Kapitel 6 || Rechtfertigung

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Kostas POV

Der Sonntag nach Sandras Party war grauenhaft. Es war einer dieser Tage, an denen man erst um 12 aufwachte, aber trotzdem liegen blieb, und eigentlich die ganze Zeit gar nichts machte, außer nachzudenken.
Und für mich gab es so einiges zu verarbeiten.

Ich hatte Angst davor, Mina wiederzusehen. Ich hoffte so sehr, dass mein Korb unsere Freundschaft nicht ruinieren würde. Von allein würde sie das Thema wahrscheinlich nicht mehr ansprechen. Mina war so ein schüchternes, liebes Mädchen, aber es war leider nicht ihre Art, Probleme in Angriff zu nehmen und eine Lösung zu finden. Was das Ganze noch schwieriger machte, war, dass sie es ohnehin mit ihren Selbstzweifeln schon schwer genug gehabt hatte, mich anzusprechen. Und jetzt ist die Situation so unangenehm, dass ich es ihr nicht übelnehmen konnte, wenn sie es so weit von sich wegschob wie nur möglich. 

Außerdem gingen mir Mik und Myriam nicht mehr aus dem Kopf. Er hatte mir nie erzählt, dass er sie attraktiv fand. So wie ich das sah, waren sie immer die besten Freunde... Ich wusste wahrscheinlich also doch nicht so viel über meinen selbsterklärten Brudi, wie ich immer dachte. Aber jetzt war mir unumgänglich klar, dass ich nie die Chance gehabt hätte, bei ihm zu landen. Der Typ, der nach außen den männlichsten Eindruck machte, wie er heterosexueller nicht erscheinen konnte, war von nahezu unerreichbar zu unerreichbar geworden. Es stand ihm förmlich ins Gesicht geschrieben, und auch wenn es mich schmerzte, es passte gut zu ihm, so, wie auch Myriam zu ihm passte.

In der folgenden Nacht rang ich mit mir selbst, denn in meinem Kopf herrschte ein unerträglicher Lärm. Was war es nun, was ich attraktiv fand? Mik war nicht schwul. Er stand auf Frauen. Es verfolgte mich, meine Gedanken wollten einfach nicht verstummen. Das Bild mit ihm vor der gläsernen Tür flammte immer wieder in meinem Kopf auf.
‚Vielleicht klappt es irgendwann ja doch?' – ‚Nein! Mach dir nichts vor, das ist lächerlich.' – ‚Wieso sollte er auch jemals was von dir wollen?' – ‚Er ist so perfekt! Ich kann ihn nicht vergessen!'
Ich wälzte mich so lange hin und her, bis mich das Ertönen meines Handyweckers um 6:30 Uhr erlöste. Ich hatte keine Minute ein Auge zugetan. Bevor ich das Haus verließ, dachte ich glücklicherweise noch daran, den Ersatz – Autoschlüssel einzupacken. So konnte ich nachmittags in die Stadt fahren, bis Julies Unterricht endete, und sie dann einsammeln.

In der Schule war ich wie gelähmt. Einfach nur erschöpft, und trotzdem ließ mein Kopfmonster mich nicht in Ruhe. Hin- und hergerissen, absolut unfähig, mich auf irgendetwas zu konzentrieren, verging jede Minute quälend. Mik. Mina. Myriam. Ich. Wer war ich? Was wollte ich? Wie ging es weiter? Ich wollte es nicht wahrhaben, aber anstatt der Sache mit Mina, drehten sich meine Gedanken fast nurnoch um den perfekten Jungen mit den schwarzen Haaren. Den Jungen, der nun vergeben war. Selbst während der Mittagspause, als es um mich herum belebt und laut war, bekam ich kein Wort heraus. Mit mehreren Leuten saß ich an einem Tisch, schenkte aber niemandem Beachtung. Mein Smartphone lag vor mir, und ich starrte stumm ins Leere. Was in der Außenwelt passierte, zog wie im Zeitraffer an mir vorbei. 

„Kostas, du solltest dein Handy nicht einfach offen liegen lassen", erklang auf einmal eine zarte, vertraute Stimme. Trotz dieser Sanftheit packte Minas Stimme mein Unterbewusstsein am Kragen und zog mich ruckartig in die Realität zurück. Ich konnte nicht glauben, mit welcher Gleichgültigkeit mir das arme Mädchen gerade gegenübersaß. „Mina", hauchte ich entgeistert, „Ich hab' nicht gemerkt, wie du dich gesetzt hast." Genervt seufzte sie; Sie hielt mein Smartphone in der Hand. „Du checkst so einiges nicht auf Anhieb." Mina würdigte mich keines Blickes. Stattdessen war sie in mein Handy vertieft, auf welchem sie mit dem Finger auf- und abscrollte. 

Abwesend musterte ich mein Gegenüber, während diese seltsame Stille um uns lag. Auf einmal runzelte sie die Stirn und hob fragend eine Augenbraue; Ihr schien irgendwas aufgefallen zu sein. „Hat das einen Grund, dass du Mik als ‚Miki ♥' eingespeichert hast?" Sie kaute einmal mit geöffnetem Mund auf ihrem Kaugummi, bevor sie mir dann in die Augen sah. Sofort schoss mir die Schamesröte ins Gesicht und ich zog die Schultern hoch. Es lag eine unangenehme Spannung zwischen uns, weil mir nichts einfiel, was ich darauf antworten konnte. Wie soll ich mich rechtfertigen, ohne ihr von meinem Crush auf Mik zu erzählen? Ich bin noch nicht bereit, es irgendjemandem zu erzählen! 

Wie peinlich, und dass er ausgerechnet jetzt auch mit Myriam zusammengekommen war... Sie hatte wirklich ein Händchen dafür, mich in den falschesten Momenten zu erwischen. Mina war geduldig. Sie kaute, mittlerweile mit geschlossenem Mund, weiter und erwartete meine Antwort, ohne zu drängen. Es hilft alles nichts. Das kann ich einfach nicht anders erklären. Warum musste sie mich sowas auch hier fragen, wo wir von so vielen Leuten umgeben waren?!

Ich atmete einmal tief durch. „Was soll ich sagen, natürlich hat es einen Grund..." Darauf antwortete Mina nichts, sondern stützte sich auf den anderen Ellbogen und hörte weiter aufmerksam zu. Nervös fuhr ich fort: „Mina, hast du die 8. auch frei? Ich bin dir nach Sandras Geburtstag ohnehin noch eine Erklärung schuldig, und die geht damit" - ich zeigte auf mein Handy, welches sie immernoch hielt - „Hand in Hand. Komm, wir fahren was zu essen holen." Ich zeigte auf mein Handy. Sie schien etwas erstaunt und öffnete kurz den Mund, schloss ihn aber wieder, bevor sie dann ansetzte. „Klar", war ihre prägnante Antwort.

Sobald ich den Motor startete und aus der Parklücke rollte, begann ich zu reden. Jetzt musste alles raus. „Mina, ich weiß es klingt jetzt total scheiße und unglaubwürdig...", sie schwieg, „... ich finde dich unglaublich. Du bist so ein hübsches, liebenswertes Mädchen." Ich hielt inne, blickte zu ihr auf den Beifahrersitz hinüber. Sie starrte geradeaus. Los. Es muss raus. Sag es endlich. Jetzt oder nie! „Aber ich bin... schwul. Es tut mir so leid. Es liegt wirklich nicht an dir." Ich hasste mich für diese Sätze, aber es war einfach genauso, wie ich es sagte. Ich fühlte mich aber nicht besser, nun, als es ausgesprochen war. Stattdessen fühlte sich mein Kopf wieder rot und warm an, und mir wurde schwindelig. 

Es dauerte einen Moment, bis Mina die Stille, nunmehr kleinlaut statt schnippisch, wie in der Mittagspause, durchbrach. „Das ist nicht schlimm, ich bin ja auch bi", das hatte sie mir doch schon einmal erzählt...? „Und außerdem war ich in der Organisation des Toleranzprojektes. Ich habe kein Problem mit Schwulen, Lesben, und allem, was zu LGBTQ+ dazugehört." Mit so einer Antwort hatte ich nicht gerechnet, aber es sah ihr ähnlich. Es war unangenehm, über uns zu sprechen, aber das blieb es auch, wenn sie schwieg. Ihre Antwort passte nicht hundertprozentig. „Ja... also, das war übrigens der Grund dafür, wie ich Mik eingespeichert hatte. Seit einigen Jahren, ich weiß wirklich nicht mehr seit wann... habe ich einen ziemlichen Crush auf ihn.", erklärte ich mich nun. Diesen Teil der Wahrheit zu offenbaren, fiel mir leichter. Er war eher mit mir vereinbar, weil ich meinen Crush auf Mik nicht leugnen konnte, aber ob ich nun schwul war oder nicht, da war ich mir noch unklar. Diese Sicherheit täuschte ich vor, um Mina einen triftigen Grund anzugeben, weshalb ich sie zurückgewiesen hatte. Ich wollte ihre Gefühle nicht mehr verletzen, als es notwendig war. 

Ich blickte wieder zur Seite; Sie hatte ihren Kopf gesenkt. Nach langem Zögern sagte sie schließlich „Kann ich dir nicht verübeln...", dann stellte sie endlich den Augenkontakt her, „I've been there, too."




Creator's Commentary: Hach, Mina... Sie tut mir immernoch so leid, sowohl während dem Schreiben, als auch beim wiederholten Durchlesen... superblöde Lage für sie.

Kostas ist übrigens kein schlechter Mensch, er will ihr nur nicht ins Gesicht sagen müssen, dass er auch kein romantisches Interesse an Mina hat. Deshalb outet er sich hier, obwohl er an diesem Punkt mit sich selbst noch nicht im Reinen ist.

Who can relate? Schreibt mir gerne wieder konstruktive Kritik in die Kommentare, ich würde sie alle lesen! ^^

Thanks for the memories - #KostoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt