Kapitel 15-Simon

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Der Weg zum Waisenhaus war kurz, jedenfalls kam er mir so vor.

Gerade war ich nah genug dran, dass ich hätte durch das Fenster meines Zimmer sehen können.

Wenn es nicht kaputt gewesen wäre.

Ich runzelte die Stirn.

Das war gestern nicht so, doch es kam manchmal vor, dass die Kinder spielten und dabei etwas zu Bruch ging.

Der Gedanke hätte mich beruhigen sollen, doch da traf es mich wie ein Schlag.

Geschockt blieb ich stehen.
Meine Glieder wurden schwer und meine Brust schmerzte.
Es fühlte sich an, als ginge mir die Luft aus.

Ich musste nicht zweimal hinsehen um zu wissen was passiert war.

Die vielen eingeschlagenen Scheiben, überall liefen hecktisch Menschen rum.

Ich rannte so schnell ich konnte zu dem Gebäude.
Die Angst schnürte mir fast die Luft ab, nur der Wille zu wissen, wer lebte und wer fehlte, half mir weiterzulaufen.

Die Erwachsenen beachteten mich kaum, also übersprung ich die meisten Stufen die Treppe hoch und rannte in das Zimmer im zweiten Stock.

Atemlos blieb ich im Türrahmen stehen.
Mir stockte der Atem.

Dieses Bild würde sich auf ewig in mein Gehirn brennen.

Das Zimmer war komplett verwüstet.
Schränke umgeworfen, Bettbalken zerbrochen, Kleidung lag verteilt und die Scheibe des Fensters war kaputt.

Ich hörte ein Wimmern.

Mein Kopf zuckte hin und her bis ich neben meinem Bett in der Ecke Marius sitzen sah.
Als wäre er irre wiegte er sich hin und her.
Erst wusste ich nicht recht, warum genau, denn das war nicht der erste Angriff der Westler den er mitbekommen hatte.

Doch dann sah ich, was er ihm Arm hielt.
Oder besser gesagt, wen.

Schluchzend presste er den leblosen Körper von Passi an seine Brust.
Sein Gesicht war von Dreck bedeckt, Schrammen zierten die sichtbaren Teile seiner Haut.

Allerdings stand es um Passi nicht besser.

Der Körper des toten Jungen hing verdreht in Marius' Armen, die leeren Augen standen weit offen.
Die letzte Sekunde seines Lebens bestand aus Schreck.

Auf seiner Stirn prangten zwei Löcher, das Blut war bereits gegrocknet.

Er war wohl sofort tot.

Mir kamen die Tränen.
Vor Wut und Trauer.

Ich musste wegsehen; das hielt ich nichts aus.

Niemand hatte das verdient.
Schon gar nicht die Kinder im Waisenhaus.

Westler sind schreckliche Personen.
Was die Überfälle anging, gab es bei ihnen immer Tote.
Sie waren besser gerüstet, was ihre niedrige Anzahl ausglich.

»Wo warst du?«

Marius sprach kaum hörbar, seine Stimme war von Tränen erstickt und ließ mich vor Scham im Boden versinken.

Er wusste wo ich war.

Und er machte es mir zum Vorwurf, auch, wenn wir beide wussten, dass es dafür keinen logischen Grund gab.

Ich stand nur da und starrte ihn und seinen toten Bruder an, sah wieder weg.
Mein Herz versag, ich konnte keinen klaren Gedanken fassen.

»Marius....Ich-«

Ich wusste einfach nicht was ich sagen sollte.
Hätte ich das verhindern können, wenn ich hier gewesen wäre?

»Spar dir dein Mitleid. Du hast keinen Bruder verloren!«

Er weinte immernoch, doch seine Stimme hallte bedrohlich im Raum wieder.
Ich wusste, dass er es nicht so meinte, denn seine Worte trafen mich tief, doch ihm das jetzt vorzuhalten, wo er seinen leblosen Bruder im Arm hatte, war sinnlos.

Klar denken war momentan nicht möglich.

»Es tut mir leid.«
Egal ob Beileid oder Entschuldigung, er verstand.
Doch er blieb stumm und weinte um seinen Bruder.

Ich drehte mich um und lief raus, um den Erzieherinnen zu helfen;
um dieser Situation zu entfliehen.

Meine Fäuste waren vor Wut geballt.
Das ganze traf mich tief, klar denken konnte ich gerade nicht wirklich.

Doch draußen sah ich einige Menschen, die mir unbekannt waren.
Eigentlich kannten sich in dieser Gegend alle.

»Ah Simon, da bist du ja. Gott sei Dank, dir geht es gut.«
Frau Zirnitz nahm mich in den Arm und ich lächelte leicht, sah dann aber zu den Fremden.

»Das ist Simon, einer unserer ältesten Waisen. Er will mal Soldat werden.«

Einer der drei Männer, er hatte keinen Bart, aber blau gefärbte Haare, lächelte mir zu. Er war noch nicht sehr alt, hatte allerdings einige Narben.
Er trug Kleidung, die ich als abgdwetzt bezeichnen würde. Dunkel, einige Löcher, Aufnäher.

»Simon, das sind Ostrebellen.«

Hm.
Ja gut.
Passi is wohl weg vom Fenster.

Wrong Side-Verbotene Liebe [Band 1] || CrispyWill [Beendet]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt