Kapitel 22.

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Eine Liste der Dinge, die ich grundlegend niemals, nicht einmal in Paralleluniversen, für möglich gehalten hätte:

Die Siegerurkunde vom Sportfest der achten Klasse. Niemand hätte es für möglich gehalten, dass ich überhaupt jemals über eine Teilnehmerurkunde hinauskommen würde.
Die Existenz unironischer Flatearther.
Dass ich einen Bestseller schreiben würde.
Dass mir dieser Bestseller einen gewissen Grad an Bekanntheit einbringen würde.
Dass ich an der Verfilmung dieses Bestseller beteiligt wäre.
Dass ich Harry Styles treffe.
Dass ich Harry Styles küssen würde.
Dass ich Harry Styles dabei zusehen würde, wie er das Tattoo auf meinem Oberschenkel mit seinen Fingern nachzeichnet.

Ich habe nichts davon geplant, weil ich nichts davon für möglich gehalten hätte. Und doch ist all das meine Realität. Egal, ob sie mir den Atem raubt oder nicht.

Seine Lippen bewegen sich sachte und obwohl ich mir sicher bin, dass sich mein Verstand schon vor einer ganzen Weile von mir verabschiedet hat, finde ich doch noch die richtigen Worte.

People don't like it when the flame becomes the wildfire. Fuck them", flüstere ich und stoppe, denn Harry fährt die zwei Worte, die in schwarzer Tinte unter meiner Haut liegen und das Stück vollenden, erneut nach.
Burn anyway", sagt er leise.
„Erin Van Vuren. Ich liebe das, was sie schreibt", ergänze ich obwohl der Kommentar hinfällig ist, schließlich habe ich mir eine ihrer Zeilen auf den Oberschenkel tätowieren lassen.
Ich lasse Harry nicht aus den Augen, während er seinen Blick und seine Finger über meine Haut streichen lässt.
„Welches war dein erstes?"

Ich setze mich auf, drehe mich ein bisschen, so dass er meinen Nacken sehen kann und streiche meine Haare zur Seite. Kaum liegt meine Haut frei spüre ich seine Fingerspitzen auch dort. Er zeichnet die schematische Darstellung eines Herzens nach, dann verlieren sich seine Finger auf der schmalen Linie, die mein erstes mit meinem zweiten Tattoo verbindet. Ich drehe mich unter seinen Fingern ein bisschen weiter, so dass er meinen Rippenbogen erreichen kann.

Sein dunkles, kleines Lachen ist mehr physisch spürbar, als dass ich es höre.
„Ziemlich clever."
Harrys Blick löst sich von meinem Körper, damit er mich ansehen kann, seine Hand bleibt jedoch an meiner Seite, liegt auf dem kleinen Hirn direkt neben meinem Herzen, das verbunden ist mit dem Herzen, direkt unterhalb meines Hirns.
„Und welches war das letzte?"

Ich hebe meine linke Hand, spreize Mittel- und Ringfinger voneinander ab und entblöße das winzige, filigran gestochene »3 am« auf der Innenseite meines Ringfingers. Der Tätowierer hatte mir etwa zwanzig Mal erklärt, dass Fingertattoos unheimlich schnell verblassten und eine viel zu geringe Halbwertszeit haben, doch ich hatte mich nicht beirren lassen. Es war mein letztes und gleichzeitig das schmerzhafteste, auch wenn es nur ein paar Minuten gedauert hatte, die Farbe unter meine Haut zu bringen.

Harry verschränkt unsere Finger miteinander und zieht mich dann sanft zurück neben sich. Ich habe keine Ahnung, wie viel Uhr es ist, wie viel Zeit vergangen ist, seitdem ich an seine Tür geklopft habe oder wie viel Zeit wir noch haben, bis uns das Tageslicht daran erinnert, dass es noch etwas anderes gibt als diese kleine Welt in Form eines Hotelzimmers. Und es ist mir egal. Meinetwegen könnte die Zeit auch einfach aufhören zu vergehen und er und ich würden einfach hier liegen bleiben, auf dieser viel zu weichen Couch zwischen viel zu weichen Kissen und Decken und hin und her gerissen sein zwischen diesem erhitzten Zustand, in dem wir uns bloß noch die letzten Reste Stoff vom Körper reißen wollen und den ruhigen, fast stillen Momenten wie diesem hier.

Wenn wir reden, dann tun wir es leise, so wie Kinder, die Geheimnisse miteinander austauschen. Ich spüre Harrys Haut, die Wärme, die von ihm ausgeht und ich werde nicht müde, die einzelnen, feinen Konturen seines Körpers nachzuzeichnen. Ich präge mir jeden Millimeter von ihm ein. Speichere jedes seiner Worte. Es wird mir vielleicht für immer ein Rätsel sein, wie zwei Menschen auf Anhieb derart miteinander verbunden sein können. Ich sehe ihn an und er bleibt mir ein Rätsel.

»3 am« [harry styles]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt