Wahrheit und Lüge

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Ein weiteres Mal bahnte sich die Sonne ihren Weg, über den Horizont und erleuchtete den ruhigen Morgen. Es war verhältnismäßig kühl draußen. Das Meer lag still da. Dennoch war es, wie die Mauer eines Gefängnisses. Ein Gefängnis, aus dem ein Entrinnen nicht zu schaffen ist. Eine bösartige Falle. Auferlegt vom Unbekannten. Stille umhüllte die gesamte Insel.
Easn erwachte. In seinen Augen lag noch ein wenig Schlaf. Seine trägen Blicke wanderten durch den Raum. Easn's Kopf dröhnte. Er zitterte am ganzen Körper, als er aufstand. Vielleicht würde ein bisschen frische Luft diesen Zustand bessern. Seine Schritte knarzten im Sand. Es schien sich außerhalb des Hauses wenigstens ein bisschen zu bessern. Easn setzte sich auf den Steg und blickte auf die imaginären Mauern ihres Gefängnisses. Er konnte zwar schwimmen, jedoch war kein Land in der Ferne zu sehen. Nach einer Weile der Stille, hörte Easn das Knarzen, der hölzernen Plattform. Plötzlich erschallte ein lautes Knacken, dann ein unterdrückter Schrei. "Scheiße!" rief jemand hinter Easn. Der drehte sich verwundert um. Ihm bot sich ein gar belustigendes Bild. Vor ihm, war Holly durch das Holz gebrochen und steckte nun, mit einem Fuß, im Steg fest. Easn eilte zur Rettung. Er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
Holly wirkte sichtlich genervt von seinem Unglück. " Ich habe dieses Brett schon vor ein paar Tagen bemängelt und nun bin ich, auch noch ausgerechnet derjenige, der durch bricht. " Sagte er. Seine Laune war augenscheinlich nicht gerade die Beste. Easn half Holly erfolgreich aus seiner Misere und die Beiden setzten sich nebeneinander ans Ende des Steges. Der Wind wehte den Beiden ins Gesicht und ließ ihre Haare etwas wehen. "Glaubst du wir werden auch durchdrehen?" fragte Holly nachdenklich. Er fuhr sich durch die schwarzen Haare. In seinen Augen glänzte eine, sich langsam anbahnende, Furcht, die ihn zu verschlingen drohte. Die Tatsache, dass auch er zum kaltblütigen Mörder mutieren könnte, machte ihm mehr Angst, als er es sich selbst eingestehen wollte. "Wieso sollten wir?" fragte Easn zurück.  Er hatte auch seine Zweifel, jedoch setzte er sich sehr für friedliche Lösungen ein. Easn war wohl aktuell die geringste Bedrohung . Jedenfalls war er davon überzeugt. Und Easn kannte sich selbst ja wohl am Besten. Oder nicht?! Er schob seine Zweifel schnell beiseite und wandte sich Holly zu, der ihn matt anlächelte. Irgendwie hatte dieses Lächeln etwas unheimliches. "Ich meine nur, dass, wenn wir davon ausgehen, dass jeder von uns einmal durchdreht, nur noch Maudado, Osaft, Manu, Du und ich übrig sind." erklärte Holly. Etwas funkelte in seinen Augen. "Die Frage ist nur, was danach ist. Sind wir dann für immer Tod? Ist es, ab dann, ein ewiger Kreislauf des Mordens, in dem man auf die eine Art unsterblich ist, aber irgendwie auch nicht." philosophierte Easn vor sich hin. Holly wirkte erstaunt. "Ich weiß es nicht." sagte er besorgt. Holly's Gedanken schwirrten, wie wilde Bienen, umher und waren unkontrollierbar. Er fuhr sich erneut durch seine Haare. Holly seufzte. "Kann ich dir vertrauen?" fragte er Easn unsicher. Konnte Holly überhaupt jemandem vertrauen? Sich selbst eingeschlossen. Easn nickte selbstsicher. Er war sich relativ sicher, dass er immer friedlich handeln würde.
Aber ist es nicht so, dass Verrat immer von demjenigen kommt, von dem man es am wenigsten erwarten würde?
Plötzlich hallte ein Ruf über die Insel. Holly erkannte Delay's Stimme. Er stand, mit Easn zusammen, auf. Sein Bein schmerzte, jedoch entschloss er sich, die Anderen nicht damit zu belasten. Außerdem mussten sie ihre Ressourcen für den Notfall aufbewahren. Da kommt eine kleine Wunde am Bein nicht in Frage.
Als sie sich etwas ins Innere der Insel begeben hatten, erblickten sie Delay ganz in ihrer Nähe. Er rannte sogleich auf die Beiden zu. "Gut, dass ich euch gefunden habe. Maudado möchte mit uns sprechen." erklärte Delay und lief in Richtung des Leuchtturmes. Easn hatte Mühe mitzuhalten. Schließlich erreichten sie das Leuchtturmhaus und gesellten sich zu den anderen Sechs. "Guten Morgen." begrüßte sie Maudado freundlich. Es schlich sich sogar ein Lächeln auf seine, mittlerweile spröden, Lippen. Easn, Holly und Delay setzten sich auf ihre Matratzen und lauschten gebannt Maudado's Worten. "Ich muss ehrlich zugeben, dass ich ratlos bin. Wir sind gefangen. Vielleicht könnte man aus dem Wrack des Bootes, was draußen ist, ein neues Boot bauen, jedoch würde da niemals alle mitkommen können. Außerdem haben wir ja scheinbar täglich einen Verräter unter uns." erzählte Maudado. Die Anderen hörten zu und nickten ab und zu. Holly blickte zu Boden. Easn hatte immer noch schreckliche Kopfschmerzen. "Das ist ein Appell an denjenigen. Bitte komm auf mich zu. Ich verspreche dir, dass dir nichts passieren wird. Wir können das friedlich klären." fuhr Maudado freundlich fort. Er ließ seinem Blick über die Zuhörer schweifen. Keiner zeigte irgendwelche verdächtigen Anzeichen. " Ich würde gerne einen von euch zu meinem offiziellen Helfer ernennen. Und dafür habe ich mir Holly ausgewählt." sagte er. Der blickte verwundert zu Maudado. Es sollte wohl eher eine feierliche Stimmung herrschen, jedoch hatte jeder Misstrauen gegenüber den Anderen. Jedenfalls stimmte das für die Meisten. Osaft war immer noch verstört, dass er MrMore erschossen hatte. Langsam wurden ihm klar, dass dieser Aufenthalt nicht schön ist. Ihm wurde der Ernst der Lage bewusst. Zombey hatte einen Arm beschützend um ihn gelegt. Das spendete Osaft ein bisschen Sicherheit. Maudado versuchte immer noch das Gute in Jedem zu sehen. Zombey hatte er verziehen, da er scheinbar wirklich keine Kontrolle über sich gehabt hatte. Das machte jedoch die Bedrohung nur noch unberechenbarer und bedrohlicher.
Keiner traute sich etwas gegen Maudado's Entscheidung zu sagen. Sei es, weil sie nicht auffallen wollten oder sie Maudado's Wahl respektierten. In jedem Fall war es still im Haus. "Ich glaube das war es dann von meiner Seite." beendete Maudado seinen Vortrag und setzte sich zu Zombey und Osaft. Die Stimmung lockerte sich etwas. Verschiedene Konversationen wurden angebrochen. Für eine kurze Zeit schien es so, als läge nicht die geringste Spur von Verrat und Misstrauen im Raum. Doch das war sie. Diese ganz feine Spur. Die nur darauf wartete, dass sie einem der Neun in die Lunge kriechen konnte.
Zombey fühlte sich schlecht. Nicht körperlich, sondern mental machte ihm die momentane Situation ziemlich zu schaffen. Besonders der Streit mit Manu fraß an seinen Nerven. Zombey entschloss sich, dass er mit Manu sprechen musste. Sie mussten sich vernünftig aussprechen und ihre Differenzen klären. Zombey stand auf und ging zu Manu. Der hatte nur einen genervten Blick für ihn übrig. "Manu, Ich würde gerne mit dir unter vier Augen reden." sagte Zombey zögerlich. Manu nickte, was Zombey sichtlich erstaunte. Dann stand Manuel auf und ging mit Zombey zusammen zum Strand.
"Was möchtest du?" fragte Manu monoton. Seine grünen Augen funkelten. Dennoch schien er nicht gerade schlechte Laune zu haben. "Ich möchte, dass wir uns vertragen. Jeder Tag könnte der Letzte sein und ich möchte nicht sterben, wenn wir noch im Streit sind." antwortete Zombey. Seine Worte klangen traurig. Manu schien unbeeindruckt. "Zombey, es wird nicht mehr zu Frieden zwischen uns kommen. Ich habe meinen Entschluss schon längst gefasst." sagte Manu. Er klang verbittert. Tränen glitzerten in Zombey's Augen.
"Wieso, Manu?! Was hab ich denn so schlimmes getan, dass du mich so verabscheuungswürdig findest?" fragte Zombey nun gereizter. Seine Trauer begann sich allmählich in Verbitterung zu verwandeln. So, wie es bei Manu schon längst passiert war. Manuel schwieg. Plötzlich zog er ein kleines Messer aus seinem Gürtel und ließ es durch das warme Fleisch von Zombey's Oberarm gleiten. Sofort trat die warme rote Substanz aus der Schnittstelle. Zombey hielt sich die Stelle sofort. "Was sollte das?!" sagte er wütend. Es tat zwar nicht richtig weh, jedoch war diese Aktion komplett unnötig. "Ich weiß, dass du mich hasst, aber das gibt dir noch lange keinen Grund mich zu verletzten! " beschwerte sich Zombey. Seine Wut wuchs jede Sekunde mehr. Zombey wurde sich bewusst, dass dieses Gespräch zu keinem guten Ende kommen würde, deswegen wandte er sich zum gehen. Vielleicht sollte es so sein, dass er und Manu sich zerstritten hatten. "Mir reicht's." sagte er und tat den ersten Schritt in Richtung Leuchtturm.
Plötzlich hielt ihn Manu am Handgelenk fest. Zombey wandte sich ihm zu.
Dann schlug einer der Beiden den jeweils Anderen zu Boden. Ein dumpfes Lachen erschallte. Die bewusstlose Person wurde davongezerrt. Ein wahnsinniges Grinsen lag auf dem Gesicht des Täters.

Wer ist der Nächste?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt