oder angespannt sein. Dieses Gefühl, endlich frei zu sein, meine Mentale fesseln entspannen zu können, war himmlisch. Ich wollte es nicht so schnell wieder verlieren. Deswegen musste ich so nah wie möglich an diesen mysteriösen Jungen dranbleiben, obwohl es ihm offensichtlich unangenehm war.

„Also, wo kommst du her?" Meine Stimme war fast ein Schnurren als ich versuchte noch näher ran zu rücken.

Sein Gesicht zeigte immer noch eine Kühle Maske der Gleichgültigkeit aber seine Wangen erröteten.

„Norwegen."

„Oh wirklich? Als bist du ein waschechter Wikinger?"

Okay das turnte mich wirklich an. Und zwar ganz ohne meine Dämonin. Wie aufregend!

„Nein nicht wirklich. Meine Eltern sind dahingezogen bevor ich geboren wurde, etwas mit ihrer Arbeit oder so."

Er zog kurz die Brauen zusammen. Er glaubte ihnen nicht. Ich lief fast in eine Lampen Stolpe, weil ich zu konzentriert war auf sein Gesicht zu starren.

„Du bist weit weg von Zuhause..."

Er zuckte wieder mit den Schultern, „Ich musste mal weg. Es wurde...zu viel, meine Eltern sind ein bisschen exzentrisch."

Ich musste ein Kichern unterdrücken. Wenn der nur meine Eltern kennen würde...eine Hexe und ein Dämon die über ein paar Klubs in Melbourne mit knallharter Hand herrschten. Exzentrischer ging es wohl nicht.

„Ich weiß wie du dich fühlst..."

Murmelte ich. Er drehte sich zu mir um, das erste Mal seit langem, dass er mir richtig in die Augen schaute. Ich verschluckte mich fast an meiner eigenen Spucke. Etwas bewegte sich da. Hinter dieser undurchdringlichen, kalten Maske, war etwas...animalisches. Er blinzelte und sah weg.

„Das glaub ich kaum." Spottete er.

Ich zuckte fast zurück. Aber nur fast.

„Nee wirklich. Ich bin fast neunzehn und habe noch nie das Land verlassen, geschweige denn eine Woche ohne meine Eltern zu sehen. Manchmal ist es recht...anstrengend."

Natürlich konnte ich ihm nicht erzählen, dass es so sein musste. Weil ich mich nicht kontrollieren konnte und ich Angst hatte das etwas passiert, wenn ich alleine bin und niemand da ist um mir zu helfen. Ich hatte einfach zu viel Angst von dem zu was ich fähig war. Aber das musste er nicht wissen. Bevor diese Konversation viel zu tief und melodramatisch wurde wechselte ich das Thema.

„Also... du hast keine Freundin nehme ich an?"

Seine Schultern entspannten sich wieder ein wenig.

„Warum würdest du das annehmen?"

Ich war ein bisschen sprachlos. Saß vielleicht eine kleine, weinende Blondine in Norwegen und wartete auf ihn?

„Weil...du mit mir nach Hause kommst?"

Er hob die Augenbrauen, ein amüsierter Ausdruck huschte über sein Gesicht.

„Ich dachte du seist eine nette Australierin die für einen armen, hilflosen Touristen anbietet ein Taxi zu rufen? Ohne Hintergedanken, weißt du noch?"

Jetzt wurde ich rot. Scheiße, er hatte recht. Das hier war keiner meiner üblichen abendliche Aktivitäten. Das hier war...was war es eigentlich? Mein merkwürdiger versuch um einen besseren Menschen zu werden? Aber ich konnte mir nichts vormachen, dass das hier ganz lieb und unschuldig war. Um meine Verlegenheit zu maskieren lachte ich.

„Ich zweifle stark daran das du hilflos bist."

Er war zwar nicht super groß oder hatte Berge für Muskeln, aber er war einschüchternd. Diese kalten Augen und die Aura von Gleichgültigkeit, die ihn umringte waren genug, um jedem normalen Menschen zu verstehen zu geben, dass man sich nicht mit Timothy anlegen sollte.

„Das kann ich genauso über dich sagen. Du bist nicht so unschuldig wie du aussiehst." Konterte er. Ich musste grinsen. Unschuldig? Mich hat noch niemand in meinem Leben jäh unschuldig genannt. Ich frage mich wie er mich sieht. Was seine Fantasie ist.

„Sagen wir es mal so...es ist nicht das erste Mal, das ich jemanden abends mit nach Hause nehme." Hauchte ich anzüglich und schaute ihn mit Lustvollen Augen an.

„Ich dachte mir schon, dass du ein Serienkiller bist."

Verdammt. Ich musste wieder Lachen. Ich hatte keine Ahnung wie der Typ es schaffte meinen Charme zu wiederstehen. Es ist lange her seitdem ich mich so ins Zeug legen musste um jemanden ins Bett zu kriegen. Ich amüsierte mich blendend.

„Wir müssen hier rein."

Ich deutete auf mein Haus.

„Sind wir jetzt beim Teil angekommen wo du die Axt rausholst?"

Ich schlug ihm spielerisch gegen den Arm, nur um einen Grund zu haben ihn anzufassen. Okay ja da waren definitiv Muskeln. Anstatt den konstanten, bohrenden Hunger, den ich meistens fühlte war jetzt ein warmes, ziehendes Gefühl in meiner Magengrube. Ich wusste nicht wer Timothy war oder wie er es machte, aber es war mir egal. Solange ich nicht mehr verhungern musste war alles gut. Also stolzierte ich auf mein Haus zu, mit einem neuen Jungen im Schlepptau und dachte überhaupt nicht darüber nach wie meine Mutter reagieren würde, der ich erst vor ein paar Stunden versprochen hatte mich zurück halten zu können. Diese Naivität würde mein größter Fehler werden. 

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