p r o l o g

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W A L L F L O W E R

p r o l o g

| Regina |

„Du bist auch einfach nicht der Typ für 'ne Großstadt. Weißt du noch, wie unwohl du dich damals in Berlin gefühlt hast? London wird nicht anders sein! In ein paar Wochen bist du bestimmt wieder da."
Ich erinnere mich an die Prophezeiungen meiner Freunde von Zuhause und vielleicht hatten sie alle recht. Vielleicht habe ich mich wirklich überschätzt und wollte ihnen allen etwas beweisen, was ich einfach nicht bin.

Überfordert stehe ich nun hier unter all diesen Menschen, beschallt von einem ohrenbetäubenden Bass, der mich meine eigenen Gedanken kaum verstehen lässt. Das Einzige, das mich hier noch hält ist Harry, der in meinem Gesicht lesen zu können scheint, was in meinem Kopf vor sich geht.

Schweißnass steht er mit aufgeknöpftem Hemd unmittelbar vor mir und sieht mit geweiteten Pupillen auf mich herab.
„Du wünscht dir gerade, in deinem Kaff geblieben zu sein, was?", lacht er laut und beugt sich zu mir, damit ich ihn bei dem Lärm verstehen kann.

Die Schweißperlen, die sich auf seiner Stirn gebildet haben, laufen über sein Gesicht und verschwinden in seinen tiefen Grübchen, als er lacht. Harrys Augen wirken aufgeweckt und glücklich, aber es ist nicht er selbst, der mich dadurch ansieht. Es ist nicht wirklich sein Glück, welches er hier lebt.
Er ist nicht er, aber das Schlimmste daran ist, dass ich ihm nichts vorwerfen kann.

Stumm schüttle ich den Kopf und versuche überzeugt zu wirken. „Ich bin nur.. überrascht."

Wieder lacht Harry laut auf, reisst sich das offene weiße Hemd nun endgültig vom Leib und nimmt mich überstürzt in den Arm, während er sich plötzlich zur Musik bewegt.

Ich spüre das Trommeln seines rasenden Herzens, als er seine nackte Brust gegen meinem Körper drückt und seine nassen braunen Locken an meiner Schläfe. Er summt eine Melodie in mein Ohr, während ich über seinen Rücken hinweg die anderen Menschen beobachte, die regelrecht in Trance zu sein scheinen.

„Du hast zu all dem hier selbst Ja gesagt. Wirf' es mir nicht irgendwann vor, Wallflower", raunt Harry in mein Ohr und ich fühle seine leichten Bartstoppeln an meiner Wange, sobald er grinst.

Auch das ist nicht wirklich Harry und trotzdem genieße ich seine Nähe in vollen Zügen.

„Willst du meine Welt wirklich immernoch kennenlernen?", will er sich zum wiederholten Male versichern.

Ich erinnere mich daran, wie er mich in manchen Momenten davor gewarnt hat, doch jetzt klingt er so überzeugt und glückselig, als wäre es die richtige Entscheidung gewesen, gerade hier zu sein.

„Ja."
Ein kurzes Wort, zwei einfache Buchstaben, die mir zum Verhängnis werden und mich in mein Verderben stürzen. Jedes „Ja" zu Harry ist ein klares „Nein" zu mir selbst.

Ich wünschte, man hätte mich vor ihm gewarnt, anstatt vor der Großstadt, die so viele Versuchungen und Gefahren bergen soll. Harry vereint sie alle in sich und macht mich zur größten Gefahr für mich selbst. Aber vor Harry hat mich niemand gewarnt.

Er ist der Anfang von meinem Ende und ich laufe ihm blind hinterher in mein Unglück. Aber solange er bei mir ist, sehe ich nur ihn.

wallflower || h.s.  ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt