Kapitel 23.

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Ich starre Jessica über den Tisch hinweg an und versuche dem Drang zu widerstehen, ein drittes Mal innerhalb einer Minute „Und?" zu fragen. Wenn man es genau nehmen möchte, starre ich nicht einmal Jessica als solches an, sondern ihren Scheitel und die Rückseiten einiger von mir beschriebener Seiten, die sie so hält, dass man ihr Gesicht nicht mehr sehen kann. Hier und da gibt sie ein Geräusch von sich, das ich weder zuordnen noch deuten kann. Mehr habe ich ihr jedoch seit meinem Eintreten in ihr improvisiertes Büro am Set nicht entlocken können.

„Und?", frage ich schließlich doch und kann kaum glauben, wie nervös meine Stimme klingt.

Wahrscheinlich hat sie, als sie mich mit einigen Seiten Papier hat eintreten sehen, mit einem Vorgeschmack auf ein Manuskript gerechnet. Hat sich innerlich vermutlich schon erleichtert über die Stirn gewischt, weil ich nun endlich dem Wunsch des Verlags nachkäme und mir einen zweiten großen Kassenschlager aus den Fingern sog. Vielleicht hält sie die Seiten deshalb vor ihr Gesicht – um die Enttäuschung darüber zu verbergen, dass es sich bei den Seiten um kein Manuskript handelt.

Doch ich hatte mich an eines unserer ersten Gespräche erinnert. Ein Gespräch darüber, worauf es letztendlich ankommt und was es gilt, zu finden: ein Alleinstellungsmerkmal. Etwas, was eine Sache, einen Künstler oder ein Werk vom Kanon abhebt; etwas, was in den Köpfen hängen bleibt.

»3 am« hat das fehlende Happy End und die starke Protagonistin. Meinen klaren, reduzierten Schreibstil.

In der ganzen Zeit war mir jedoch nie in den Sinn gekommen, dass selbst mein negatives Alleinstellungsmerkmal eben doch auch ein Alleinstellungsmerkmal ist und dass es immer nur darauf ankam, wofür man seine Stärken, aber eben auch seine Schwächen, nutzte.

Jess ordnet die Blätter, legt sie gerade ausgerichtet vor sich auf den Tisch und betrachtet mich einen Moment. Dann lächelt sie.

„Friedensangebot angenommen. Das ist wirklich gut."

„Wirklich?"

Sie nickt.

„Ich weiß, ich bin nervig", ich ignoriere ihre abwinkende Handbewegung und fahre unbeirrt fort. „Und sicherlich gibt es tausend Autorinnen, die besser zu händeln wären als ich. Aber ich glaube, das ist was. Diese Lesung neulich, der Austausch mit den Lesern – das ist es, was ich will. Keine gestellten Interviews mit Standardantworten, die ich mir ja nichtmal selbst abkaufe."

„Ich werd dir nicht absprechen, dass du ein pain in the ass bist", Jess' Hand wandert erneut zu den Dokumenten, fächert sie ein wenig auseinander und schiebt sie dann wieder zusammen. „Aber das Gute ist, dass es das eben auch wert ist; deine Ideen sind mitunter Gold wert. Lass mich das ein bisschen durchplanen. Ich muss ein paar Leute anrufen, denn was die praktische Umsetzung angeht, bin ich ein ebensolcher Anfänger wie du. Und wir können das sicherlich gut irgendwo unterbringen, genug mögliche Plattformen und Werbepartner gibt es schließlich."

„Meinst du?"

„Meine ich. Und jetzt verschwinde, damit ich meinem Job als Agentin nachgehen kann. Wir besprechen das später, sobald ich mehr Infos habe!"

Ich bin schon fast an der Tür, als sie mich nochmal zurückruft.

„Alex?"

„Hm?"

Sie seufzt. „Macht es dich glücklich? Die Sache, mit dem Popsternchen?"

„Harry", verbessere ich sie und grinse, als sie die Augen verdreht.
„Ja", füge ich an. Schlicht und einfach. Solange ich nicht an unser Ablaufdatum denke, spüre ich einzig und allein Glück in meinem Bauch, und daran ist Harry schuld.

Zurück an meinem Platz am Set greife ich nach meinem Handy und verfasse mein erstes Social Media Posting seit einer gefühlten Ewigkeit. Ich fotografiere meinen Blickwinkel auf das Set, wobei der Fokus auf meiner Kaffeetasse liegt und man den Hintergrund bloß verschwommen wahrnimmt. Unwillkürlich muss ich grinsen, weil ich mich daran erinnere, dass Harry meinen Lieblingskaffee durch meinen Instagramaccount herausgefunden hat, und ich finde es fast ein bisschen schade, dass es sich bei diesem Kaffee bloß um gewöhnlichen Filterkaffee und nicht um Vanilla Latte handelt. Da wir keine Details über die Dreharbeiten mit der Öffentlichkeit teilen dürfen, überprüfe ich meinen kleinen Schnappschuss mindestens zehn Mal, bevor ich ihn veröffentliche. Die Caption halte ich simpel:

»3 am« [harry styles]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt