Späher

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Nicht viel später waren wir neben dem Waldweg unterwegs, um zum Notfall hinter ein Gebüsch oder einen Baum springen zu können.
Ich kam mir absolut bescheuert in dem Overall vor, doch gleichzeitig gab er mir Sicherheit. Wenn ich nach unten sah, und den Stoff mit dem Schnee verglich, brauchte ich doch einen Moment, um beides zu unterscheiden. Von etwas weiter entfernt betrachtet, am Boden liegend, am besten hinter einem Gebüsch versteckt, wäre man unsichtbar.
Leif hatte Köcher, Rucksack und Bogen für den Notfall in der Hand, statt auf dem Rücken, während er den Blick auf den Spuren unserer neuen Bekanntschaft behielt.
Nach ein paar Minuten kamen wir auf dem Waldweg, auf dem wir die Hufabdrücke gefunden hatten. Die Neuen waren ihn weiter entlang gegangen und Fußspuren, die in die entgegengesetzte Richtung führten, verrieten, dass sie von dem gleichen Weg aus zu uns gefunden hatten.
Der Weg ging weiter um unseren Kohleberg herum und an dem See vorbei. Die beschneiten Bäume verhinderten einen Blick auf unsere Lichtung, also hatten sie die Siedlung mit hoher Wahrscheinlichkeit noch nicht entdeckt.
Dann trafen wir wieder auf Hufabdrücke, und Fußspuren die abseits des Weges und wieder zurück gingen. Hier waren sie wahrscheinlich auf das Reh gestoßen und hatten noch versucht es zu erwischen.
"Von wegen mühevoll gejagt.", murmelte Leif bei dem Anblick.
Etwa einen Kilometer später endete der Waldweg an einer alten Hauptstraße, die zu einem Stadtteil von Moers führte. Da die Straßenschilder beschneit waren, wusste ich nicht welcher Stadtteil das war. Leif wusste es bestimmt, aber es spielte keine Rolle.
Ich sah eher besorgt auf die alten, teilweise zerstörten Häuser, die perfekt für Späher waren, Und auf die platten Autos am Straßenrand, die von der anderen Seite Sichtschutz bildeten. Wir entschieden uns dafür abseits der Straße und gebückt an den Autos weiter zu gehen.

Und dann, etwa nach 2 weiteren Kilometern, hörten wir ihre Stimmen von der Straße aus. Sofort versteckten wir uns hinter einem der vielen Autos, die vermutlich von Jägern von der Straße geschoben worden waren, um hinter ihnen Überlebende auf der Straße zu beobachten.
Leif blickte vorsichtig rum, um zu erkennen, was los war.
"Wir haben sie eingeholt.", flüsterte er mir überrascht zu, "Sie stehen da rum und streiten glaub ich über irgendwas."
Ich stieß die Luft zwischen meinen Zähnen aus.
"Toll."
"Jetzt gehen sie von der Straße runter.", berichtete Leif, "In Richtung Wald."
Ich sah hinter der anderen Seite des Autos hervor und erkannte, wie sie sich hinter den Bäumen und Gebüschen versteckten.
"Was siehst du?", fragte Leif jetzt neben mir.
"Sie haben ihre Waffen draußen und verstecken sich. Als ob sie eine Falle vorbereiten."
Ich wandte mich zu meinem Freund.
"Glaubst du sie haben uns gesehen?" Leif dachte kurz nach, dann schüttelte er den Kopf.
"Dann hätten sie uns direkt angegriffen. Wir könnten uns eh nicht wehren. Es muss etwas anderes sein."
Ich behielt die Neuen nervös im Auge. Ich wusste nach einer Weile nicht mehr wie lange sie da warteten, 5 min, 30 min, eine Stunde. Ich wusste nur dass es quälend lange dauerte. Und dann machte Leif mich auf die Straße aufmerksam. Ich kroch zu ihm und sah, was er meinte.

Aus den Häusern kamen Menschen hervor. Ich zählte 10 Stück. Männer und Frauen. Sie trugen möglichst viel Kleidung gegen die Kälte und hielten geschnitzte Speere in ihren Händen. Ihre Gesichter waren Müde, die Männer waren unrasiert und alle wirkten auf perverse Art wie Steinzeitmenschen. Jäger. Die erfolglosere Sorte Jäger.
Sie wollten sich wahrscheinlich auf die Lauer legen um unglückliche Passanten zu überfallen. 3 von ihnen kamen genau auf unser Versteck zu.
Scheiße.
Leif zog einen Pfeil aus den Köcher. Wir konnten nirgendswo hin, nicht mal unter das Auto, das ja Platt war. Ich zog mein Beil und versuchte nicht in Panik zu geraten, während die 3 Jäger wie Zombies auf uns zu watschelten.
Dann knallte es auf einmal grollend vom Wald aus, und einer der anderen Jäger wurde am Kopf nach hinten gerissen. Ein kleiner Blutschwall schoss ihm aus dem Hinterkopf. Seine Begleiter zuckten erschrocken zusammen, ebenso wie wir. Ich sah zu Louis und seinen Leuten, die jetzt mit erhobenen Waffen aus ihrem Versteck traten, während das Echo vom Schuss wie gespenstiges Geheul ausklang.
Sie waren zwar in der Überzahl, aber die Jäger waren schlau genug zu erkennen, dass ein Kampf sinnlos war. Steinzeit gegen Moderne, so schien es fast.
Sofort fielen die Männer und Frauen auf die Knie und schmissen die Speere weg, während die Neuen gemächlich auf sie zu gingen. Louis lief zu einem der Männer und hielt ihm den Lauf des Jagdgewehres vor die Stirn.
Der Mann sagte etwas, was ich akustisch nicht verstand. Allerdings hatte ich das Wort schon oft genug von fremden Lippen kommen sehen: Bitte.
Louis antwortete etwas, woraufhin der Mann nach kurzem zögern, seine Jacke auszog und ihm hinhielt. Der Anführer lächelte, dann lehnte er das Gewehr einfach an dem Jäger an, der bei der Berührung wieder zusammenzuckte. Er würde nicht mal daran denken, die Waffe zu nehmen.
Dann nahm Louis die Jacke und durchsuchte die Taschen. Ich konnte nicht erkennen was er fand, aber entweder steckte er es ein, oder warf es weg. Nichts ging in die Taschen zurück.
Als er fertig war, gab er den Mann seine Jacke zurück und lies das Gewehr neben ihn liegen, ehe er die Prozedur bei jedem einzelnen Jäger wiederholte. Seine Leute hielten die Männer und Frauen in Schach.
Louis nahm sich jedes mal Zeit, redete manchmal mit seinen Opfern, und lief dann am Ende wieder seelenruhig zu dem Ersten, um das Gewehr von ihm zu nehmen. Dann bedankte er sich bei ihm und ging ohne ein Weiteres Wort die Straße weiter.
Die Anderen folgten ihm, wobei Harun und Gregor sicherstellten, dass keiner von den Jägern irgendetwas tun würde und die anderen beiden Männer das Reh aus dem Wald holten. Die Jäger blieben auf ihren Knien und trauten sich erst die Hände runter zunehmen, als die Anderen fast außer Sichtweite waren.

Der Rest Meines LebensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt