s i e b z e h n

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| Regina |

In den letzten Tagen waren Harry und seine Kumpanen überraschend produktiv und konzentriert bei der Sache. Der Alkoholpegel, den sie dabei halten, ist zwar jeden Tag aufs Neue beeindruckend, doch ansonsten habe ich nicht viel davon mitbekommen, was ihnen Kreativität liefert.
Ich will auch nichts davon mitbekommen, um nicht wieder Gefahr zu laufen, falsch zu reagieren und Harry zu verärgern.

Ich sehe Harry jeden Tag am Boden des Studios liegen, konzentriert mit Kopfhörern in Sessel sitzen oder zusammen mit Mitch an diversen Gitarren. Meine Anwesenheit tut nicht viel zur Sache, außer einige skeptische Blicke von Harrys Kollegen.
Aber solange Harry hin und wieder bei mir ist und ich ihm wenigstens eine Stunde am Tag nah sein kann, ist es mir die Zeit hier wert.

Es ist bereits Donnerstagnachmittag, als ich in der Küche stehe und Harry, Mitch und Sammy gleichermaßen grinsend auf mich zukommen. Dass es nichts Gutes verheißen kann, wenn die Drei mit einem solchen Ausdruck auf mich zukommen, ahne ich bereits, aber immerhin habe ich mir nun schon fast eine Woche in diesen Studios um die Ohren geschlagen.

Harrys letzte Ansprache hat Spuren hinterlassen. Ich darf mich nicht als Harrys Aufpasserin aufspielen, er ist mir zu nichts verpflichtet.

Was immer er hier tut und lässt, egal wie verwerflich oder gefährlich ich all das finde – ich darf mir nach außen hin nichts anmerken lassen.

Ich will Teil seiner Welt, am Liebsten Teil von ihm, sein und das wird er nie zulassen, wenn ich sein Leben nicht akzeptiere.

„Was ist los?", frage ich mit gerunzelter Stirn, als Harry bloß grinsend vor mir steht und nichts sagt.

Für gewöhnlich brütet er um diese Uhrzeit mit den anderen über seinen neuen Songs.

„Wir gehen heute feiern, kommst du mit?"

Erwartungsvoll mustert mich Harry. Er liest mich wie ein Buch, ich ahne es.
Selbst jetzt, wenn ich versuche keine Miene zu verziehen, weiß er, was in meinem Kopf vor sich geht.

Er erkennt, wie ich abwäge, ob es klüger wäre, nun dankend abzulehnen und erst gar nicht erleben zu müssen, was Harry in seinen Nächten betreibt, oder ob ich lieber mitkommen und ihm beweisen sollte, dass ich absolut kein Problem mit seinem Lebensstil hätte.
Letzteres wäre mit Sicherheit die größere Herausforderung.

Über Harrys Schulter hinweg sehe ich, wie auch Sammy gespannt auf meine Reaktion wartet.

Seitdem er sich vor ein paar Tagen eine Einschätzung über meine Einstellung Harry gegenüber erlaubt hat, begegne ich ihm mit noch mehr Skepsis als zuvor.
Du bist für das hier und für Harry nicht gemacht, hat er mir vor einigen Tagen an den Kopf geworfen.

Er hat meine größte Angst, meine schlimmsten Befürchtungen ausgesprochen. Nun gilt es zu verhindern, dass auch Harry diese Meinung übernimmt.

„Klar, gern", antworte ich deshalb möglichst selbstsicher und schenke Harry ein Lächeln, das ihm hoffentlich vermittelt, dass ich mich aufrichtig über einen feuchtfröhlichen Abend mit ihm freuen würde.

Stolz grinst mich Harry an. Seine Grübchen und die leichten Fältchen um seine Augen verwandeln mein gezwungenes Lächeln sofort in ein ehrliches Strahlen.
Wie hat ihm je eine Frau widerstehen können? Vermutlich war das ohnehin nie der Fall.

„Ich wusste, ich kann auf dich zählen", sagt er und nimmt mich einmal fest in den Arm und drückt mir einen Kuss auf meine Locken.

Es ist das erste Mal, dass er vor den Jungs so offen und zärtlich zu mir ist, aber in diesem Moment vergesse ich Mitch und Sammy ohnehin völlig.
Erst als ich Sammys leises Lachen höre, öffne ich meine Augen und werfe einen Blick über Harrys Schulter.

wallflower || h.s.  ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt