Ich konnte mich nicht bewegen.
Nicht, dass ich sowas in der Richtung nicht schon mal erlebt hatte, aber selten wurde ich so überrascht. Mein Blick haftete weiterhin auf Jerry, wie er da im Schnee lag, ohne irgendein Lebenszeichen und mit einer größer werdenden Blutlache um den Kopf herum. Dann wanderten meine Augen zu der Pistole und dem weiterhin brennenden Molotow-Cocktail.
Während meine Gedanken rasten, hörte ich die Männer in der Hütte reden.
"Genau in die Mitte der Stirn. Sowas nenn ich Meisterhaft!", prahlte Louis.
"Pah. Du hattest auch Zeit zum zielen, der Typ hat ja wirklich kaum aufgepasst.", meinte ein Anderer.
"Mach du's erstmal besser. Und dann noch mit nem Revolver, nicht mit nem Gewehr samt Zielfernrohr. Das könnte dann wirklich jeder."
"Klappe!", befahl eine dritte, tiefere Stimme, "Da führen zwei Fußspuren zur Hütte. Er war nicht allein."
Die Worte rissen mich zurück in die Wirklichkeit. Ich drehte mich um und kroch durch den Schnee, so schnell es ging, um die Ecke herum. Erst als ich an der linken Hauswand angelangt war, blieb ich sitzen und versuchte meine Atmung zu beruhigen.
"Ja, der Andere war an unserer Wand.", hörte ich Louis, "Den Spuren nach ist der Scheißkerl ums Haus rum. Vermutlich ist er abgehauen."
"Versucht ihn lebend zu erwischen. Ich will wissen wer uns schaden will.", befahl die fremde Stimme.
Ich zog mein Beil. Das und das kleine Messer waren jetzt meine einzigen Freunde. Dann hörte ich das Quietschen der sich öffnenden Tür. In meinem Kopf ging ich meine Optionen durch. Wegrennen ging nicht mehr, das würden sie hören. Und selbst wenn ich es schaffen könnte, ich würde mich nur verlaufen. Die Anderen kannten das Gebiet. Ich erlaubte mir einen kleinen Blick um die Hüttenwand herum und sah Louis und den Blonden vorsichtig aus der Tür treten. Letzterer hatte ein Jagdgewehr, Louis hielt den Revolver.
Der Anblick meiner ehemaligen Waffe weckte etwas in mir. Auf einmal wich meine Angst dem aufkeimenden Zorn und einer unbeugsamen Entschlossenheit. Ich wusste, dass ich kämpfen würde. Dass ich kämpfen wollte. Ich blieb hinter der Wand und lauschte nach ihren vorsichtigen Schritten, die langsam in meine Richtung kamen. Als erstes würde ich eine Waffe brauchen. Entweder Jerrys, oder ich musste mir eine von den Anderen nehmen."Der hat sich wohl erschreckt.", hörte ich den Blonden sagen, "Sieht aus als ob er hingefallen ist."
"Den Spuren nach ist er ums Haus rum.", bemerkte Louis und wurde dann leiser. Ich musste mich anstrengen, aber ich verstand ungefähr was er sagte:
"Vielleicht ist er noch da. Ich geh von der rechten, du von der linken Seite."
Ich hörte Schritte näher kommen und andere Schritte weggehen. Ich wusste was ich zu tun hatte. Ich stand hinter der Wand auf und holte mit dem Beil aus.
Das ist wie das Training, sagte ich mir, Du wirfst nur auf eine Holzpuppe.
Ich hielt mich breit und wartete geduldig auf den Näherkommenden. Oder ich versuchte geduldig zu sein, denn der Typ brauchte eine gefühlte Ewigkeit. Das Geräusch kam mittlerweile so nah, dass ich eigentlich dachte er müsste schon vor mir stehen. Er würde in einem gewissen Abstand zu der Wand laufen, damit ich nicht an sein Gewehr kam. Ich atmete langsam und lies meine Augen nicht von der Stelle ab, um die der Blonde gleich herum gehen würde.
Und dann sah ich den Lauf der Waffe, wie er langsam, im 2 Meter Abstand zur Wand, wie ein schwebendes, kugelspuckendes Rohr in mein Sichtfeld kam. Ich musste schnell sein, also schleuderte ich die Waffe bevor der Blonde ganz zu sehen war, ungefähr dahin, wo jede Sekunde sein Kopf sein müsste.
Wie aufs Stichwort schaute der Mann nichtsahnend um die Ecke und wurde von der heran fliegenden Waffe begrüßt. Er versuchte noch zurückzuweichen, aber die Klinge erwischte ihn an der Seite der Stirn und riss ihm ein gutes Stück Haut weg.
Der Treffer war keineswegs tödlich oder Perfekt, aber er überrumpelte den Mann und lies seinen Kopf eine Drehung machen.Ich verlor keine Zeit und stürzte mich auf meinen Gegner. Der Blonde sah mich noch, aber konnte nicht mehr rechtzeitig das Gewehr herumreißen. Ich packte den Lauf um ihn von mir wegzuhalten und schlug ihm mit dem Handballen auf die Nase.
Ich konnte nicht das Risiko eingehen mir die Finger zu brechen wenn ich mit der Faust zuschlagen sollte. Das hatte mir Mahmut vor 2 Jahren gezeigt.
Ich lies ihm keine Zeit sich zu erholen und schlug nochmal zu, dann riss ich an dem Gewehr. Doch der Griff des Anderen war fester als gedacht. Ich versuchte ihm mit den Kolben zu erwischen, aber diesmal hatte er sich gefangen und wich aus.
Wir rangen kurz um die Waffe, dann spuckte ich ihm ins Gesicht und nutzte den Ablenker um mein Messer zu ziehen. Der Mann sah noch rechtzeitig wie ich ausholte und schaffte es seinen Kopf aus der Stichbahn zu bekommen. Stattdessen grub sich die Klinge in die Schulter.
Ich ließ die Waffe stecken und drehte den Griff hin und her, dass der Andere vor Schmerzen schrie. Ich merkte wie seine Finger um das Gewehr lockerer wurden.
Dann hörte ich Louis brüllen: "Bolke!", und sah wie er hinter der rechten Hüttenwand hervor kam, den Revolver erhobenen.
Ich machte einen Schritt zur Seite und zwang den wimmernden Bolke vor mich. Es knallte und mein Gegenüber wurde von etwas im Rücken getroffen. Die Kugel ging nicht durch.
Ich packt Bolke und schmiss mich mit ihm hinter die linke Wand in Deckung, während Louis fluchend los rannte. Ich zog das Messer raus, nur um es dann dem Blonden in den Hals zu rammen.
Während der Mann starb schnappte ich mir hektisch das Gewehr und wirbelte herum. Ich betete dass die Waffe eine Kugel in der Kammer hatte, kam dann um die Wand herum und schoss blind in die Richtung in der ich Louis zu letzt gesehen hatte. Er hatte mich fast erreicht gehabt, aber warf sich dann fluchend zur Seite, als das Gewehr losging. Die Kugel verfehlte und der Gewehrkolben erwischte mich unangenehm hart an der Schulter.
Ich hatte ewig nicht mehr geschossen.
Ich sah meinen Gegner auf den Wald zu eilen um die Bäume als Deckung zu nutzen. Ich wollte keine Zeit verlieren und zog den Hebel des Gewehrs zurück. Doch der klemmte.
Ich fluchte und merkte, wie Louis an den Bäumen angelangte und mit dem Revolver herumwirbelte. Ich ging wieder in Deckung, es knallte, das Holz splitterte da wo ich gerade noch gestanden hatte.
Ich versuchte mich zu beruhigen. Einer war weg, jetzt galt es den Anderen auszuschalten. Ich schaffte es endlich die Kammer zu füllen, kniete mich hin und lugte mit dem Gewehr hervor in die Richtung von Louis. Er stand da an dem Baum mit dem Revolver, bereit loszuschießen. Die Tatsache dass ich meine Position tiefer als gedacht verlegt hatte, gab mir genug Zeit zurück zu weichen.
Wieder knallte es.
Wieder splitterte Holz.
Ich sah auf das Gewehr und versuchte mich zu erinnern wie viele Kugeln so ein Jagdgewehr haben konnte. Das von meinem Vater hatte 4 im Magazin und 1 in der Kammer gehabt. Andere hatten nur 2 im Magazin und 1 in der Kammer. Mein Blick viel auf die Patronenhülse neben mir, von der Kugel die ich abgefeuert hatte. Ich hob sie auf und besah sie mir kurz. Kaliber 30. Das gleiche Kaliber wie es mein Vater benutzt hatte. Das reichte mir fürs erste als Bestätigung für 5 Schuss, minus den, den ich abgefeuert hatte.
Und dann fiel mir ein, dass der Revolver 6 Kugeln hatte. 3 waren schon gefeuert worden. Ich musste ihn nur dazu bringen die Trommel leer zu schießen, dann wäre ich wieder im Vorteil.
Und als mein Blick zufällig auf Bolkes Leiche traf, hatte ich auch schon eine Idee.
Ich packte den Toten und zog in zu mir. Dann ließ ich ihn langsam hervor lugen, gerade noch so dass Louis ihn nicht direkt erkennen würde. Es dauerte nur ein paar Sekunden bis meine Ohren wieder den Laut des Revolvers ertragen mussten und die Wucht des Treffers die Leiche aus meinen Händen riss. Louis erkannte seinen Fehler.
"Du verdammtes Arschloch! Ich bring dich um!", schrie er und ich nahm wieder mein Gewehr. 2 Kugeln noch. Das würde ich schaffen.
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Der Rest Meines Lebens
AventuraEine alternative Zukunft im Jahr 2030: Vor 4 Jahren eskalierte ein dritter Weltkrieg binnen 2 Wochen; einen Gewinner gab es nicht, stattdessen starb die Hälfte der Erdbevölkerung und die Zivilisation existiert nicht mehr. Der damals 16-Jährige Aaro...