Der Morgen fing normal an. Ich stand auf, als es kurz davor war hell zu werden. Lenny schlief noch, oder tat wieder so als ob. Verübeln konnte ich es ihm nicht. Ich wusch mich, putzte meine Zähne, was ich letzten Abend vergessen hatte, und zog mich an. Gleiche Hose, gleiche Skiunterwäsche, lediglich Unterhose und Hemd wechselte ich. Ich kam mit einem blauem, dicken Hemd und meiner Schwarzen Ski-Jacke aus der Hütte, in meinem Gürtel steckten nur Beil und Messer. Ich hatte den Revolver erst seit ein paar Wochen gehabt, und dennoch fühlte ich mich jetzt schon seltsam nackt ohne ihn.
Ich betrachtete die Umgebung. Es war einigermaßen ruhig, nicht viele waren wach. Der frische Schnee auf den Dächern der Hütten verriet mir, dass es über Nacht tatsächlich geschneit hatte. Zumindest ein bisschen. Das würde unsere Spuren für die Neuen immerhin schwierig zu finden machen. Ich zog meine Handschuhe an und lief dann gähnend die Straße runter zum Frühstück. Ein paar Tische waren besetzt, aber noch mehr waren frei. Ich schätzte die Zahl der Anwesenden auf etwa 15 Personen. Das Brot sah diesmal etwas natürlicher aus, aber ganz traute ich mich immer noch nicht ran. Also nahm ich mir wieder eine Dose Birnen und sah mich nach meinen Leuten um. Roan, Leif, Jonny und Mika saßen an einem Tisch zusammen, also gesellte ich mich zu ihnen und grüßte die Runde mit einem "Morgen".
"Ernsthaft? Wieder die Birnen?", fragte Leif als er meine Auswahl sah. Ich rollte mit den Augen und setzte mich neben Maik.
"Jetzt fang nicht wieder damit an."
Mein Sitznachbar sah mich an, während er auf seinem Brot kaute.
"Warum nimmst du kein Brot?", mampfte er. Ich erwiderte seinen Blick.
"Ach, die Pampe kann man essen?"
Jonny, Roan und Leif lachten auf, aber Maik schüttelte den Kopf und schluckte sein Essen runter.
"Es ist halt noch in der Entwicklungsphase, ok? Aber es hat ungefähr den gleichen Nährwert wie das Brot, was wir vor 4 Jahren noch alle genossen haben."
"Vielleicht.", sagte Roan, "Aber das bringt nix wenn man es wegen dem Geschmack sofort wieder auskotzt."
Jonny nickte.
"War bei mir vorgestern der Fall. Und ich hab's wirklich versucht!"
Maik sah beide vorwurfsvoll an.
"Man kann halt nicht alles haben. Das wird schon, wir arbeiten ja daran. Aber ich finde ihr könntet ein bisschen Solidarität zeigen. Ihr wisst schon, unsere Bäcker motivieren."
Um seine Aussage zu unterstreichen biss er nochmal in das sogenannte Brot und gab sich alle Mühe nicht angeekelt zu wirken. Der Anblick brachte Jonny zum Lachen, wir Anderen stiegen mit ein und sogar Maik musste glucksen während er versuchte nicht an der Matsche zu ersticken.Ich sah zu Roan.
"Wo ist Jess?" Roan schluckte seine Ananas aus der Dose herunter.
"Redet nochmal mit Henry."
Das klang nicht gut.
"Was hat er denn gesagt?"
Die Laune aller Anwesenden schien sich zu verschlechtern.
"Er will eigentlich Maik und Jerry mitnehmen.", sagte Jonny verächtlich.
"Und das ist zum Teil natürlich gut, wegen Maik.", fügte Leif hinzu, als er dessen verletzten Blick sah.
"Natürlich.", berichtigte sich Jonny, "Aber dass macht die Tatsache, dass er anstatt von Roan und Jess dieses Arschloch Jerry mitnehmen will auch nicht besser."
Ich sah nachdenklich zwei Tische weiter, wo besagtes Arschloch alleine saß und Zwieback aß. Die Anderen folgten meinem Blick.
"Das ist wohl wahr.", sagte Maik nicht minder verächtlich, "Ich mein, vielleicht ist er kein schlechter Späher, aber er ist auch nicht besser als Jess und du."
"Nicht besser?", schnauzte Jonny, "Ein guter Späher muss Teamwork können. Und ist das ein Gesicht von jemanden dem du deinen Rücken zuwenden würdest?"
Die Anspielung auf den Jagdunfall seines besten Freundes damals war kaum zu überhören. Ich hörte Roan schnaufen.
"Nein. Das ist ein Gesicht in das man rein schlagen kann."
Was nur ich bei Jerrys Anblick zu bemerken schien, war der blaue Fleck an seiner Stirn. Der Junge hatte sich bemüht ihn mit seinen Haaren zu verdecken, aber ich hatte das schon oft genug bei ihm gesehen. Sein Vater hatte ihn wieder geschlagen. Ich schaute wieder zu den Anderen.
"Henry hat halt nicht allzu viel Erfahrung mit sowas. Er weiß, dass Jerry gut und das Roan verletzt ist. Zwischen Maik und Jess hatte er die Wahl und vermutlich hat er gedacht, dass Jess lieber bei dir bleiben sollte." Roan nickte.
"Ja vermutlich. Can würde mich trotzdem mitnehmen."
"Henry ist nun mal nicht Can."
Maik räusperte sich. "Hey, wenn du willst kann ich auch gucken, dass wir tauschen. Ich würde den Tag sonst nutzen um zu Dana in die Stadt zu reiten."
Roan winkte ab.
"Danke, man. Aber Jess und ich haben ne Vereinbarung. Entweder wir beide, oder keiner."
"Außerdem ist es nie eine gute Idee dich und Jerry gemeinsam auf eine Mission zu schicken.", merkte ich an und Roan stimmte zu.
"Da kommt sie.", machte Leif uns auf einmal auf Jess aufmerksam, die hinter einer der Hütten hinter mir hervorkam. Sie sah entnervt aus und ich merkte wie Jerry sie grinsend mit seinen Augen verfolgte. Roan sah seine Freundin hoffnungsvoll an.
"Und?"
Jess seufzte und setzte sich auf den Stuhl neben mir.
"Keine Chance. Henry ist der Meinung er hat die perfekte Wahl getroffen und laut ihm kann er das nicht ändern, nur weil du etwas zu tun haben willst. Er sagt, dass du noch Holz hacken kannst wenn du so große Langeweile hast."
Jonny sah beleidigt aus.
"Will der damit etwa sagen, dass ich gestern nicht genug gehackt hab?"
Roan stieß die Luft durch seine Zähne aus und lehnte sich nach hinten.
"Vielleicht mach ich das sogar."
"Tut mir Leid, man.", sprach ich ihm mein ehrliches Beileid aus.
"Der Idiot hat aber auch echt keine Ahnung was er redet.", knurrte Jonny, "Was hat sich Can nur dabei gedacht Henry zum Anführer zu machen? So gut wie jeder von uns wäre besser geeignet. Er war doch seit Monaten nicht mehr spähen!"
"Was nicht heißt, dass Henry keine Ahnung davon hat.", verteidigte ihn Leif, "Er hat halt seine eigene Art und die ist nicht ganz so durchdacht wie die von Can. Aber er weiß was er tut. Ich erinnre mich noch am ersten Winter hier, als wir die Jäger vertreiben mussten. Henry hat uns in die Gruppen eingeteilt und es hat geklappt. Hat vielleicht weniger Spaß gemacht, aber er konnte gut einschätzen, wer was gut kann."
"Dann muss er doch einschätzen können, dass Jerry kein Teamplayer ist.", gab Maik zu bedenken.
"Vielleicht hat er ja einen Plan was das angeht."
"Vielleicht. Oder er hat einfach nicht nachgedacht und sein Ego erlaubt ihm nicht das wieder gut zu machen.", merkte Jonny wütend an. "Der Bastard Jerry ist eine Gefahr für uns alle. Denkt nur an Ole."
Leif schüttelte den Kopf.
"Ich weiß du hörst da nicht gern, aber das ist notwendig gewesen. Er hatte Tollwut, verdammt."
"Ja", knurrte Jonny, "Sagt Jerry."
Roan schüttelte den Kopf.
"Scheiß drauf. Es ist bloß eine Mission."
Mit diesen Worten endete das Thema. Jeder aß sein Frühstück und redete über irgendetwas anderes. Jonny und Maik schlossen eine Wette darüber ab, ob es tatsächlich Yaro war, der an der Landzunge sein Camp hatte (Maik glaubte er war es, Jonny bezweifelte es). Roan machte mit Jess aus, was er fürs erste tun könnte, Leif machte sich über die Wette der beiden Jungs lustig und ich schwieg und dachte an das was kommen würde. Ich war schon oft spähen, aber gestern war es das erste Mal eine so große Gruppe gewesen, die unser Ziel war. Immerhin waren wir da noch zu zweit, aber nur ein paar Leute mehr verdoppelten schon das Risiko entdeckt zu werden. Je mehr wir waren, desto gefährlicher wurde es. Wir würden 6 Leute sein und uns in Zweiergruppen aufteilen, und trotzdem... je mehr ich drüber nachdachte, desto mehr steigerte sich das schlechte Gefühl, das mich so oft begleitete.
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Der Rest Meines Lebens
AdventureEine alternative Zukunft im Jahr 2030: Vor 4 Jahren eskalierte ein dritter Weltkrieg binnen 2 Wochen; einen Gewinner gab es nicht, stattdessen starb die Hälfte der Erdbevölkerung und die Zivilisation existiert nicht mehr. Der damals 16-Jährige Aaro...