s e c h s u n d z w a n z i g

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| Harry |

Mir war bewusst, dass mein unangekündigtes Auftauchen in London nicht bei jedem auf zügellose Freude stoßen würde.

Regina war leicht einzuschätzen. Ich hatte wenig Sorge, dass sie sich nicht freuen würde, mich wiederzusehen. Sie war durchaus überrascht, aber wie erwartet siegte letztlich die Erleichterung, dass sich unsere Wege doch wieder gekreuzt haben.
Anders ist es jedoch bei Grimmy. Er scheint das Ganze etwas kritischer zu sehen.

Wie ich höre, bist du wieder im Lande, erreicht mich seine knappe Nachricht in der Pause eines Meetings.

Ich habe ihm bewusst nicht Bescheid gegeben, dass ich zurück in London bin.
Diego hat mich innerhalb kürzester Zeit auf den neusten Stand gebracht und dabei hat er auch nicht ausgelassen, wieviel Zeit Regina und Grimmy wieder miteinander verbracht haben.

Mit Sicherheit weiß er, was in Malibu passiert ist. Er weiß, dass ich genau das getan habe und Regina zu dem verleitet habe, von dem ich immer beteuert habe, es nicht zu tun.

So ist es. Sehen wir uns?

Sag du's mir, lautet Grimmys erneut recht wortkarge Antwort.

Ich weiß nicht, was genau ihn verärgert, aber aus seinen kurzen Nachrichten geht deutlich hervor, dass etwas nicht stimmt - vielleicht ist es wegen Regina, vielleicht aber auch, weil ich mich nicht bei ihm gemeldet habe.

„So, machen wir weiter?", fragt der Marketing-Chef meines Managements in die Runde und langsam kehrt jeder aufmerksam zurück an den großen, runden Tisch.
Auch ich nicke leicht und tippe nur noch schnell eine Antwort an Grimmy.

Ich würd' mich freuen. Wenn du willst, komm vorbei. Heute Abend und morgen Vormittag bin ich zuhause.

Anschließend lasse ich mein Handy wieder in meiner Hosentasche verschwinden, um mein Interesse zurück auf die Arbeit zu richten. Die Leute in diesem Raum arbeiten hart und haben nicht weniger als meinen vollen Respekt und meine ungeteilte Aufmerksamkeit verdient.
Immerhin ist es meine Karriere, an der hier mit vereinten Kräften gefeilt wird.

Hin und wieder schweifen meine Gedanken aber trotzdem wieder ab.
Meine Gedanken fliegen zu Regina und wie unbeholfen sie mir vorgestern wieder gegenübergetreten ist. Wir hatten zwar wenig Zeit zu zweit, aber selbst in den wenigen Minuten war mir klar, dass sie mir nichts übelnimmt und wir da anknüpfen können, wo wir aufgehört haben. Allerdings bin ich vorerst noch mit Arbeit eingedeckt.

Neben Regina taucht aber auch immer wieder Grimmy in meinen Gedanken auf.
Seit Jahren verbindet uns eine besondere, ehrliche Freundschaft. Dass diese ganze Sache mit Regina je zwischen uns stehen könnte, stand nie in meiner Absicht.
Ich erinnere mich, wie oft er versucht hat mir ins Gewissen zu reden, aber letztendlich bin ich doch immer wieder bei Regina gelandet.

Ich befürchte nicht, dass Regina schlecht über mich geredet oder gar gehetzt hätte. Dafür hält sie selbst noch zu viel von mir. Allerdings kennt mich Grimmy gut genug, um seine ganze eigene Wertung daraus zu ziehen, wenn er hört, was ich Regina alles ausgesetzt habe.

Es bleibt bloß zu hoffen, dass er sich nicht längst seine Meinung gebildet hat und mich stur verurteilt. Unsere Freundschaft sollte stark genug sein, dass er mir neutral gegenübertritt. Zumindest hoffe ich das.

Erschlagen von dem Tag, der völlig überladen mit Arbeit war, liege ich abends auf dem Sofa in meinem Haus im Norden Londons.

Von Grimmy habe ich nichts mehr gehört und mit jedem Blick auf die Uhr muss ich mir ein Stück mehr eingestehen, dass er heute wohl nicht mehr vorbeikommen würde. Egal wie lange ich heute wach bleibe, hat Grimmy morgen trotzdem zu einer unmenschlichen Uhrzeit eine Frühstücksshow zu moderieren. Ich war dort selbst einige Male zu Gast und weiß bestens, wie früh man am Abend zuvor ins Bett gehen sollte, um in aller Herrgottsfrühe den gut gelaunten Radio-Clown zu spielen.

wallflower || h.s.  ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt