Jäger

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4 1/2 Jahre später:

Die Nacht war kalt. Ungewöhnlich kalt, tatsächlich hatten wir im Moment minus Grade im Herbst. Niemand wusste genau weshalb das so war, vor allem nach dem die Durchschnittstemperaturen die Jahre vor Tag X ungewöhnlich hoch gewesen waren. Naheliegend war eine abgeschwächte Form von nuklearen Winter, schließlich wurden vor 4 Jahren überall auf der Welt Atombomben gezündet. Seit dem Krieg hatte es im Winter dann das erste mal seit Jahren wieder in Deutschland geschneit, sogar zu viel für meinen Geschmack. Noch hatte es in diesem Jahr keinen Schneefall gegeben, aber frieren musste ich trotzdem, während ich hier draußen lief.
Es war verdammt dunkel und ein wenig unheimlich. Can meinte zwar, dass außer dem Ziel keine Jäger oder andere Gruppen an diesem Ort waren, aber ich versuchte trotzdem vorsichtig zu sein. In meinem Gürtel war nur ein kleines Messer, ohne mein Beil fühlte ich mich seltsam hilflos. Ich gab mir mühe leise zu sein, was nicht immer klappte, denn der Wald war voll mit den Blättern des Spätherbstes, die jeden Schritt doppelt so laut machten. Noch dazu kam, dass mich die Kälte zum zittern brachte; um meine Rolle überzeugend darzustellen, trug ich nämlich nur eine Fleecejacke über meinen Pullover. Ich biss die Zähne zusammen und arbeitete mich weiter auf mein Ziel zu, was in Form einer einzigen Lichtquelle im Wald auf einem Hügel wartete. Die Leute dort hatten ein Feuer gemacht. Wenigstens ein Lichtblick, in jeder Hinsicht. Ich lächelte bei dem Wortwitz der in meinem Kopf stattfand. Versteht ihr? Weil das ein Lichtblick sowohl wortwörtlich als auch... ach egal. Jedenfalls dürfte ich, wenn alles nach Plan ging, leichtes Spiel haben. Allerdings war das ein sehr großes Wenn. Can hatte Zuversicht, aber das half mir auch nicht weiter. Immerhin schlich ich mich gerade an einer Gruppe aus 21 Jägern an, die verrückt genug waren sich mit den Stadtleuten anzulegen, die größte Gruppe in der Gegend. Auch wollte ich nicht gerade wissen was mit den Geiseln passiert war, 4 junge Frauen und 2 Männer. Ich hatte schon Jäger getroffen die Kannibalismus betrieben, oder irgendwelche kranken Rituale mit ihren Gefangenen abhielten. Ich versuchte diese Gedanken zu vertreiben und bewegte mich immer weiter auf das Lager der Jäger zu. 

Langsam aber sicher nahm ich ihre Stimmen wahr, ausschließlich Männerstimmen. Wenn mich nicht alles täuschte lallten manche von diesen Stimmen, ein Zeichen dafür das zumindest ein Part vom Plan geklappt hatte. So weit, so gut. Ich hielt mich gebückt als ich schließlich oben ankam und versteckte mich hinter einem Baum mit Büschen drum herum. Das Lager war einfach gehalten. Es bestand aus 9 Zelten, im Kreis aufgestellt, wobei ein großes heraus stach. In der Mitte diese Kreises war eine Feuerstelle, drum herum saßen 16 Männer auf quer gelegten Baumstämmen. Das waren 5 weniger als uns berichtet worden war. Wenn wir glück hatten, waren diese Männer schon in den Zelten, wenn wir Pech hatten hielten sie Ausschau und boten eine Gefahr. Ich lugte zwischen zwei Zelten durch und versuchte die Leute am Feuer besser zu sehen. Sie sahen aus wie normale Jäger, von den Umständen mitgenommen, ungepflegt, trugen an Kleidung was sie konnten. Sprich sie sahen so aus wie ich gerade versuchte mich darzustellen. Verwildert, einsam, fast schon mitleidserregend. Mein fast schon schulterlanges Haar und den Flaumbart hatte ich mehr oder weniger zerzausen können; die Kleidung war alt und dreckig, aber ich merkte dass ich selber zu saubere Haut hatte. Ich nahm mir ein bisschen Dreck vom Boden und rieb mir damit die Hände, verwischte ihn über mein Gesicht. Dann schaute ich, mit wem ich es genau zu tun hatte.
Die meisten wirkten müde und gut gelaunt, redeten durcheinander und waren unvorsichtig hinsichtlich der Tatsache, dass sie sich einen mächtigen Feind gemacht hatten. Ein Mann mit Strohhut wirkte wachsamer, er redete nicht viel und hatte die Hand ständig auf seinem Outdoor-Tomahawk. Ich hielt kurz inne und betrachtete die Waffe: geschwärzte Klinge, Glasfaser-Griff, gegenüber der Schneide einen kleinen Hammerkopf und allgemein in guter Verfassung. Die Axt gefiel mir. Ich nahm meinen Blick wieder von der Waffe und sah wie eine fast leere Wodka-Flasche rum gegeben wurde. Ich lächelte. Das hatte also geklappt und bestätigte meinen Verdacht. Die Meisten wirkten halbwegs angetrunken, was ihre Unvorsicht erklärte. Bei den Bedingungen in denen sie lebten, tranken sie wahrscheinlich auf leeren Magen, was den Effekt noch besser machte. So war das Opfer des Alkohols nicht umsonst gewesen. Wenn man eine größere Gruppe ohne Feuerwaffen töten wollte, musste man nun mal zu solchen Tricks greifen. Ich besah mir die Waffen der Jäger; die meisten hatten einfach nur Messer, manche ein Beil, andere Keulen mit Nägeln oder Stacheldraht modifiziert, und wieder andere einfache Holzspeere und Bögen an der Seite liegend. Wie berichtet, hatten sie keine Schusswaffen. Schließlich lauschte ich dem Gespräch.
Ein dicker Mann, direkt in meiner Sichtbahn, war besonders laut: "...Und dann nimmt er mir endlich dieses Scheißteil aus der Fresse und gibt auf. Ach, wie ich es liebe wenn sich das Blatt wendet. Er hat gefleht. Meinte er hätte Frau und Kind." "Und was hasse getan?", fragte einer aus der Menge. Der Dicke lachte. "Ich hab ihm den Schädel mit drei kräftigen Schlägen zertrümmert!" er hob seine Nagelkeule. "Seht euch das an! Manche Schädelreste hab ich immer noch nich abbekommen! So eine Sauerei! Aber wisst ihr was ich dann rausgefund'n hab? Sein Gehirn war normal groß. Sie halten sich für so schlau, aber da hatte ich den Beweis! Ihre Hirne sin nich größer als unsere!" Die Anderen lachten. "Jedenfalls war'n wa dann beinahe am vermeintlichen Ziel. Und dann stellt sich heraus: dat is gar nich die Waffenkammer gewesen, das war'n scheiß Klamottenlager. Na ja, immerhin hab ich mir dann das schicke Stück genommen." Er zeigte auf seine Lederjacke. "Warm und stylisch, findet man nich oft." Wieder lachte er. "Na ja, und den Rest kennt ihr ja schon." Ja, den kannte ich. Die Wahrheit war dass die Jäger Glück in ihrer Dummheit gehabt hatten. Sie hatten ein Feuerwerk am Osten der Stadt gestartet, um die Aufmerksamkeit der Stadtleute vom Westen zu lenken. Ein verdammt dummer Plan. Da aber keiner von den Stadtleuten damit gerechnet hatte dass jemand dumm genug war um sie tatsächlich anzugreifen, gelang der Plan tatsächlich, zumindest teilweise. Sie waren über die Mauer geklettert, mit dem Ziel Waffen zu klauen, stattdessen fanden sie nur Kleidungsstücke und die Leute die zur falschen Zeit am falschen Ort waren. 4 wurden getötet und der Rest als Geiseln genommen, um sich vor der Rache abzusichern. Sie hatten einfach nur verdammtes glück gehabt, auch mit dem Timing. Na ja, bis jetzt. Es hatte nicht lange gedauert ihre Spuren zu finden und zusammen mit den Informationen durch unbemerkte Augenzeugen war ihr Schicksal besiegelt.
"Na, immerhin ham wa and're Beute gemacht!", meldete sich einer und gewann damit meine Aufmerksamkeit. Ein kleiner Kerl mit 3-Tage-Bart sprach: "Und die is fast noch besser als Waffen!" Wieder lachten alle. "Da muss ich dir zustimmen!", lallte einer, "Ich hat seit Monaten keinen so gut'n Fick mehr!" "Na ja, ich find ja die Eine könnt sich mehr bewegen. Genau so gut könnt ich au ne Leiche haben.", meinte der Dicke von vorhin wieder und erntete Gelächter. "Da hasse aber ne Andere erwischt als ich!", sagte der 3-Tage-Bart, "Meine hatte definitiv schon mal Erfahrung. Da kannste den guten Henry fragen, wenn der gleich mal fertig is!" Er lachte in sich hinein. "Welche hattesse denn? Etwa die Kleine? Bist du so Einer?" Ich bemerkte wie ein Mann mit strubbeligen, blonden Haaren und Bart, der eher leiser gewesen war und einen Ast geschnitzt hatte, aufhorchte. Der Dicke grinste. "So'n Quatsch! Ich würd doch niemals Freddys Lieblingsstück anfassen!" "Haltet eure scheiß Fressen!", knurrte der Blonde auf einmal. Sofort waren alle außer der Dicke still. Letzterer winkte ab. "Ach, Fred. Du weißt doch, das is nur Spaß. Wer von uns hatte denn noch keine Minderjährige? Is doch nix dab..." "Fresse halten, hab ich gesagt!", brüllte der Mann namens Freddy den Dicken an. Jetzt war auch er Stumm. Freddy legte schnaufend den angeschnitzten Stock weg und sah in die Runde; jeder wich seinem Blick aus, außer der Mann mit dem Strohhut und den Tomahawk. Er hatte schließlich nichts falsch gemacht. "Ihr redet so stolz über die letzten Tage. Als wäre es selbstverständlich. Als wäre es EUER Verdienst.", fuhr Freddy fort, "Die Wahrheit ist, dass wir seit Jahren einmal wieder Glück hatten. Und das auch nur Teilweise! Und schon werdet ihr hochmütig, redet davon wie toll die letzten Tage waren, sauft euch voll mit ner Flasche Wodka, die ihr einfach so gefunden habt. Wenn ihr weiter so macht, werden diese letzten tollen Tage auch eure letzten Tage überhaupt sein! Mein Gott, ohne mich wärt ihr Idioten schon längst tot!" Es blieb eine Weile lang still, während Freddy in der Mitte stand. Dann meldete sich der 3-Tage-Bart wieder. "Aber... du hast ja auch..." Freddy wandte sich sofort zu ihm um und zog dabei etwas von hinten hervor. 3-Tage-Bart und ich erschraken beide, als ich erkannte dass das ein Revolver war. "Wie war das, Rico? Ich hab dich nicht ganz verstanden?" Der Mann mit Namen Rico sah entsetzt auf die Waffe. "Nichts.", sagte er schnell, "Das... war nur Quatsch." Freddy lächelte. "Das glaub ich auch. Der Alkohol bekommt dir wohl nicht so gut." Er sah zu den Anderen "Ich denke Rico kriegt besser nix mehr vom Wodka." Die anderen Jäger lachten nervös, während meine Gedanken rasten. Offensichtlich waren die Berichte nicht komplett. Ich hoffte meine Leute hatten das auch gesehen. Vermutlich hatte Freddy die Waffe einem der Opfer abgenommen. Ich sah zu den restlichen Jägern, doch keiner von ihnen schien eine ähnliche Überraschung zu haben. Also war der mutmaßliche Anführer die einzige große Gefahr, die irgendwie im Vorhinein ausgeschaltet werden musste. Ich seufzte. Hoffentlich waren die Anderen schon da.

Der Rest Meines LebensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt