Wintereinbruch

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Der Winter kam am Abend. Es wurde gerade dunkel, als sich die Wolken zusammentaten, um ihn auf die Überreste der Welt los zulassen.
Zuerst kamen nur einzelne Flocken herab, die ich kaum bemerkte. Kaum waren sie am Boden angekommen schmelzten sie auch schon wieder. Doch es dauerte nicht lange bis es mehr wurden, sie liegen blieben und eine erste Schneeschicht bildeten, auf der wir unsere Fußabdrücke hinterließen.

Wir waren auf dem Weg zum Bürgermeisterhaus, denn Nicolas hatte angekündigt dass es eine öffentliche Hinrichtung von Freddy geben würde. In den meisten Fällen würde dass einer von seinen Leuten erledigen, und kaum einer würde sich das ansehen, aber diesmal handelte es sich um den Mann, der hinter den Mord und die Entführung von einigen halbwegs bekannten Personen in der Stadt steckte. Zumindest Nicks Tochter war bekannt und beliebt, und dass Freddy sie selbst vergewaltigt hatte, hatte sich mittlerweile rumgesprochen. Selbst die ach so artigen Menschen der Stadt hatten einen gewissen Durst nach Rache und Blut. Wir sahen es uns nur an, weil es praktisch den Abschluss unseres Auftrags bildete.
Und so standen wir da in Mitten von Hunderten versammelten Einwohnern vor dem Bürgermeisterhaus. Wir waren die Einzigen die schwiegen, der Rest redete über den Vorfall mit den Jägern und wie furchtbar doch alles war, während die immer dicker werdenden Schneeflocken auf uns alle herab fielen.
Ein Halbkreis vor dem Haus wurde von Wachen abgegrenzt; in der Mitte dieses Halbkreises warteten 4 bellende, ungeduldige Schäferhunde an Leinen, die von weiteren Wachen gehalten wurden. Von Nick oder Freddy war nichts zu sehen.

"Wo zur Hölle bleiben die denn?", murmelte Jonny ungeduldig und pustete sich in seine gefalteten Hände um sie aufzuwärmen. Er war der einzige ohne Handschuhe.
"Wahrscheinlich hat Nick noch ein bisschen Spaß mit dem guten Fred.", vermutete Leif neben ihm.
"Meinst du?", fragte ich skeptisch, "So brutal kam er mir nie vor."
"Glaub mir, du warst nicht so oft in der Stadt wie ich.", bestätigte der Langhaarige, "Ich hab den Mann ein einziges Mal wütend erlebt, und das ist mir seit dem nicht mehr aus den Kopf gegangen. Er hat sein Scheiß Büro verwüstet."
Ich sah verdutzt zu Leif.
"Nick? Nicolas Richard hat sein Büro verwüstet?"
Mein Freund nickte.
"Vor Anderthalb Jahren. War selten so kurz davor mich einzuscheißen."
"Warum hat er das getan?"
Leif lächelte.
"Das ist der witzigere Part. Es ging nur um einen Einbruch bei ihm zu Hause. Den Einbruch den Can vorhin erwähnt hatte. Wir waren zufällig da und haben natürlich die Situation für einen Deal genutzt. Wir finden den, der das getan hat und kriegen dafür Munition für Cans Gewehr."
"Habt ihr ihn gefunden?"
"Natürlich. Der Typ war ein einfacher verzweifelter Mann, der Essen geklaut hatte um zu überleben, kein kriminelles Genie. Es war einer der ärmeren Stadtbewohner. Gregory, hieß er glaub ich. Oder Gregor? Nun, auf jeden Fall haben wir ihn dann zu Nick gebracht, und der kannte ihn wohl irgendwoher. Die hatten vorher ein gutes Verhältnis gehabt, aber Nick hatte ihn trotzdem nicht aus der Armut helfen wollen, weil... er ist halt Nick. Und anstatt Mitgefühl zu zeigen hat er sich eher verraten gefühlt. Er meinte zu uns auf seine gewöhnlich gefasste Art, dass wir aus seinem Büro raus sollten, was wir dann auch getan haben. Und dann hörten wir es auf einmal krachen und Klirren für 5 ganze Minuten."
"Ach du Scheiße...", murmelte ich.
"Ja, das dachte ich mir auch. Und schließlich kam er raus, als wäre nichts gewesen, und im Hintergrund seh ich nur ein Chaos wie ich es seit den Straßenschlachten nicht mehr gesehen hab. Er ignoriert das und bezahlt uns normal wie immer und sagt, dass wir Gregory oder Gregor oder wie er jetzt hieß ruhig da lassen sollten. Erst einige Tage später hat er ihn dann hingerichtet. Henning hat erzählt, dass der arme Kerl halb totgeschlagen war. Und diesmal hat Nick ihn das erste mal selber hingerichtet. Aber nicht einfach nur mit nem Schuss in den Kopf oder so. Nein, er hat ihm den Schädel mit nem Vorschlaghammer zertrümmert."
"Oh Gott.", war das einzige was ich sagen konnte. Ich hatte gewusst, dass Nick ein Psychopath war, aber diese Seite von ihm war mir neu.

"Hey.", machte Jonny uns schließlich aufmerksam, "Wenn man vom Teufel spricht."
Nicolas Richard kam aus der Haupttür hervor, in einem grauen Mantel gegen die Kälte gehüllt, die sich seinem Gesichtsausdruck anzupassen schien. Er lief ruhig, fast schon schlendernd; ohne zu Zittern, im Gegensatz zu allen Anderen. Er ignorierte die bellenden Hunde und ging geradewegs auf seine Leute zu, bis zu dem Punkt, an dem ihn die meisten am besten sehen konnten.
So stand er da, wie der Herr des aufkommenden Winters.
"Wenn die Hölle eine Eislandschaft wäre", überlegte Leif bei Nicks unheimlichen Anblick, "Könnte er sogar wirklich der Teufel sein."
Nick hob die Arme und fing seine Rede über die Jäger und das Geschehene an, aber ich hörte ihm trotz seines beeindruckendem Auftretens, nicht zu.
Ich sah wie Can sich leise mit Mika und Jerry unterhielt, und wenn Can sich bei einer Rede unterhielt, war es wichtig. Also gesellte ich mich dazu.
"...keine Ahnung ob sie wissen, dass wir überhaupt da sind.", beendete Can gerade seinen Satz.
Jerry rollte mit den Augen.
"Mein Gott, Can. Wir reden von über 400 Leuten, die haben wahrscheinlich schon längst ihre Späher ausgesendet. Es ist nur eine Frage der Zeit bis sie uns sehen. Bei so einer Gruppe, ist ein Überraschungsangriff unsere einzige Chance."
"Dann erklär mir mal bitte, wie wir 400 Leute mit einem einzigen, sicheren Überraschungsangriff töten sollen."
"Keine Ahnung. Aber es wird uns schon was einfallen. Wir können dem Informanten was für Sprengstoff geben, oder? Und was ist mit Nick? Wir können nen Deal mit den Stadtleuten machen."
Mika schüttelte den Kopf.
"Das Risiko würde er niemals eingehen. Nicht bei so einer Gruppe."
"Und außerdem kennen wir diese Neuen gar nicht. Wir wissen dass sie bewaffnet und zahlreich sind, aber das sind die Stadtleute auch.", erklärte Can seinen Standpunkt.
"Was? Also willst du das Risiko eingehen und mit ner Truppe die uns innerhalb einer Stunde auslöschen könnte verhandeln?", fragte Jerry ungläubig.
Mika zuckte mit den Schultern.
"Besser als sie direkt anzugreifen, oder?"
"Ich sagte nicht, dass wir mit ihnen verhandeln sollten, aber ich werde diese Menschen nicht angreifen, wenn ich keine Ahnung habe, ob sie eine Gefahr sind."
Can klang entnervt.
"Sie sind bis zu den Zähnen bewaffnet und zahlreich. Für mich klingt das scheiße gefährlich.", entgegnete Jerry.
Ich trat schließlich zu ihnen.
"Dürfte ich vielleicht mal die Frage in die Runde stellen... Woher kommt so eine große Gruppe?"
Alle drei sahen mich an. Meine Frage war berechtigt. Von dem was wir gehört hatten, gab es nicht mehr viele Menschen, und schon gar nicht viele Gruppen. Der Großteil vom Osten Deutschlands war angeblich vollständig verstrahlt, wegen einer Atombombe die an der Grenze zu Polen eingeschlagen war. Die Überlebenden hatten sich in den Westen gerettet, aber selbst hier gab es vielleicht 13.000 Menschen in ganz Nordrhein-Westfalen, wenn es hoch kam. Der Norden war nach den Berichten von anderen Überlebenden nicht besser dran, und vom Süden gab es gar keine Informationen. Große Gruppen, wie die Stadt, waren mehr oder weniger ein Wunder. Und wenn es sie gab, reisten sie nicht irgendwohin. Unsere neuen Nachbarn allerdings schon.
"Das weiß keiner.", antwortete Can schließlich, "Ebenso wenig warum sie hier sind und was sie wollen. Und genau deshalb, werden wir fürs erste nichts tun, bis wir mehr wissen."
Mika überlegte.
"Sollen wir nicht den Informanten fragen?"
Der Anführer schüttelte den Kopf.
"Wir haben noch nicht genug um es für Informationen einzutauschen. Ich werde mit Henry und Erik sprechen."

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